11. Mai 2020

SpX-DM2 und darüber hinaus. Nebst der Beantwortung der Frage: "Wer ist Elon Musk"?

­Lieber Leser, man mag es ja in diesen Zeiten kaum glauben, und doch ist es so: es gibt ein Leben außerhalb von Corona. Es gibt Projekte, Vorhaben, Unternehmungen, die (bislang jedenfalls und vorerst) von der viralen Heimsuchung der Welt nicht tangiert worden sind - was sich natürlich im Zuge dessen, was Nassim Nicholas Taleb den "Fat Tail" der Epidemie (also den ökonomischen Folgen und den kaskadierenden Tertiäreffekten) genannt hat, noch anstehen kann. Dazu gehört die Wiederaufnahme, wie zögerlich auch immer, jenes Projekts, das in der Mitte des 20. Jahrhunderts unter dem griffigen, aber weit zuweit ausgreifenden Motto "die Eroberung des Weltraums" zuerst angegangen wurde. Hier nun der aktuelle Stand, was die kleinen Mosaiksteinchen betrifft, aus denen sich, vielleicht, möglicherweise, eine Brücke (oder, um im Bild zu bleiben: eine Furt) ergeben wird, die der Menscheit eine wie klein auch immer geratene Basis außerhalb ihrer evolutionären Wiege auf dem dritten Planeten des Sonnensystems errichten könnte. Und zwar in aufsteigender Reihe: vom nüchtern Praktisch-Pragmatischen übers Größenwahnsinnige bis hin zum vollends bengalisch irrlichternd Megalomanischen.

Doch zunächst zum Wichtigen: Die Frage: "wer ist Elon Musk?" läßt sich recht schlüssig bescheiden. Die Antwort lautet:

Elon Musk ist D. D. Harriman.



Oder, um seinen vollen Namen zu nennen: Delos David Harriman. Wenn Ihnen, lieber Leser, dieser Name nichts sagt, so stehen Sie damit nicht allein da. Nicht einmal Lesern jener Literaturgattung, die sich im vergangenen Jahrhundert die imaginäre Auslotung des kommenden aufs Panier schrieb und für die "nahe Zukunft zumeist das Jahr 2000 und die sich anschließenden Dezennien vorsah, wird er geläufig sein. Das war bis vor gut 30, 40 Jahren anders, als die Erzählungen und Romane der Science Fiction des "Goldenen Zeitalters", das im englischen Sprachraum die Jahre 1939 bis 1950 umfaßt, zum Traditionsbestand dieses volatilen Genres gehörten. Der Zeitraum ergab sich aus dem Umstand, als John W. Campbell, Jr., der Herausgeber des damals führenden Pulp-Magazins Astounding Science Fiction daran ging, seikine Publikation von einer Spielwiese von Abenteuergeschichten vor interstellarem Hintergrund in ein Medium zur informierten futuristischen Spekulation umzubauen und seine Autoren die Tropen, Erzählweisen und Themen zu entwickeln begannen, um diesen Anspruch - bei allem Unterhaltungswert und grellen Kolportage - auf jene spezielle Weise umzusetzen, die bis heute den Reiz der anspruchsvolleren Werke der Gattung auszeichnet. Man mag etwa Isaac Asimovs Fall und Neuaufstieg eines zentralistischen Milchstraßen-Imperiums, die "Foundation"-Romane, für naiv, langweilig, psychologisch nicht-einmal-krude halten. Aber ihre Folie sind nicht mehr die klassischen Abenteuerromane der 19. Jahrhunderts, sondern Edward Gibbons The Decline and Fall of the Roman Empire und der Peloponnesische Krieg des griechischen Historikers Thukydides, und ihr Movens ist das Nachdenken für die Natur und die Treibkrafte, die sich in den wechselhaften Geschicken von Nationen und und diesem Fall transnationalen Imperien wirksam zeigen. Und der ersten Autor, der diese neue literarische Richtschnur wie keiner seine Zunftgenossen verkörperte, war Robert A. Heinlein (1907 bis 1988), der in der ersten Phase seines Schreibens vor allem durch zwei Innovationen glänzte: zum einen die Methode, die geschilderte Welt der Zukunft nicht in langwieriger Exposition und detailfreudigen Erläuterungen auszuschildern, sondern dem Leser schichtedurch beiläufig eingestreute, en passant aufblitzende Details ein Gefühl dafür zu geben: Tomorrow will be different! (Mir wurde dies erst in dieser Woche wieder deutlich, als ich im Zug derVorbereitung für diesen Blogpost Heinleins ganz frühe Kurzgeschichte "We Also Walk Dogs - " (Astounding Science Fiction, März 1941) wieder las. Der Inhalt tut hier nichts zur Sache - es handelt sich um eine Firma, die jeden noch so unmöglichen Auftrag zu erledigen weiß, solange die Naturgesetze dem nicht im Wege stehen. Aber der Text hebt an:

