30. April 2024

Dieter Hallervorden und der Völkermord

Es ist eine Binse, dass in einer typisch deutschen Distanzierung (im englischen auch Disclaimer genannt) so ziemlich alles, was vor dem "aber" steht, mit Fug und Recht als unwichtig abgetan werden kann. Das gilt entsprechend auch für die Distanzierung die der altgediente Komiker Dieter Hallervorden nun vor sein Werk zum Thema Gaza gestellt hat. Er führt aus:
Vor dem gleich folgenden Gedicht "Gaza Gaza" möchte ich eines unmissverständlich klarstellen: Natürlich verurteile auch ich den Terror von Hamas. Aber trotz alledem sehe ich "gleichzeitig eine neue Friedenschance für eine Zweistaatenlösung."
Gut, es zwingt ihn niemand den 7. Oktober als den Zivilisationsbruch zu sehen, den er darstellt. Das ist kein Verbrechen. Und auch wenn die Statistik dieses Tages eines andere ist, so ist der einzelne antisemitische Mord qualitativ natürlich auch nicht anders, zumindest aus Sicht des Opfers. Das kann man Herrn Hallervorden nicht vorwerfen, auch nicht, dass er der Illusion einer "Zwei-Staaten-Lösung" (die außer Israel so ziemlich niemand will) hinterherrennen möchte. Es setzt nur den Disclaimer selber in ein ziemlich klares Licht, nämlich, dass er völlig wertlos ist.

Danach kommt er dann zu seinem Gedicht. Es kann hier in seiner vollem Länge (samt Disclaimer) betrachtet werden. Und es ist ein ziemlich unreflektiertes Stück Propaganda in Stil und Sprache der Friedensbewegung, die ähnlich naiv in den 70er und 80er Jahren die einseitige Entwaffnung des Westens gefordert hat. Und dem glücklicherweise damals niemand gefolgt ist, der noch alle Sinne beieinander hatte (weil wir ansonsten, frei nach Otto aus dem Fisch namens Wanda, dann heute vermutlich nur Borscht und Pelmeni essen und pausenlos Marschmusik hören würden).  

Ich denke nicht, dass man Hallervorden Antisemitismus vorwerfen kann, sein Werk beschäftigt sich eigentlich nicht mit "den Juden", mal ab vom Vorwurf des Völkermordes, der aber eine sachlich falsche Aussage darstellt und deswegen nicht notwendigerweise moralisch oder ethisch zu bewerten ist. Überhaupt denke ich, dass man Hallervorden keine böse Intonation vorwerfen kann (so man sowas überhaupt tun sollte), sondern eher die völlige Reflektionslosigkeit und der sachliche Unsinn, den er verbreitet. Es fällt schwer, ihm, der ja kein dummer Mensch ist, diese Form von Naivität wirklich abzunehmen, die sonst eher ein vierzehnjähriges Mädel mit kniehohen Stiefeln und einem Ring in der Nase ziert. Aber im Zweifel sollte man immer das Beste von einem Menschen annehmen und insofern sei Hallervorden der selbe Naivitätsbonus gegönnt wie eben jenem Mädel, das ganz unreflektiert bei eine Pali-Demo mitläuft, weil in Gaza Kinder zu Tode kommen.

Im Krieg sterben Menschen. Auch und gerade Zivilisten. Das zu bestreiten ist weder sinnvoll noch kann man jemanden für voll nehmen, der das ernsthaft bestreiten wollte. Und einige dieser Zivilisten, manchmal sehr, sehr viele, sind Kinder. Auch das ist unvermeidbar so lange man Kriege nicht mehr im Stile vergangener Jahrhunderte führt, wo es Schlachtfelder abseits der Städte gab, wo man sich dann getroffen hat um sich gegenseitig abzumurksen (wobei sich beide Parteien dann auch daran halten müssen). 

