12. August 2006

En permanence

In französischen Großstadt-Kinos war es früher üblich, daß die Filme "en permanence" gezeigt wurden. Das Programm wurde ohne Unterbrechung den ganzen Tag über wiederholt, und man konnte jederzeit eine Karte lösen und sich (gegen Trinkgeld) von der Platzanweiserin an einen Platz führen lassen.

Man kam also zB in einen Film, wenn Eddie Constantine gerade im Sportcoupé die Corniche entlangpreschte, oder wenn er sich aus einem Keller zu befreien versuchte, indem er an den Fenstergittern arbeitete.

Ungefähr zwei Stunden später war das Programm wieder bei derselben Szene angekommen.

Derselben? Nein. Derjenige Teil des Films, den man zum zweiten Mal sah, war nun ein ganz anderer geworden. Er stand ja jetzt im Kontext. Da jagten nicht einfach zwei Autos über die Corniche, sondern Eddie versuchte, eine von den Gangstern entführte Geisel zu retten. Da rüttelte er nicht mehr nur am Kellergitter, sondern es ging darum, ob er sich würde befreien können, bevor der von Gangstern eingestellte Zeitzünder ihn samt Keller und Haus in die Luft sprengte.

Da bekamen Dialoge erst ihren Sinn, die beim ersten Mal wie aneinandergereihte Klischees geklungen hatten. Da fügte sich das, was wie wild zusammengeschnittene Einstellungen erschienen war, zu Aspekten desselben Geschehens zusammen.

Was isolierte Szenen gewesen waren, das war jetzt Teil einer Handlung. Es hatte Bedeutung, es war nun mit Sinn und Zusammenhang ausgestattet. Und erst im Kontext der Gesamt-Dramaturgie eines solchen Films war es überhaupt spannend, fesselnd, interessant, diese Szenen anzuschauen.



Daran habe ich mich erinnert, als ich heute erstmals eine Fußball-Konferenzschaltung im Fernsehen gesehen habe (in SAT1 - als Appetithäppchen, das uns anregen sollte, Arena zu abonnieren, wo das künftig allwöchentlich zu sehen ist).

Die einzelnen Szenen eines Fußballspiels sind, für sich genommen, langweilig. Sie sind genau das, was jemand, der von Fußball keine Ahnung hat, sieht: Da laufen Männer übers Feld, streiten sich um einen Ball und kicken ihn in der Gegend herum.

Interessant wird jede dieser Spielszenen erst dadurch, daß sie - wie eben die Szenen in einem Film oder Theaterstück - ihren Stellenwert hat. Daß sie sich aus einem bestimmten Spielverlauf entwickelt hat, daß sie eine bestimmte Bedeutung für den Ausgang des Spiels hat.

Ein ganzer Fußball-Nachmittag, in dem ständig zwischen fünf oder sechs Spielen hin- und hergeschaltet wird, mit jeweils ein paar Häppchen aus dem betreffenden Spiel - vielleicht einem "Höhepunkt" wie einem Elfmeter - erscheint mir deshalb nicht vergnüglicher, als wenn, sagen wir, der ZDF-Theaterkanal zwischen sechs Theatern hin- und herschalten und die Szenen aus den laufenden Inszenierungen zeigen würde, die man jeweils gerade erwischt.

Und wenn man dabei die Umschaltungen so zu gestalten versuchte, daß der Zuschauer im "Faust" den Osterspaziergang nicht verpaßt, nicht Tells Schuß und nicht Hamlets Monolog, dann würde das die Sache ja nicht besser machen.

Also, ich fürchte, eine solche, noch dazu vom Sender sehr teuer bezahlte, Bundesliga-Schalterei am Samstag Nachmittag, ist nichts; jedenfalls nichts für mich. Vergeudetes Geld, vertaner Aufwand.



Warum ist eine solche "Bundesliga-Konferenz" aber spannend, wenn sie der Hörfunk überträgt? Weil es da eben viel mehr um Information geht als beim TV-Fußball, und weniger um den Spielgenuß. Über die Spiele wird berichtet, sie werden nicht gezeigt. Und beim Bericht wird der Kontext durch den Reporter hergestellt, der uns über den Verlauf, über die Qualitäten und Schwächen eines Spiels informiert.

Gewiß, er beschreibt auch jeweils ein Stücklein Spielgeschehen - aber das geschieht eigentlich mehr der Atmosphäre wegen; niemand käme auf den Gedanken, daß die gesprochene Reportage das Anschauen des Spiels ersetzen könnte.



Anders gesagt: Man kann solch einen Fußball- Nachmittag auf zwei Weisen genießen. Entweder auf dem Platz, wo man einen geschlossenen Ablauf erlebt und wo das Optische im Vordergrund steht. Oder als eine Berichterstattung über alle Spiele, deren Spannung sich daraus ergibt, welche Mannschaften gerade vorn liegen, wie sich die Spielstände ändern, wie am Ende die Punkte verteilt werden.

Für diese Art von Spannung ist es völlig gleichgültig, ob ein Spiel gut oder schlecht ist. Der Reporter kommentiert das zwar oft, aber eine Rolle für das Vergnügen an der Sendung spielt es nicht. Das ist nur wichtig, wenn man das Spiel sieht.



Die TV-Schalterei, wie heute bei SAT1 und demnächst bei Arena, scheint mir eine Mischung aus beidem zu sein; und zwar eine Mischung, die nicht ihre Vorzüge vereint. Man bekommt keinen einzelnen Spielablauf zu sehen und wird dennoch ständig mit Bildern beliefert. Die optischen Häppchen stören aber eher dabei, das Gesamtgeschehen der Bundesliga zu überblicken, als daß sie dies befördern würden.

So nehme jedenfalls ich es wahr. Mag sein, daß andere, die mehr vom Fußball verstehen, einen anderen Eindruck haben.

Vielleicht genügt ihnen das optische Häppchen, um sich einen Kontext dazuzukonstruieren; so, wie dem Kunstliebhaber ein Stück gemalter Himmel genügt, um ein Bild als einen Renoir oder einen van Gogh zu erkennen.

Das ästhetische Vergnügen freilich wird auch für den Kenner beim Anblick eines solchen Bildausschnitts eher bescheiden ausfallen.