31. Dezember 2012

Allen Lesern ein erfreuliches 2013! Nebst kleinen Bemerkungen zu 1913 und zu einem schönen Buch darüber


Hundert Jahre ist im jetzt anbrechenden Jahr die Weltausstellung in Gent her, deren Prospekt die Abbildung zeigt (für eine vergrößerte Ansicht bitte zweimal darauf klicken). Die letzte Weltausstellung "zu Friedenszeiten"; bevor der fürchterliche Abschnitt des Zwanzigsten Jahrhunderts in Europa begann, der erst mit der Befreiung vom Kommunismus 1989/90 endete.

"Hundert Jahre" heißt der Roman des Liberalen Heinrich Albert Oppermann, der die Jahre von 1770 bis 1870 umfaßt; erschienen 1870. Ein politischer Roman; mit einem treffenden Titel für einen politischen Generationenroman.

Denn hundert Jahre sind ziemlich genau das, was subjektiv noch Zeitgeschichte sein kann. Über ungefähr diese Spanne hinweg gibt es die persönlichen, von einer Generation zur anderen weitergereichten Informationen; die oral history.

Mein Großvater konnte mir von den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erzählen, als er kaufmännischer Lehrling war und die Post fünfmal am Tag kam. Er mußte jedesmal "dem Briefträger entgegenlaufen", damit die aktuellen Geschäfts­briefe schneller im betreffenden Kontor waren.

Es war, vor hundert Jahren, eine Zeitenwende. Die Großstädte drohten noch im Pferdemist zu ersticken; aber der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand war in einem Automobil unterwegs - mit vergoldeten Speichen, wie an der Kutsche des Kaisers Franz Josef, seines Onkels. Der 1913 nun schon 65 Jahre auf dem Thron hockte und nicht Platz machen wollte.

Die Damen auf der Abbildung sehen Sie noch hochgeschlossen. Aber 1913 hatte bei Künstlern und Intellektuellen längst die Libertinage eingesetzt, die Unbekümmertheit der Partnerwahl und des Partnerwechsels, die dann für die Goldenen Zwanziger kennzeichnend werden sollte. Frauen, ebenso schön wie intellektuell, flogen vom einen Großen zum nächsten - Alma Mahler, Lou Andreas-Salomé. Die Maler der "Brücke" waren einander so nah, daß sie "die Farben und die Frauen teilten".



Sie sehen, ich zitiere. Ich zitiere aus einem der vergnüglichsten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe; zu Recht ein Bestseller:
Florian Illies, 1913 - der Sommer des Jahrhunderts. S. Fischer, 19,99 Euro (die Kindle-Ausgabe, die ich lese, kostet 17,99 Euro).
Feuilleton ist das. Locker, heiter und intelligent geschrieben.

Kulturgeschichte ist es, wobei man das "Geschichte" nicht eng sehen darf. Illies denkt sich aus, wie es gewesen sein könnte. Er fabuliert; er nimmt die harten historischen Daten als das Baumaterial für das zierliche Gebäude, das er aufführt.

Das ist leicht, es bietet ein superbes Lesevergnügen. Erkenntnisgewinn vielleicht weniger; dafür gleitet der Feuilletonist Illies zu leichtfüßig über seine Gegenstände hinweg.

Seine Gegenstände, seine Protagonisten. Und wer da alles in diesem Jahr 1913 zu verfolgen ist, das ist allerdings erstaunlich, fast ein wenig atemberaubend - von Freud und Jung, deren Zusammenarbeit ausgerechnet an ihrer Unfähigkeit zerbricht, vernünftig mit ihren Gefühlen umzugehen, bis zu Hitler, Stalin und Tito, die sich alle drei in diesem Jahr in Wien aufhielten.

Hitler und Stalin sogar gewissermaßen als Nachbarn. Vielleicht seien sie sich beim Spazierengehen im Schloßpark von Schönbrunn begegnet, meint Illies, und hätten einander gegrüßt.

Ja, vielleicht. Vielleicht auch nicht. Nehmen wir das nicht so ernst bei einem Autor, der so elegant schreibt wie Illies.

Auch über Arnold Schönberg erfahren wir eine hübsche Anekdote: Der sei so abergläubisch gewesen, daß er die Zahl 13 vermied, wo immer es ging; also auch im Jahr 1913. Und aus dem Titel seiner Oper "Moses und Aaron" machte er "Moses und Aron", damit es nur 12 Buchstaben waren (Zwölftonmusik!) und nicht 13.

Se non è vero, è ben trovato.

Was uns angeht, uns Nachgeborene - wir sollten uns vor der 13 in der Jahreszahl 2013 nicht ängstigen. Wir haben das vom Maya-Kalender prophezeite Ende der Welt überlebt; da wird uns doch die Zahl 13 nicht schrecken.
Zettel



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