Grace Cormet’s telephone buzzed. She took it out of her pocket and said, ‘Yes?’ The screen came to life, showing Mrs Johnson’s fleshy face alone, framed in the middle of the screen in flat picture.

(Man muß sich in der Ära der Smartphones erst einmal handfest vor Augen führen, daß zur Zeit, als der Text entstand, Wählscheiben eine funkelnagelneue Innovation darstellten und auf dem Land das "Fräulein vom Amt" noch auf Jahre die Verbindungen per Stöpselkontakt herstellen würde; ihr Mithören bildete noch bis in diie fünfziger Jahre eine feste Trope für Situationskomödien und die Zeugenschaft in Mordgeschichten. Ein Telephon für die Tasche, noch dazu mit einem Bildschirm ausgestattet, war im Sinne des Wortes Nietzsches Zukunftsmusik.)

D. D. Harriman nun ist der Protagonist von Heinleins dritter veröffentlichter Kurzgeschichte "Requiem", in der Januarnummer 1940 zuerst in Astounding SF erschienen (nach "Life-Line" im August 1939 und "Misfit" vom November). Diese Texte weisen zudem auf Heinleins zweite Innovation: sie bilden Episode seiner "Future History", einer stringenten, sich logisch entwickelten Geschichte der Zukunft, deren Ereignisse aufeinander aufbauen und die die einzelnen Texte in einen größeren Kontext einreihen, der nicht mit jedem Mal vor dem Leser erneut aufgerollt werden muß, die zentrale Episoden aus dem sich entfaltenden zukünftigen Panorama illustrieren. (Zwei Anmerkungen: Heinlein war nicht der erste Autor, der ein solches nach-vorn-gerichtetes Panorama entwickelt hat. Olaf Stapledon hat 1930 in seinem Roman Last and First Men eine im großen, größten, historischen Zügen angelegte Universalgeschichte der Menschheit über die nächsten zwei Milliarden Jahre vorgelegt; aber dieser Text bietet nicht Halt für einzelne Geschichtgen, sondern ist tatsächlich wie eine alles Individuelle hinter sich lassende Universalhistorie gehalten, gewissermaßen ein nach vorn schauendes Pendant zu Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes. Zum anderen war Heinleins kleines Diagramm über die kommenden Ereignisse - der erste Entwurf umfaßte eine halbe Druckseite in Astounding, ebenfalls in der Ausgabe vom März 1941; der zweite fand sich als Anhang der Sammlung The Man Who Sold the Moon von 1950 und die Endfassung erschien 1967 im Band The Past Through Tomorrow, der alle Texte mit diesem narrativen Hintergrund bündelte - als reine Gedächtnisstütze gedacht, um für künftige Erzählkungen einen stichwortartigen Rahmen zu setzen; der Kalnder reichte nur 150 Jahre in die Zukunft.) Im Konnex dieser Future History ist D. D. Harriman der amerikanische Unternehmer, dessen Intitiative der Menschheit den Zugang zum All erschlossen hat; ohne seine Umtriebigkeit und seinen Erfindergeist hätte sich dieses Unterfangen nie vom Boden erhoben. Der spägtere, gut 100 Seiten lange Text, der der gerade erwähnten Sammlung den Titel verliehen hat, zeigt die Winkelzüge, die Bluffe und Finten, mit denen Harriman der Welt "den Mond verkaufte", wie er seine Konkurrenz ausschaltete, mit als Partner an Bord nahm, von seinen Ingenieuren die technischen Lösungen entwickeln und zur Serienreife bringen ließ - nicht zuletzt angetrieben vom Stolz, weil die gesamte Geschäftswelt ein solches Ziel - und noch dazu von einem Privatmann betrieben, ohne die Unterstützung einer Regierung oder des Militärs! - apodiktisch zu einem Ding der Unmöglichkeit erklärt hatte.