Hallervorden beginnt sein Gedicht damit, dass er von einem Vater erzählt, der nicht versteht, warum sein Kind getötet wurde. Und das ist der erste Unsinn. Denn natürlich weiß der Vater das. Das Kind mag es noch nicht wissen, aber der Vater weiß es sehr genau. Denn es gibt so ziemlich niemanden in Gaza, der nicht genau weiß, was man 7. Oktober passiert ist. Und die Mehrheit begrüsst es. Bei dem einzelnen Vater wissen wir es nicht, aber die Mehrheit der Väter in Gaza weiß sehr genau, warum das Ganze passiert und das das vor allem etwas damit zu tun hat, was sie selber befürworten. Hallervorden formuliert "Was haben denn die zarten Fingerchen (der Kinder) den Herren Generälen getan?". Die Anwtort ist klar: Gar nichts. Aber die zweite Antwort lässt Hallervorden aus: Was haben die Hände (beispielsweise des Vaters) den Fingerchen der Opfer des 7. Oktober getan? Und die Antwort ist: Eine ganze Menge. Und wie so oft: Context matters. 

Es ist eigentlich eine Unverfrorenheit und Rotzigkeit "den Herren Generälen" (die ja ein praktisches und anonymes Feindbild sind, an dem man sich beliebig abarbeiten kann) an die Backe zu nähen, sie würden gerne Kinder töten. Denn genau das ist ja insuiert. Aber ich glaube tatsächlich, wenn ich mir jüdische Moralvorstellungen ansehe und ebenso Ehrenvorstellungen im Militär (wovon das israelische keine Ausnahme ist), dass kein (nicht ein einziger!) General Freude daran empfindet ein Kind zu töten. Denn das unterscheidet den Soldaten von der Bestie. Und Soldaten sind keine Bestien, auch wenn es politisch korrekt geworden ist, das zu insuieren. Es ist unverschämt, schlicht und einfach, einem Fremden zu unterstellen, er sei ein Psychopath. Denn nur Psychopathen können eine solche Freude empfinden. 

Dann fährt er fort mit einem ebenso falschen wie (in linksextremen Kreisen) permanent runtergebeteten Mantra der angeblichen Apartheit. Und wieder fällt es schwer ihm die Naivität abzukaufen, die sich dahinter verbirgt. Denn Israel ist alles, nur kein Apartheitsstaat. Im Unterschied zur tatsächlichen Apartheit sind die 20% arabische Bevölkerung in Israel absolut wahlberechtigt und geniessen die selben Rechte wie ihre jüdischen Mitbürger. Aber vielleicht meint er die ja nicht. Vielleicht meint er die Bewohner von Gaza. Eine seltsame Apartheit, wenn man bedenkt, dass Israel den Gazastreifen 2007(!) verlassen hat und er sich seitdem selbst verwaltet. Apartheit ist nicht, auch wenn so mancher Spinner das zu vernebeln sucht, das Recht eine Grenze zwischen sich und anderen zu ziehen. 

Dann versucht er es mit einem Rundumschlag gegen die Waffenindustrie und formuliert "die aus Ohnmacht brodelnde Kraft hat sich niemand selbst ausgesucht", während er Bilder von Waffenherstellern zeigt. Was völlig perfide ist, denn natürlich hat sich das jemand ausgesucht. Der 7. Oktober ist eine glasklare Botschaft. Wenn ich sowas veranstalte, dann hat das Folgen. Und natürlich habe ich eine Wahl. Es hat niemand die Palästinenser gezwungen ein Riesenrudel an Bestien nach Israel zu schicken. Es hat sie auch niemand gezwungen in den Straßen zu jubeln, als die zurück gekehrten Bestien die teils leblosen und massakrierten Opfer durch die Straßen von Gaza schleiften. Man kann(!) vielleicht zu dem Ergebnis kommen, dass sich das nicht jeder ausgesucht hat. Aber niemand(!) ist vollkommener Quatsch, eine breite Mehrheit hat das gewählt. Und würde es heute wieder tun, wenn man sie liesse. 

