21. März 2021

蒲松龄 《画壁》 /Pu Songling, "Die bemalte Wand" (1679 / 1766)





江西人孟龙潭,与朱举人客居在京城。他们偶然来到一座寺院,见殿堂僧舍,都不太宽敞,只有一位云游四方的老僧暂住在里面。老僧见有客人进门,便整理了一下衣服出来迎接,引导他俩在寺内游览。大殿中塑着手足都作鸟爪形状的志公像。两边墙上的壁画非常精妙,上面的人物栩栩如生。东边墙壁上画着好多散花的天女,她们中间有一个垂发少女,手拈鲜花面带微笑,樱桃小嘴像要说话,眼睛也像要转动起来。朱举人紧盯着她看了很久,不觉神摇意动,顿时沉浸在倾心爱慕的凝思之中。

忽然间他感到自己的身子飘飘悠悠,像是驾着云雾,已经来到了壁画中。见殿堂楼阁重重迭迭,不再是人间的景象。有一位老僧在座上宣讲佛法,四周众多僧人围绕着听讲。

朱举人也掺杂站立其中。不一会儿,好像有人偷偷牵他的衣襟。回头一看,原来是那个垂发少女,正微笑着走开。朱举人便立即跟在她的身后。过了曲曲折折的栅栏,少女进了一间小房舍,朱举人停下脚步不敢再往前走。少女回过头来,举起手中的花,远远地向他打招呼,朱举人这才跟了进去。见房子里寂静无人,他就去拥抱少女,少女也不太抗拒,于是和她亲热起来。不久少女关上门出去,嘱咐朱举人不要咳嗽弄出动静。夜里她又来到。这样过了两天,女伴发觉了,一块把朱举人搜了出来,对少女开玩笑说:“腹内的小儿已多大了,还想垂发学处女吗?”都拿来头簪耳环,催促她改梳成少妇发型。少女羞得说不出话来。一个女伴说:“姊妹们,我们不要在这里久待,恐怕人家不高兴。”众女伴笑着离去。朱举人看了看少女,像云一样形状的发髻高耸着,束发髻的凤钗低垂着,比垂发时更加艳绝人寰。他见四周无人,便渐渐地和少女亲昵起来,兰花麝香的气味沁人心脾,两人沉浸在欢乐之中。

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忽然听到猛烈的皮靴走路的铿铿声,并伴随着绳锁哗哗啦啦的声响。旋即又传来乱纷纷的喧哗争辩的声音。少女惊起,与朱举人一起偷偷地往外看去,就见有个穿着铁甲的神人,黑脸如漆,手握绳锁,提着大槌,很多女子围绕着他。金甲神说:“全到了没有?”众女回答:“已经全到了。”他又说:“若有藏匿下界凡人的,你们要立即告发,不要自己找罪受!”众女子同声说:“没有。”金甲神反转身来像鱼鹰一样凶狠地看着周围,像要进行搜查。少女非常害怕,吓得面如死灰,慌张失措地对朱举人说:“赶快藏到床底下。”她自己则开开墙上的小门,仓皇逃去,朱举人趴在床底下,大气不敢出。不久听到皮靴声来到房内,又走了出去。一会儿,众人的喧闹声渐渐远去,朱举人的心情才稍稍安稳了一点。然而门外总是有来往说话议论的人。他心神不宁地趴了很久,觉得耳如蝉鸣,眼里冒火,几乎没法忍耐。但也只有静静听着,等待少女归来,竟然不再记得自已是从哪里来的了。

当时孟龙潭在大殿中,转眼不见了朱举人,便很奇怪地问老僧。老僧笑着说:“去听宣讲佛法去了。”孟龙潭问道:“在什么地方?”老僧回答说:“不远。”过了一会儿,老僧用手指弹着墙壁呼唤说:“朱施主游玩这么久了,怎么还不归来?”立即见壁画上出现了朱举人的像,他侧耳站立,像是听见了。老僧又呼唤说:“你的游伴久等了。”朱举人于是飘飘忽忽从墙壁上下来,灰心呆立,目瞪足软。孟龙潭大为吃惊,慢慢问他。原来朱举人刚才正伏在床下,听到叩墙声如雷,因此出房来听听看看。这时他们再看壁画上那个拈花少女,已是螺髻高翘,不再垂发了。朱举人很惊异地向老僧行礼,问他这是怎么回事。老僧笑着说:“幻觉生自人心,贫僧怎么能解呢!”朱举人胸中郁闷不舒,孟龙潭心中则惊骇无主。两人立即起身告辞,顺阶而下出门离去。