(Bei diesem Passus sollte deutlich werden, warum ich auf meine zunächst leicht frivol anmutende Gleichung gekommen bin. Daß Musk sich von Texten der SF und ihren optimistischeren Can-Do-Attitüden inspierieren läßt, ist kein Geheimnis: Die Namen der beiden schwimmenden, unbemannten Landeplattformen für die Falcon-Startstufen, Of Course I Love You und Just Read The Instructions, sind der überbordenden Space Opera The Player of Games von Iain M. Banks aus dem Jahr 1988 entnommen.)

In "Requiem", einem kurzen (knapp 10 Seiten langen) Text, ist die Stimmung elegisch - nichts von der zupackenden Hauruck-Einstellung, die die Texte des Autors sonst charakterisiert. Harriman, dem seine angeborene Herzschwäche stets verwehrt hat, selbst dem von ihm gewiesenen Weg zu folgen und die Erde zu verlassen, besticht zwei seiner altgedienten Piloten, ihn doch mit auf den Flug zum Erdtrabanten zu nehmen, obwohl, nein, gerade weil er weiß, daß seine schwache Konstitution dies nicht überstehen wird. Der Mond, das ewig, unerreichbare Ziel, wird sein Grab werden. (Filmfans mögen im Schlußtableau von Clint Eastwoods Ausflug ins Genre, Space Cowboys von 1998, ein Echo dieses Finales erkennen.) Arthur C. Clarke - neben Heinlein und Asimov der dritte maßgebende Autor dieses "goldenen Zeitalters", verdanken wir die Beobachtung, daß Harrimans ungewöhnlicher Vorname "Delos" auf jene griechische Insel verweist, au der der Sage nach der göttliche Namensgeber des ersten Mondprogramms geboren wurde: Apollo.

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In medias res.

1. SpX-DM2
 

Das kryptische Kürzel steht für SpaceX - Demo (Flight) 2. Unter dieser offiziellen Bezeichnung soll am 27. Mai 2020, also in gut zweieinhalb Wochen, der Start einer Crew Dragon-Kapsel an der Spitze einer Falcon Heavy von der "Mondstartrampe", dem Launch Complex 39A in Cape Canaveral erfolgen. Es ist der erste Start eines bemannten amerikanischen Raumfahrzeugs, seit die Ära des Space Shuttles im Juli 2011 (am 21. Juli, dem Jahrestag der ersten Mondlandung, nota bene) mit der Mission STS 135 des Shuttles Atlantis zu Ende gegangen ist. Seitdem sind die Zubringerdienste (jedenfalls was lebende Fracht betrifft) von dem russischen Sojus-Kapseln von Baikonur aus erfolgt. Die beiden Astronauten Douglas Hurley und Robdrt Behnken haben sich vor zwei Tagen, am Freitag, in Selbstisolation begeben, um zu verhindern, daß SARS-CoV-2 bei Grenze des Irdischen überschreitet (um auf die Science Fiction zurückzublenden: das Szenario einer Seuche, die ein Raumschiff oder eine Kolonie auf fernen Planeten heimsucht, ist im Genre hunderte von Malen durchgespielt worden, auch Zuschauern von Star Trek dürfte dabei so manches Déjà Vu beschert sein). Die Zeitspanne von 19 Tagen sollte zumindest ausreichen, um durch einen Antikörpertest für Sicherheit an der Infektionsfront zu sorgen (nach dem Stand der medizinischen Erkenntnis bildet das Immunsystem 8 Tage nach einer Infektion Antikörper aus) und im Fall des Falles die Ersatzmannschaft von Michyael Ss. Hopkins und Victor J. Glover einspringen zu lassen. Ein solches Verfahren ist in den beinahe sechs Jahrzehnten der bemannten Raumfahrt stets Standard gewesen. Es ist auch immer wieder zur Anwendung gekommen - am sinnfälligsten vielleicht im Fall des Mitentwicklers des Plasma-Raketenantriebs VASIMR, Franklin Chang-Diaz, der für seinen ersten Raumflug als Kopilot eines Space Shuttles vorgesehen war, und eine Woche vor dem Start von einem Waschbären gebissen wurde, der sich auf dem Gelände seines Nachbarn im Maschendraht eines Hühnergeheges verfangen hatte, und bei dem das zumindest niederschwellige Risiko auf eine Tollwutinfektion betsand. Durch den Austausch mit seinem Ersatzmann blieb ihm das Schicksal der sieben Challenger-Astronauten erspart, die im Januar 1986 bei der Explosion des Raumgleiters starben. Das hat ihn nicht gehindert, an vier weiteren Shuttle-Missionen teilzunehmen. Das Ende von Demo Flight 2 ist bislang nicht festgelegt; die Dauer der Mission kann von 30 bis zu 120 Tagen variieren. Für Hurley und Behnken ist es jeweils der dritte Raumflug.