Dann fährt er fort mit "die Macht, die die Bestien schafft, aus kaltem Kalkül, sei verflucht." Und insuiert natürlich wieder die Waffenindustrie (und, man könnte es unterstellen, auch Israel). Aber auch hier haben wir wieder nur Mumpitz. Denn wenn er die Macht, die die Bestien schafft, adressieren will, dann müsste er den Hass adressieren, der palästinenischen Kindern anerzogen wird. Die Bestien vom 7. Oktober sind nicht durch die Waffenindustrie zu dem geworden, was sie sind, sondern durch den Hass, der ihnen permanent eingeimpft wurde. Was im in Palästina in Schulen unterrichtet wird, was im Fernsehen gesenden wird, was in den Moscheen vermittelt wird, das ist doch alles nicht geheim. Selbst wenn man unterstellen würde, dass da einige bei waren, die selber eine israelische Bombe erlebt hätten, so würde das nicht dazu führen, dass man einen Säugling in einen Backofen wirft oder vierzehnjährige Teenager vergewaltigt, um sie anschießend per Genickschuss hinzurichten. Solche Bestien erzeugt man anders. Und zwar indem man ihnen Faschismus beibringt. Indem man ihnen beibringt, dass das keine Menschen sind, die sie da ermorden. Wenn jemand stolz zu Hause anruft und verkündet "Mama, ich habe zehn Juden umgebracht", dann ist das keine Bestie, die aufgrund eigenem Schmerz zu dem Monster geworden ist, sondern eine Bestie, die das tut, wozu ihre Eltern sie so erzogen haben. 

Und am Ende kommt er dann zur Catchline und führt aus "Und ich frag mich da immer wieder: Und das soll kein Völkermord sein?". Und die Frage lässt sich mit einer Gegenfrage beantworten: Was glaubt Herr Hallervorden, was ein Völkermord ist? Laut Lexikon definiert sich der Völkermord als Straftatbestand in der Absicht "eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören". Das ist wohl unterschieden davon, dass Zivilisten in einem Krieg sterben. So ist beispielsweise der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki kein Völkermord. Oder der Dresdner Feuersturm. Nicht einmal die Bombardierung der Möhnetalsperre, die eigentlich fast ausschließlich zivile Todesopfer nach sich zog. Man kann im Einzefall darüber streiten, ob es sich um Kriegsverbrechen handelt, aber nichts davon geschah in der Absicht das deutsche Volk als solches ganz oder teilweise zu zerstören. Oder das japanische. Wer Clausewitz heran zieht (und das ist eigentlich bis heute neben Sunzi die Autorität in dem Bereich), so dient der Krieg "den Gegner dazu zu zwingen unseren Willen zu erfüllen". Das ist etwas gänzlich anderes als den Gegner zu vernichten. Sowohl das deutsche als auch das japanische Volk wurde 1945 dazu gezwungen(!) zu kapitulieren. Nichts anderes verlangt Israel von der Hamas. 

Wenn Israel wollte, dann könnte es den Gazastreifen in die Altsteinzeit zurück bombardieren. Im Unterschied zur deutschen Bundeswehr hat die israelische Luftwaffe durchaus die Möglichkeiten dazu. Und so groß ist Gaza nicht. Stattdessen gehen die hin, verlieren inzwischen über 200 eigene Soldaten mit einer langwierigen und schwierigen Bodenoffensive, bei dem sie von Haus zu Haus gehen, um zivile Opfer zu vermeiden. Das hat noch keine Armee vor ihnen getan. Sie werfen Millionen Zettel in arabischer und englischer Sprache ab, um vor Bombardierungen zu warnen. Sie brechen Bombenangriffe ab, weil sich auf den Dächern der Gebäude Zivilisten befinden (was inzwischen von der Hamas als Verteidigungstaktik ausgenutzt wird). 
Man vergleiche das mal mit den Alliierten im zweiten Weltkrieg. Hat da jemand gewarnt? Oder hat Kirchen verschont, weil sich dort große Mengen an Zivilisten befanden? Hat man von der Versenkung der Gustloff abgesehen, weil sich dort 9000 Zivilisten an Bord befanden? Hat man Hiroshima gewarnt? Oder Nagasaki? 

