14. Dezember 2012

Die Hamas auf dem Weg zur Machtbeteiligung im Westjordanland

Zum ersten Mal seit 2007 hat die Hamas gestern im Westjordanland wieder eine Massenkundgebung abgehalten; zur Feier ihres 25jährigen Bestehens und ihres angeblichen kürzlichen "Siegs" über Israel. Der Bericht von Al Jazeera zeigte eine große Menschenmenge in Nablus; viele verschleierte Frauen, vor allem aber junge Männer mit der grünen Stirnbinde des Kämpfers.

Erst am 7. Dezember hatte es eine andere Massen­kund­gebung gegeben; im Gazastreifen. Dorthin war der im Exil lebende Hamas-Führer Khaled Meshaal zurückgekehrt - zum ersten Mal zurück aus dem Exil, seit er nach dem Krieg von 1967 als Kind mit seiner Familie das Palästinensergebiet verlassen hatte.

Meshaal sprach vor einem internationalen Publikum, in dem Vertreter Ägyptens, Libyens, Tunesiens, Algeriens, Indonesiens und Malaysias saßen. Er rief zur Versöhnung mit der Fatah auf; man müsse die "Fehler" der Vergangenheit überwinden. Im Gegenzug hatte nun gestern die von der Fatah kontrollierte Autonomiebehörde die Hamas-Kundgebung in Nablus genehmigt.



Die beiden Kundgebungen symbolisieren einen Wandel, der sich gegenwärtig vollzieht: Während die Fatah an Einfluß verliert, hat die Hamas gute Chancen, schon bald wieder als eine führende politische Kraft auf die West Bank zurückzukehren. Stratfor hat gestern diese neue Lage analysiert:

Bisher erschien eine Versöhnung zwischen Fatah und Hamas kaum möglich, weil die in erheblichem Umfang vom Iran finanzierte und von ihm mit Waffen belieferte Hamas in Syrien auf der Seite des Iran-Verbündeten Assad gestanden hatte. Die Fatah, wie auch die sunnitischen Staaten der Region, unterstützt hingegen die Aufständischen. (Zu den Waffenlieferungen des Iran an die Hamas siehe Die Vorgeschichte der jetzigen Eskalation in Gaza begann im Sudan; ZR vom 16. 11. 2012).

Inzwischen hat sich im Zug der neuen Lage im Nahen Osten die Hamas aus der Allianz mit dem Iran gelöst und ist ins Lager der sunnitischen Staaten eingeschwenkt.

Als eine Organisation, die aus der Moslembruderschaft hervorgegangen ist, hat die Hamas beste Beziehungen zur jetzigen ägyptischen Regierung. Auch die Türkei hat sich eingeschaltet und übt auf den Fatah-Führer Abbas Druck aus: Er solle sich auf die Außenpolitik konzentrieren und der Hamas mehr Mitsprache auf der West Bank erlauben. Erst vorgestern ist Abbas von einem mehrtägigen Besuch in der Türkei zurückgekehrt.

Die Fatah mit ihrer alternden Führung und ihrer korrupten Verwaltung ist mit dem Versuch gescheitert, die Hamas zu isolieren. Heute ist es diese, die über die mächtigeren Verbündeten verfügt. Auch die Bevölkerung auf der West Bank ist zunehmend unzufrieden mit der Fatah; schon einmal - im Jahr 2006 - hatte die Hamas dort eine Wahl gegen die Fatah gewonnen.

Es kommen also innen- und außenpolitische Faktoren zusammen. Abbas könnte schon bald keine andere Wahl mehr haben, als die Hamas an der Regierung zu beteiligen.

Im Gegenzug könnte die Hamas der Fatah eine Rückkehr in den Gazastreifen erlauben. Sie hat bereits genehmigt, daß die Fatah dort im Januar eine Kundgebung zum 48. Jahrestag ihrer Gründung abhält.

Aber bei einem solchen Deal hätte die Hamas viel mehr zu gewinnen als die Fatah. Abbas konnte sich mit der kürzlichen Abstimmung in der Uno einen kleinen Erfolg verschaffen. Aber langfristig wird dies die Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen Hamas und Fatah nicht aufhalten können.



Nicht nur Ägypten und die Türkei mit der ideologischen Nähe ihrer Regierungen zur Hamas tragen zu dieser Verschiebung bei, sondern auch das säkular regierte Jordanien.

Auch im Land König Abdullahs II. macht sich der Arabische Frühling bemerkbar. Die Moslembrüder sind dort inzwischen so stark, daß sie drohen können, die kommenden Wahlen Ende Januar zu boykottieren, und daß der König alle Anstrengungen macht, sie zur Beteiligung zu bewegen.

In dieser Situation sucht Abdullah - was noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre - die Hilfe der Hamas. Kürzlich war deren Führer Meshaal zu Gesprächen mit Abdullah in Amman. Wenn das haschemitische Königtum überleben will, dann wird es sich mit den Islamisten, also auch der Hamas arrangieren müssen.

Für Israel ist damit eine eminent schwierige Lage entstanden. Die Spaltung der Palästinenser hatte in seinem Interesse gelegen. Wenn Hamas und Fatah künftig kooperieren sollten, dann wird Israel keine Wahl haben, als sich auf diese neue Lage einzustellen. Daß es den Auftritt Meshaals im Gazastreifen erlaubt hat, ist dafür ein erstes Anzeichen.

Zur Lage Israels siehe auch:
Stratfors Analysen: "Israels Überleben steht auf dem Spiel". Reva Bhalla über die neue strategische Lage im Nahen Osten; ZR vom 12. 12. 2012
Zettel



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