(Im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme amerikanischer Flüge zur ISS - und da das Thema "Kintopp" bereits angesprochen wurde - sei als Kurisoum die Meldung der NASA aus der vergangenen Woche erwähnt, Tom Cruise plane, vor Ort auf der Raumstation einen Actionfilm abzudrehen, mit krasser Schwerelosigkeit und so... Freilich ging aus der Meldung auch hervor, daß sich dieses Vorhaben vorerst nur im Stadium des Brainstormings bewegt. Auch hier zwei Amerkungen: 
Zum einen existiert, in nuce, ein solches Unterfangen, im Handtellerformat, bereits. Richard Garriott, selbst Sohn eines Astronauten, der 1973 zur dritten Besatzung von Skylab gehörte, und als Computerspielentwickler zu Reichtum gekommen, verbrachte im Oktober 2008 als "Gastastronaut" elf Tage auf der ISS und drehte dort mit einer kleiinen Digitalkamera und der Mitwirkung seiner Raumfahrerkollegen die Szenen für den achtminütigen Kurzfilm "Apogee of Fear", in dem es um das rätselhafte Verschwinden und Wiederauftauchen eines Besatzumgsmitglied der ISS geht: Halluzination? Das Einschießen des Übernatürlichen? Haben Aliens ihre Tentakel im Spiel? Seine Neigung zu praktischen Scherzen scheint Garriot übrigens von seinem Vater Owen geerbt zu haben, während dessen Aufenthalt auf Skylab sich überraschend eines  Nachts eine Frauenstimme aus dem Orbit meldete und sich bei der Bodenkontrolle über furchtbare Unordnung und saumselige Haushaltsführung im Junggesellenquartier im All beschwerte (Garriott sen. hatte diesen Scherz im Vorfeld seines Raumflug mit seiner Frau ausgeheckt und sie eine Tonbandkassette besprechen lassen.
Zum zweiten ist das Innere eines Raumschiffs - oder einer Raumstation, oder eines U-Bootes - so ziemlich der ungeeigneteste Ort, um einen Film über ein Raumschiff, oder ein Tauchboot - in Szene zu setzen. Wer einmal einen Filmset gesehen hat, weiß, daß die Interieurs, die dem Zuschauer geschlossene Innenräume vorgaukeln, nur zur Hälfte bis zu einem Drittel realiter existieren. Die Beleuchtung, die Kameras, die Mikrophongalgen, all das benötigt Freiraum und Bewegungsfreiheit. Exemplarisch für das Genre des Weltraumfilms hat dies George Pal festgestellt, als er zwischen 1948 und 1950 den ersten SF-Film inszenierte, den sich Hollywood nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegönnt hat, seinen Erstlingsfilm Destination Moon, der - genau - die Geschichte der ersten Mondlandung nach dem Drehbuch von Robert A. Heinlein filmisch erzählt und in desen Zusammenhang "The Man Who Sold the Moon" entstand; der Film kapriziert sich dabei auf den Verlauf des Mondflugs; Heinleins Novelle auf die Organisation und die genauen technischen Aspekte der Rakete. Pal stellte fest, daß das nach den Maßgaben der Vorlage gebaute Modell der bemannten Raketenspitze absolut ungeeignet war, um die Schauspieler auszuleuchten, die Kamera zu positionieren und mehr als extreme Nahaufnahmen einzufangen. Der Neubau der Kulissen in drei Halb-Aufrisse führte zu der ersten Verzögerung, die sich dann zu einer Produktionsdauer von zwei Jahren auswuchsen, in einer Zeit, in der für Filme selbst aufwendigen Zuschnitts maximal sechs Monate vorgesehen waren. 
Ich entnehme diese Details Heinleins Bericht über die Dreharbeiten, in der Juliausgabe 1950 von Astounding unter dem Titel "Shooting Destination Moon" erschienen und in dem von Yoji Kondo 1992 herausgegebenen Gedenkband Requiem nachgedruckt, in dem sich auch die titelgebende Erzählung findet.)

