5. September 2020

Wenn "Meinung" und "Person" nicht mehr getrennt werden dürfen.

Ein Gastbeitrag von Frank2000.

Ist eigentlich noch im kollektiven Gedächtnis verankert, dass es mal eine Zeit gab, in der das "Pseudonym" nichts anrüchiges war, sondern völlig normal?

"Anonym" ist ja so eine Sache. "Anonym" kann ein Beitrag in der heutigen Zeit eigentlich nur noch dann sein, wenn mittels prädigitaler Medien gearbeitet wird - und damit gleichzeitig die Reichweite der Botschaft auf "vollkommen bedeutungslos" gesenkt wird. Ich könnte Papier kaufen und mit ausgeschnittenen Textschnipseln einer Tageszeitung einen Beitrag verfassen und an eine Laterne kleben. Das wäre weitgehend anonym, vorausgesetzt, ich trage dabei Handschuhe und verwende als Rohmaterial eine Tageszeitung, deren Auflage noch so hoch ist, dass die Käufer nicht namentlich bekannt sind.

Als andere ist nicht "anonym". Genügend Zeit& Geld vorausgesetzt, kann so ziemlich jeder Autor im Internet ermittelt werden. Jeder Druckauftrag an eine Druckerei ist nachverfolgbar. Selbst Ausdrucke von Farbdruckern sind nachverfolgbar. Wir leben schon lange in einem Überwachungsstaat und merken das nur deswegen nicht, weil die Überwachungswerkzeuge in der Regel nicht BENUTZT werden - aber VORHANDEN sind die Werkzeuge schon lange. Deswegen geht es beim Schutz von Privatsphäre und Meinungsfreiheit nicht um "Anonymität", egal was die MSM behaupten. Es geht um das Recht, ein Pseudonym zu nutzen. Und das bedeutet: im Falle einer Strafverfolgung kann sehr wohl der Autor ermittelt werden. Aber der LESER kennt den realen Autor nicht.

Und jetzt stellen wir uns mal jaaanz dumm und frajen: "Watt is n Dampfmaschin?" äääh, also: "Warum sollte ein LESER den realen Autor kennen müssen"? Diese Frage ist nämlich bei weitem nicht so eindeutig, wie die Politik behauptet.

Am Anfang stand die Pflicht zur Angabe einer realen Person nämlich nur für digitale Medien, die dem Verbraucherschutz unterworfen waren. Verknappt gesagt: ein Käufer sollte die Möglichkeit zur direkten Klärung haben, ohne ein Gericht einschalten zu müssen. Selbst das könnte man anders organisieren - aber geschenkt. Die überwältigende Mehrheit wird wohl zustimmen, dass bei allen Interaktionen, die dem Verbraucherschutz unterliegen, eine Impressumpflicht sinnvoll ist.

Dann wurde die Impressumpflicht auf Medien ausgeweitet, die gewerblich Informationen vertreiben. Das finde ich schon bedenklicher - weil das ein Dammbruch war. Und tatsächlich: seit 2007 müssen alle digitalen Medien, die nicht ausdrücklich (!) und erkennbar (!) privaten Charakter haben, ein Impressum mit Angabe einer realen person haben. Es wäre also zum Beispiel zulässig, einen privaten Blog zu betreiben, um mit Familienmitgliedern ein Familienfest zu organisieren und zu dokumentieren. Aber bereits dann, wenn wiederholt (und das beginnt juristisch beim dritten Mal) in einem Blog eine politische Meinung geäußert wird, muss man damit rechnen, dass der Blog nicht mehr als "private Kommunikation" eingestuft wird.

Und es soll jetzt bitte keiner mit dem Argument kommen, dass die Realnamenpflicht ein Element des Zivilrechts wäre, zum Beispiel um einen Ansprechpartner bei einer Beleidigung zu haben. Bei einer Beleidigungsklage schaltet sich sowieso ein Anwalt ein, niemand vertritt so was selbst vor Gericht und ein Anwalt könnte auf Herausgabe des Realnamens eines Pseudonyms bestehen. Für Beleidigungsklagen braucht man keine Realnamenpflicht.

Im Grunde wiederholt sich bei den digitalen Medien das, was in der Papierwelt bei Zeitungen & Co bereits seit langem Regel ist: der reale Autor einer Meinung soll für die Öffentlichkeit sichtbar sein. Und noch mal die Frage: warum?
Bei strafrechtlich relevanten Ereignissen kann ein Pseudonym leicht zur realen Person zurückverfolgt werden. Darum geht es also nicht. Warum sollte ein Leser fast schon zwangsweise den realen Autor aufgedrückt bekommen? Oder anders ausgedrückt:

Sollte eine Botschaft unabhängig von dem Boten erlaubt sein?

Ist eine Meinung mehr wahr, wenn ich eine reale Person dahinter kenne? Im Einzelfall ist das tatsächlich so. Es gibt sicher Menschen, die "mit ihrem guten Namen" für eine Botschaft bürgen. Und? Es wird ja niemandem verboten, seinen realen Namen im Blog oder in Twitter oder wo auch immer zu nennen. Der umgekehrte Fall ist doch der interessante: Muss ich den "Bürger" SCHÜTZEN vor einer "abstrakten Meinung, einer Meinung ohne reale Person"? In früheren Jahrhunderten war es völlig normal, dass ein Autor, ein Poet oder sonst jemand ein Werk unter "falschem Namen" veröffentlichte: unter einem Pseudonym. Die Leser konnten selbst entscheiden, wie sehr sie sich von dem Text angesprochen fühlten, ob die Thesen, Geschichten, Meinungen oder Forderungen sie berührten oder nicht.