异史氏说:幻象由人所产生,说这话的象是一个有道之人。人有淫心,于是产生了轻慢之境;人有污秽之心,于是产生了恐怖之境。菩萨点化愚钝未开蒙之人,千种幻象并起,其实都是人的心在那里妄动啊。菩萨教人心切,可惜他们没有听从菩萨的话而大彻大悟,披散头发遁入深山。

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"Die bemalte Wand"

Meng Longtan, der aus Jiangxi stammte, wohnte in der Hauptstadt bei einem Gelehrten names Zhu. Eines Tages gelangten sie auf einem Spaziergang zu einem kleinen, vernachlässigten Tempel, wo sie nur einen alten Wandermönch antrafen, der dort sein Quartier aufgeschlagen hatte. Als der Mönch sah, daß Besuch eingetroffen war, ordnete er seine Robe und kam heraus, um sie zu begrüßen und im Tempel herumzuführen. In der Haupthalle erhob sich ein Standbild von Zhi Gong, dessen Hände und Füße wie die Krallen von Vögeln gestaltet waren. Die Wände waren mit kunstfertigen Bildern bemalt, und die Gestalten auf ihnen wirkten, als würden sie leben. An der Ostwand war eine Schar von Unsterblichen dargestellt, die Blumen verstreuten. Darunter befand sich ein Mädchen mit frei wehendem Haar, die lächelnd Blumen in der Hand trug: ihr kleiner kirschroter Mund schien zu sprechen, und ihre Augen schienen sich zu bewegen. Zhu Juren betrachtete sie lange. Er bemerkte nicht, wie sein Geist in Verwirrung geriet, er war von ihrem Anblick gefangengenommen.

Plötzlich schien es ihm, als ob er zu schweben anfinge, als ob er auf einer Wolke reiten würde, und er betrat das Bild. An der Art, wie die Hallen und Dächer gebaut waren, erkannte er, daß er nicht mehr in der Welt der Sterblichen weilte. Er sah einen alten Mönch vor sich, der vor vielen anderen das Dharma, das Gesetz Buddhas, predigte.

Zhu Juren mischt sich unter diese Menge. Gleich darauf schien es ihm, als ob ihn jemand heimlich am Arm berührt hätte. Als er sich umwandte, sah er das Mädchen mit dem offenen Haar, das ihn anlächelte und dann entfernte. Er folgte ihr. Sie folgte einer geschwungenen Balustrade und betrat ein kleines Gemach. Zhu Juren blieb stehen; er wagte nicht weiterzugehen. Das Mädchen sah sich nach ihm um und winkte ihm mit den Blumen, die es in der Hand hielt, und Zhu Juren folgte ihr hinein. Als er sah, daß sie allein waren, umarmte er sie, und als sie sich ihm ihm nicht verweigerte, erlaubte er sich mehr. Danach verließ sie ihn, aber bevor sie die Tür hinter sich schloß, schärfte sie ihm ein, keinen Lärm zu machen und nicht zu husten. In der Nacht kam sie wieder zu ihm. Nach zwei Tagen entdeckten sie ihre Gefährtinnen, suchten sie und Zhu Juren auf und neckten sie: "Du trägst doch jetzt sicher ein Kind unter dem Herzen, und da trägst du dein Haar immer noch, als wenn du eine Jungfrau wärst?" Sie brachten ihr Haarnadeln und Ohrringe und bedrängten sie, ihre Haare hochzustecken. Dem Mädchen war dies so peinlich, daß sie kein Wort herausbringen konnte. Daraufhin sprach eine der Unsterblichen: "Schwestern, laßt uns gehen, sonst werden de beiden noch ungehalten über uns." Sie entfernten sich lachend. Der hohe Haarknoten sah aus wie eine Wolke, und die Phönix-Haarnadel hing tief herab: die Frisur wirkte prächtiger als zuvor. Als Zhu sah, daß sie wieder allein waren, umarmte er sie von neuem. Der Duft der Orchideen erfrischte sein Herz, und beide versanken sie in Ekstase.