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2. Starlink 6

Mit dem Start der sechste Tranche der Starlink-Satelliten am 22. April umfaßt dieses Kommunikationsnetz für künftige weltraumgestützte Internetverbindungen die Hälfte der für einen ersten, schmalbandigen Einsatz notwendigen Knotenpunkte. Die bisherigen Planungen sehen vor, daß der erste Betrieb mit gut 800 Satelliten entweder Ende dieses oder zum Beginn des nächsten Jahres aufgenommen werden kann. Ab dem nächsten Start im Mai sollen die Satelliten auch sämtich mit einer schwarzen, reflexunterdrückenden Schicht überzogen werden, um die gleißenden Lichtspuren zu vermeiden, die die bisherigen Satelliten am Himmel hinterließen und die in den letzten 18 Monaten unter den Astronomen durchaus für Entsetzen gesorgt haben, dxie von der Aussicht, daß ihnen in wenigen Jahren bis zu 40.000 Kunststerne jedes Bild, jede Langzeitaufnahme des Alls ruinieren könnten. Zwar würden bei einer dunklen Albedo die Satelliten weiterhin dünne Spuren über jedes Bild ziehen, aber dies würde nur wenige Pixel betreffen (die sich mit entsprechenden Programmen leicht aus den Ausnahmedatewn herausfiltern ließen, so wie es, analog, auch bei der Aufbereitung kratzender und knirschender Schellack-Tonaufzeichnungen für elektronische Formate seit Jahren geschieht), anstatt der breiten Leuchtspuren, deren Glanz alle Aufnahmen zuverlässig ruinieren kann. Mit der Symbolik, ohne die es in diesem Bereich wohl nicht zugehen kann, stellten ein paar Wits fest, daß mit dem 22.4., in amerikanischer Schreibweise 4/22, nun 420 Satelliten des Nwetzwerkes eiinsatzbereit seien (beziehungsweise es nach Erreichen ihres Zielorbits in einigen Wochen sein würden): Der eigentliche Startterming vom 20. April mußte verschoben werden: Symbolik verfehlt! Die Antwort Musks: Irrtum! es sind 422 Erdbegleiter, einschließlich der beiden allersten Testmodelle vom April 2018. Symbolik gerettet.

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3. HLS. Zurück zum Mond

Am 30. April hat die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA drei Firmen mit einem Finanzvolumen von insgesamt 876 Millionen US-Dollar ausgestattet, um über die nächsten 10 Monate detaillierte Pläne für ein HLS vorzulegen. Das Kürzel (wie bei allen Behörden grassiert auch dort seit der Gründung von 62 Jahren der Aküfi) steht für Human Landing System und meint ein Mondlandegerät, das für die bemmannte Landung auf dem Erdtrabanten ausgelegt ist. Diese soll im Rahmen des Artemis-Programms im Jahr 2024 erfolgen. Es ist dabei unerheblich, welche Konzepte genau verfolgt werden: ob das Mondschiff als einstufige Variante fliegen soll (so wie SpaceX das mit einer angepaßten Version seines "Starship"-Konzepts verfolgt), oder in zweistufige Version, bei der die Landestufe der leichteren Startkapsel beim "Rücksturz zur Erde" als Startplattform dient, wie es auch bei dem Lunar Excursion Modules des Apollo-Programms der Fall war. Den Zuschlag erhielten SpaceX, Jeff Bezos' Blue Origin, auf der Basis der zurzeit entwickelten Rakete New Glenn und die Firma Dynetics aus Huntsville, Alabama. Die erste unbemannte Landung auf dem Mond steht momentan für das Jahr 2022 in den Planungen.



(2021-2022: Starship am Ziel)

(Und die beiden Anmerkungen: in diesem Bereich dürften die Unsicherheiten am größen sein. 
1. Starlink ist durch die privaten Investoren aus aller Welt finanziert und funktioniert ab dem nächsten Jahr in jedem Fall, wenn auch womöglich in reduzierter Weise. 
2. Das Artemis-Programm ist in Gänze von der Finanzierung durch den amerikanischen Kongress abhängig und dessen finanziellen Kapazitäten und Prioritätensetzungen. Sollte sich im Kielwasser der Corona-Epidemie eine Weltwirtschaftskrise epischen Ausmaßes anbahnen - was leider eine hohe Wahrscheinlichkeit für sich hat - dürfte es nicht überraschen, wenn die "Zukunft des Menschen im All" - vor allem wenn es sich dabei nur um eine symbolische Präsenz ohne jeden Nutzen handelt - gegenüber den anstehenden handfesten irdischen Sorgen sehr weit hinten anstehen könnte.)