Tatsächlich ist es so, dass man Israel an gänzlich anderen Maßstäben misst, als das bis dato auch nur in irgendeinem Konflikt üblich war. Laut Angaben der Hamas, die ohnehin mehr als fragwürdig sind, sind in Gaza inzwischen etwas mehr als 30.000 Menschen getötet worden. Die israelische Armee gibt die Zahl der getöteten Hamas-Kämpfer mit 13.000 an. Somit haben wir ein Verhältnis von 13:17 oder etwa 1:1,4. Statistisch ist das Verhältnis in den letzten großen Kriegen bei etwa 1:8. Und zwar ein Soldat auf acht zivile Tote. 

Oder anders gesagt: Wenn Israel einen Völkermord durchführen würde, dann sind sie erstaunlich schlecht darin. Übrigens historisch schlecht. Die Zahl der Palästinenser betrug 1970 so eine gute Million. 2020 waren wir bei vier Millionen. Wenn die weiter so erfolgreich mit ihrem Völkermord sind, dann sind die in 100 Jahren mehr als die Deutschen. 

Das Ganze ist völlig absurd. In dem ganzen Gedicht steckt nicht ein richtiger Gedanke, eine Aneinanderreihung von Klischees, die nicht einmal einen minimal korrekten Kern haben. Das macht Hallervorden nicht zu einem Antisemiten. Oder gar Rassisten (Lieblingswort des "juste millieu"). Es macht ihn nicht einmal zum Idioten. Er gibt sonst eine Menge kluge Dinge von sich. Aber es zeigt das auch ein kluger Geist schonmal 100 Prozent daneben liegt. Das unterscheidet ihn, und das sei betont, von einem anderen deutschen Schreiber, der ebenso meinte sich zu Israel äußern zu müssen. Denn GraSS konnte man eher weniger unterstellen, sonst eher kluge Beiträge zu leisten. 

Letzter Nachgedanke: Ich halte das, was Hallervorden da tut, für extrem schädlich. Nicht weil er damit die Israelis beleidigt (die sind Kummer gewohnt und dürften da hoffentlich drüber stehen). Oder gar Antisemitismus fördert. Nein, ich halte es deshalb für schädlich, weil es das ist, woran die Hamas sich klammert. Die Hamas weiß zu 100%, dass sie den Israelis nicht gewachsen ist und das Israel sie jederzeit vernichten kann. Und das wird sich auch in den nächsten 50 Jahren nicht ändern. Die Hamas weiß genau, dass sie militärisch für Israel eine Lachnummer sind. Aber sie setzen auf etwas ganz anderes: Und zwar die westliche Öffentlichkeit. Die Hamas führt solche Terrorangriffe durch, damit die westliche Öffentlichkeit sich über Israels Reaktion empören kann. Sie stellen Zivilisten und insbesondere Kinder in die erste Reihe, damit(!) diese getroffen und getötet werden. Sie tun das nicht aus taktischen Gründen. Sie tun das, damit(!) Leute wie Hallervorden sich äußern. Diese Kinder sterben, weil die Friedensbewegten auf die Nummer hereinfällt. Die Friedensbewegten schaffen erst die Motivation dazu. 
Und sie schaffen auch die Motivation für Hamas bis zum letzten Kämpfer durchzuhalten. Denn sie haben die Hoffnung, dass der Westen Israel in den Arm fallen wird, wenn nur genügend tote Kinder im Fernsehen gezeigt werden. Wenn der Westen das Spiel nicht mitmachen würde, hätten die vermutlich schon lange aufgegeben. Aber es ist der Westen, der die Hoffnung der Terroristen nährt. 
Die Friedensbewegung der siebziger und achtziger Jahre wurde gerne als "5. Kolonne Moskaus" bezeichnet. Und das war auch vollkommen korrekt und im Nachhinein stellte man auch fest wie stark die Friedensbewegung aus Moskau gesteuert und finanziert wurde. Das die Hamas die Friedensbewegten von heute finanziert ist eher unwahrscheinlich, aber die Wirkung ist die selbe. 
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Llarian

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