Plötzlich war von draußen der Lärm schwerer Stiefeltritte zu vernehmen, begleitet vom Klappern von Lederbeschlägen. Eine dröhende, zornige Stimme erklang. Das junge Mädchen erhob sich erschrocken, und als sie und Zhu Jiren nach draußen spähten, erblickten sie einen Gott in einer eisernen Rüstung, der einen großen Hammer in der Hand hielt. Viele Frauen umringten ihn. Der goldgepanzerte Gott fragte: "Seid ihr vollständig hier?" Die Frauen antworteten: "Wir sind alle hier!" Er fuhr fort: "Wenn sich hier Sterbliche aus den unteren Regionen aufhalten, dann müßt ihr das unverzüglich melden, sonst werdet ihr dafür bestraft." Einmütig sagten die Frauen: "Nein, es ist niemand hier." Der Gott wandte sich in seiner glänzenden Rüstung um und machte Anstalten, das Gemach zu betreten und es zu durchsuchen. Das Mädchen zeigte große Angst; ihr Gesicht war totenbleich geworden, und sie sagte voller Furcht zu Zhu Juren: "Beeile dich und verbirg dich unter dem Bett." Sie selbst öffnete eine schmale Seitentür und floh in aller Eile. Zhu Juren lag unter dem Bett, konnte kaum atmen und wagte nicht, sich zu rühren. Das Geräusch von Stiefeltritten erfüllte das Gemach und entfernte sich wieder. Nach einiger Zeit verklang der Lärm der Menge vor der Tür, und Zhu Juren beruhigte sich wieder ein wenig. Aber immer noch blieben einige der Unsterblichen vor der Tür stehen und sprachen miteinander. Lange Zeit blieb er so in dieser fast unerträglichen Lage; in seinen Ohren dröhnte es und seine Augen brannten. Aber es blieb ihm nichts übrig, als zu warten, zu lauschen und darauf zu warten, daß das Mädchen zurückkehrte. Merkwürdigerweise hatte er völlig vergessen, woher er einmal gekommmen war.

Mittlerweile hatte Meng Longtan in der Tempelhalle bemerkt, daß Zhu Juren verschwunden war, und er fragte den alten Mönch danach. Der alte Mönch lächelte und sagte: "Er hat sich aufgemacht, um eine Predigt über das Dharma zu hören." Meng Longtan fragte: "Wo ist er?" Der alte Mönch antwortete: "Nicht weit fort." Dann klopfte er mit dem Finger an die Wand und rief: "Meister Zhu ist schon so lange fort. Warum ist er noch nicht zurückgekommen?" Daraufhin zeigte sich auf dem Wandgemälde sofort das Bild Zhus; er hatte den Kopf geneigt, als ob er lauschen würde. Der alte Mönch rief erneut und sagte: "Euer Freund wartet schon so lange." Daraufhin stieg Zhu Juren von der Wand herab. Er schien untröstlich und sah nur zu Boden. Meng Longtan war erstaunt und erkundigte sich nach der Ursache. Es erwies sich, daß Zhu Juren noch unter dem Bett versteckt gewesen war, als wie mit einem ohrenbetäubenden Donner an die Wand geschlagen worden war, und er nach draußen schaute, um zu sehen, was los war. Sie betrachteten beide noch einmal das Abbild des Mädchens mit den Blumen: ihr Haar wehte nicht länger frei, sondern war zu einem hohen Knoten aufgebunden. Erstaunt wandte sich Zhu Juren an den alten Mönch und fragte ihn, was das bedeuten würde. Der alte Mönch lächelte und sagte: "Illusionen entstehen im Herzen. Wie könnte ein armer Mönch solch ein Rätsel lösen?" Zhu Juren krampfte sich das Herz in der Brust zusammen, und Meng Longtan war zutiefst erschreckt. Beide erhoben sie sich unverzüglich, verabschiedeten sich und verließen den Tempel über die Eingangstreppe.

Kommentar des Chronisten: Die Illusionen werden von den Menschen erzeugt, und der Weise, der dies feststellt, weiß, wie es um das Wesen der Dinge wirklich bestellt ist. Der menschliche Geist wird von Gelüsten umgetrieben, daraus entstehen Mißgunst und Neid. Der menschliche Geist ist unrein, und die Schrecken der Welt haben darin ihre Ursache. Der Buddha erleuchtet die Unwissenden und Verblendeten, und auch dabei erliegen sie unzähligen Illusionen, aber das hat seinen Grund in den Irrtümern, denen der menschliche Geist unterliegt. Die Lehren des Buddha sollen die Menschen erlösen, aber sie verstehen sie nicht zu erlangen keine Erleuchtung, sondern ihr Lebensweg verliert sich wie der eines Wanderers, der sich im Gebirge verirrt.

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Fußnoten

"Gelehrter": 举人 / Jǔ rén, bezeichnet jemanden, der erfolgreich die kaiserliche Beamtenprüfung bestanden hat. Ich habe mich entschieden, statt etwa "Meister Zhu" (was vom Rang her nicht zuträfe, oder etwa "Magister Zhu"(ditto) zu schreiben, dies wie einen Eigennamen zu behandeln.