(1950: Standbild aus Destination Moon. Man beachte bei beiden Bildern die niedrig über dem Mondhorizont stehende Erde, die einen Landeplatz in der Nähe des Mondnordpols anzeigt. Bei einer Landung am Äquator - wie dies aus energetischen Gründen beim Apollo-Programm erfolgte, steht der blaue Planet im Zenith. Chesley Bonestell (1888-1986), lange Zeit der berühmteste "Space artist", für seine realistischen Darstellungen außerirdischer Landschaften berühmt und für die Hintergründe in Pals Film zuständig, wählte für den Film den Krater Harpalus mit 52° nördlicher Breite als Destination, um bei den Zuschauern keine Irritationen auszulösen, "warum vom Mond aus die Erde nicht sichtbar sei.")

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4. Der  rote Planet - eine Million Marsianer

An dieser Stelle wird es vollends wahnsinnig. (Ich kann nichts dafür; ich berichte das nur.) Elon Musk plant also, wie er in einer Pressekonferenz am 22. Januar 2020 bekanntgab, bis zum Jahr 2050 eine Million Menschen auf dem Mars anzusiedeln. Man muß sich das ein paar Mal durchlesen, um es glauben zu können. Nach den Plänen - die bezeichnenderweise jedes Detail vermissen lassen - sollen dafür an jedem Tag drei Starts der jetzt noch in Entwicklung befindlichen gigantischen Rakete Starship, mit jeweils 100 Mann Besatzung, starten. Aus dem Mars sollen sie die gelandeten Raketen zunächst als Wohnquartiere verwenden, zahllose weitere Flüge sollen Baumaterialien und technische Ausrüstung liefern. Im Musks Pressekonferenz hörte es sich sinngemäß so an: es würden mindestens 10 Frachtflüge auf einen Passagierflug entfallen, wahrscheinlicher seien 100, "so we are likely talking about a hundred thousand rather than ten thousand flights." Als Grundvorausetzung wurde noch erwähnt, daß es nötig sei, gefrorenes Wassereis in großer - und reiner - Menge aus dem Permafrostboden gewinnen zu können. Ziel sei es, daß sich eine solche Kolonie möglichst autark mit allem, was vor Ort zu gewinnen sei, versorgen könne. (Gedanken in dieser Richtung wurden an dieser Stelle in der kleinen Erzählung "Feu d'artifice: Chryse Planitia, 1. Januar 2100" entwickelt, die vor drei Jahren an dieser Stelle erschienen ist.) Die Ankündigung hat die "Mars Society" dazu gebracht, im Februar 2020 einen Wettbewerb auszuschreiben, wie Pläne für eine Marsstadt für eine Million Bewohner auszusehen hätten (man sollte an dieser Stelle hinzufügen, daß die M.S., eine private Organisation von Weltraumenthusiasten, die seit gut 20 Jahren Camps in den Rocky Mountains und auf den Vulkanan Hawaiis organisiert, in denen "Kolonisten" für ein paar Monate "Marserkunder" spielen dürfen und die dem Namen nach der Erkundung der psychischen Auswirkungen solchen Aufeinanderhockens dienen, in den letzten Jahren immer mal wieder solche Wettbewerbe lanciert hat, ohne praktische Folgen natürlich.) 