Heutzutage ist das unerwünscht. Ach was: es ist verboten. Und noch mal die Frage: warum?
Zwei Erklärungen drängen sich auf.

1. Erklärung
Der Staat glaubt, dass die Bürger derart dumm, ungebildet, verführbar und einseitig belesen sind, dass ein anonymer Text dazu führen wird, dass Menschen geisteskrank werden und Gewalt und Unterdrückung ausüben. Dieses Argument fällt in die Kategorie "Volksverhetzung". "Volksverhetzung" ist also zum Beispiel, wenn eine Bundeskanzlerin sagt: "Da dies absehbar war in der Konstellation, wie im dritten Wahlgang gewählt wurde, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden muss." Ach nein, ich vergaß. Merkel ist sakrosant, "Volksverhetzung" machen immer nur "die Rechten". Und schwups: schon erkennt man das Problem mit der "Volksverhetzung":
-- Wer ist "das Volk"
-- Und wer legt fest, was "Hetze" im allgemeinen ist und "verhetzung" im speziellen?

Schlichtes "Lügen" ist keine Hetze. Nicht nur, dass "Lügen" prinzipiell erlaubt ist (wäre auch schlimm, wenn nicht): was "Hetze" ist, legt die Mehrheitsmeinung fest. Damit ist der Paragraf der "Volksverhetzung" ein Schutzmechanismus für die Mehrheitsmeinung. Indymedia zum Beispiel gilt nicht als "Volksverhetzend", obwohl dort regelmäßig offen zu Mord und Totschlag aufgerufen wird.

Und so ganz nebenbei ist "Volksverhetzung" ebenfalls über das Strafrecht erfassbar; dafür müsste man ebenfalls nicht die Pseudonyme verbieten. Mindestens in den seltenen Extremfällen kann man Volksverhetzung über das Strafrecht unterbinden (wie oben ausgeführt zwar extrem selektiv, aber das ändert ja nichts daran, dass diese seltenen Extremfälle auch hässlich sind).

Es drängt sich also eine andere Erklärung auf....

2. Erklärung
Die Gesetzgeber hoffen, dass der Zwang zur Veröffentlichung des realen Person "disziplinierend" wirkt - und zwar außerhalb der strafrechtlichen Prozesse. Das sollte man ganz langsam sacken lassen... was bedeutet da "disziplinierend"? Nichts anderes als die Hoffnung, dass soziale und nicht-staatliche Sanktionen bestimmte Meinungen aus der Öffentlichkeit verdrängen. Tatsächlich wird es wohl sehr viele Deutsche geben, die GENAU DAS möchten. In diese Kategorie fällt die linke These "Hass ist keine Meinung" und was dann "Hass" ist, der aus der Öffentlichkeit entfernt gehört, legt wieder äääh, naja, zumindest nicht das Grundgesetz fest. Sondern eher die "Aktivisten".

Inzwischen wurde diese linke These auch geadelt mit dem "Netzwerkdurchsetzungsgesetz", dass in der Öffentlichkeit ganz offen erläutert wird als "Gesetz gegen Hassbeiträge". Und auch hier erneut zur Klarstellung: weder die Hassbeiträge auf indymedia, noch die Hassbeiträge im Spiegel online noch die Hassbeiträge in islamischen Predigten sind Ziel des "Gesetzes gegen Hassbeiträge". Sondern es soll - und das sagen die Politiker GANZ OFFEN eine bestimmte Form von "Hass" verfolgt werden. Selektiv eben.

Aber kommen wir zurück zum "disziplinieren". Wenn die sehr seltenen Fälle von extremer Verhetzung (natürlich nur von "rechts"; "Linke" dürfen Hetzen) sowieso über das Strafrecht erledigt werden, dann könnte es ja trotzdem ein "Mengenproblem" geben. Es könnte ja sein, zumindest in der Gedankenwelt der Gegner der Meinungsfreiheit, dass es "zu viele böse Meinungsbeiträge" gibt und der Staat allein die nicht alle beseitigen kann. Zum Beispiel könnte es ganz fiese "Rechte" geben, die ihre Gedanken-verseuchenden Beiträge so formulieren, dass diese grade eben nicht strafrechtlich relevant sind. Oder es könnte sein, dass in der Zeit, bevor man einen Gedanken-verseuchenden Beitrag löschen und den Autor verurteilen konnte, schon ein schwacher Geist das gelesen hat und vom rechten Pfad abgekommen ist. 'Tschuldigung. Vom linken Pfad, natürlich.

Aber wenn man die Realnamenpflicht einführt, dann könnten doch die Bürger selbst, zumindest die sozialistische Avantgarde - die "Aktivisten" - mit "aufräumen.... ?

Die Zwang zum Impressum bei Blogs hat durchaus Konsequenzen. Denn als kleiner, nicht-gewerblicher politischer Blogger muss ich damit rechnen, dass "Aktivisten" mich in der realen Welt angreifen: mit Mobbing, mit Diskreditierung beim Arbeitgeber, übler Nachrede in der Nachbarschaft, bis hin zu Sachbeschädigung und Körperverletzung.

Und ich behaupte: genau das ist von vielen Politikern gewollt. Das ist die gewünschte "Disziplinierung".

(Anmerkung: Dieser Gastbeitrag findet sich im kleinen Zimmer schon an anderer Stelle (unter "Weitere Themen"), daher wird an dieser Stelle auf den entsprechenden Beitrag verlinkt.)
Frank2000

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