"Zhi Gong": 志公,einer der Namen, unter denen der buddhistische Mönch Baozhi (寶誌, 418-514 n. Chr.) verehrt wird.

Das freie Haar, das noch nicht zu einem Matronenknoten hochgebunden ist, zeigt an, das es sich noch um ein unverheratetes Mädchen handelt.

"Phönix-Haarnadel": 凤钗, Fèng chāi, eine Schmucknadel, meist aus Metall, deren Ende aufwendig als Phönix, Symbol des Glücks und der Unsterblichkeit, gestaltet ist.





"Kommentar des Chronisten": 异史氏说 / yì shǐ shì shuō: 194 der gut 500 kurzen Erzählungen des 聊斋志异, des "Liaozhai Zhiyi" enthalten eine nachgestellte "Moral" des Autors Pu Songling. Die Standardformel, mit der sie eingeleitet werden, ist eine Anspielung auf Sima Qian, der jedes Kapitel des 史記 / Shiji ,der "Reichsannalen" (geschrieben zwischen 109 und 91 v.Chr.) mit einer moralisch wertenden Passage beschließt, die stets mit der feststehenden Wendung 太史公曰, tài shǐgōng yuē, "der große Historiker/Chronist sagt" eingeleitet wird. Pu bezeichnet sich hier als Chronist des "Seltsamen," "Übernatürlichen," seine Moral ist oft von Ironie über die Unvollkommenheit der Welt (und der Geisterwelt) geprägt.

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Über das Leben von Pu Songling ist außer den wenigen Daten, die es einrahmen, kaum etwas bekannt: er wurde am 5. Juni 1640 in Zichuan (heute Zibo) in der Provinz Shandong geboren, starb dort am 26. Februar 1715 und erhielt erst drei Jahre vor seinem Tod eine kleine Stelle in der örtlichen Verwaltung. Es gab nichts in seinem Leben, daß dazu geführt hätte, daß sein Name in offiziellen Akten verzeichnet worden wäre. Er bestand die kaiserlichen Examina auf Provinzebene, die jedem offenstanden und Grundvoraussetzung für eine Anstellung als Beamter oder offizeller Gelehrter waren, mehrfach nicht und arbeitete meist als einfacher Lehrer. Es wird vermutet, daß er die Erzählungen, die später unter dem Titel "Seltsame Geschichten aus der Stube eines Gelehrten" herausgegeben wurden, vor 1679 verfaßt hat; aus Anspielungen in einigen Texten haben Kommentatoren geschlossen, daß Pu bis 1707 an der Sammlung gearbeitet hat. Die erste Druckausgabe wurde von einem seiner Enkel besorgt; sie soll als privat finanzierter Druck 1740 erschienen sein. Von dieser Ausgabe scheint sich kein Exemplar erhalten zu haben; die älteste erhaltene Druckausgabe stammt aus dem Jahr 1766. Vorher zirkulierten zahlreiche dieser Geschichten in Abschriften als Manuskript; dies hat dazu geführt, das Anzahl und Anordnung der Texte in den unterschiedlichen Ausgaben stark variieren. Die meisten Fassungen des 聊斋志异 / Liaozhai Zhiyi umfassen 431 Erzählungen. Die Gattung des 志怪 / zhiguai, der kurzen, prägnant umrissenen Episode des "Seltsamen" muß dabei nicht zwingend übernatürliche Elemente enthalten; das Bizarre, Skurrile, das sie auszeichnet, hebt sie aber über die Alltagsnormalität hinaus (das ist übrigens keine Besonderheit des chinesischen - oder der davon geprägten japanischen - Tradition: auch die auf Pointen hin gebauten Kurzgeschichten von Autoren wie Ambrose Bierce, John Collier oder Roald Dahl - oder im deutschen Sprachbereich Kurt Kusenberg - verzichten oft auf alle übernatürlichen Beigaben, schließen sie aber im Bedarfsfall selbstverständlich ein.) Einer apokryphen Überlieferung nach soll Pu einige Jahre ein Wirtshaus betrieben haben, in dem er seine Gäste bat, ihm dergleichen Geschichten zu erzählen, die er dann aufschrieb. Von den tatsächlichen Quellen, die ihm als Anregung dienten, ist das 搜神記 , das Shou shen ji ("Aufzeichnungen über die Geister"), das Ban Gao um 320 n.Chr. kompilierte, die wichtigste.

PS.
In meiner chinesischen Ausgabe (中华书局, Zhonghu Shujui, Beijing 2008) findet sich 《画壁》 (huà bì) übrigens als sechster Text der ersten Abteilung auf den Seiten 4 und 5.



U.E.

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