Welche Infrastruktur nötig ist, um so viele Menschen in einer absolut lebensfeindlichen Umgebung überhaupt am Leben zu erhalten, wie sich selbst erhaltende Lebenssysteme auszusehen hätten, wie all das, was nötig ist, um eine Biosphäre, und gar von dieser Größe, dauerhaft laufen zu lassen - ohne die Akkumulation von Schadstoffen, von Fehlern, von schlichter Entropie - wie das ökonomische Kalkül auszusehen hätte, das die Entstehung eines solchen Tollhauses erst ermöglichen würde - welchen SINN ein solches Unterfangen überhaupt erfüllen könnte - welche Zukunft ihm beschert sein könnte (eine solche Unternehmung ist von ihrer Dimension ja nicht auf ein paar Jahre oder Jahrzehnte terminiert, sondern auf Dauer abgestellt) - lassen wir all das einmal außen vor. Wir haben es hier mit den Delirieren eines Kindes zu tun, das sich am rituellen Aufzählen möglichst großer Zahlen berauscht, so möchte man als Zyniker formulieren. Im Bereich der SF hat dergleichen einen gewissen, wenn auch bescheidenen Reiz, zumal im oben genannten Zeitraum (die Space Operas etwa eines E.E. "Doc" Smith, die Lensman-Serie etwa, leben vor dergleichen: tausendfache Lichtgeschwindigkeit? Ach was! Millionenfache Lichtgeschwindigkeit!). Man mag sich, zur Not, noch vorstellen, daß im Laufe dieses Jahrhunderts eine Raumfahrtnation, oder deren mehrere als Demonstration der Verbundenheit, einen kleinen Außenposten auf dem Nachbarplaneten der Erde einrichten - Symbol der letzten Grenze, zu der derr Mensch wahrscheinlich jemals vorstoßen wird (darüber hinaus beginnt das Reich der Automaten, der Sonden, der Roboter) vergleichbar den Stationen auf dem gefrorenen sechsten Kontinent. Aber solche Pläne sprengen alles realistische Kalkül. Sie sind einem blinden utopischen Impuls geschuldet, der in dem Verlangen nach dem Überschreiten einer Grenze schon die Möglichkeit sieht, dies ungestraft tun zu können.


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Um noch einmal, zum Schluß, zwei kurze Texte aus der so oft erwähnten spekulativen Branche jener Jahre zu bemühen: dieses Unterfangen erinnert als die Story "When the People Fell" aus dem Jahr 1959, die der amerikanische Diplomat und Politologe Paul A.M.Linebarger (1913-1966), dessen lebenslange Beschäftigung mit der chinesischen Kultur seine Zukunftshistorie der "Instrumentalität" tiefgreifend grundiert,  zu Beginn seiner zweiten Karriere als SF-Autor schrieb. Ein China, in Jahrzehnten des maoistischen Kollektivismus buchstäblich ideologisch übergeschnappt, beschließt, die Venus zu erobern, in dem es Millionen von Soldaten/Kolonisten am Fallschirmen aus der Umlaufbahn abspringen läßt nd glaubt, durch die schiere Masse allem, was sich unter der undurchdringlichen Wolkendecke verbirgt, gewachsen zu sein. Bei Smith, dessen Sicht auf die tatsächlichen Verhältnisse auf der Venus der Wirklichkeit erheblich näher kamen als die Ende der 50er Jahre noch oft kurrenten Visionen einer tropischen Dschungelwelt, besiegelt dies das Ende Chinas: keiner der sinnlos Geopferten übersteht den Absprung in die Gluthölle. 

Und zum anderen sei an die erste, zutiefst zynische Erzählung erinnert, mit der Cyril M. Kornbluth (1923-1958) seinen ersten zaghaften Ruf im Genre begründete, "The Rocket of 1955" (zuerst 1939 in einem hektographierten Amateurmagazin erschienen - im August, zeitgleich mit Heinleins erstem Text, und 1941 in einem professionellen SF-Magazin nachgedruckt): ein Erfinder, ein Hochstapler, verspricht seinen Investoren, ihnen eine Rakete zu bauen, nachdem er ihnen Unsummen dafür aus der Tasche gezogen hat. Die geplante Flucht vor den geprellten Gläubigern, nachdem das Trumm plangemäß auf der Startrampe in Flammen aufgegangen ist, wird von denen, die den Braten gerochen haben, vereitelt:

"Here they come - with an insultingly thick rope!"

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Es ist genau dieses Schillernde - dieses Oszillieren zwischen dem Erreichten gegen jede Erwartung, den bewundernswerten Ingenieursleistungen von Musk und seinem Team und solchen Visionen aus dem Reich des Deliranten - diie einen erheblichen Teil des Reizes des "Phänomens Musk" ausmachen. Im historischen Vergleich könnten Parallelen mit Nikola Tesla naheliegen: auch Tesla (wie Musk ein Zuwanderer in die USA) brillierte mit innovativen technischen Leistungen, war zutiefst umstritten, baute auf falsche Problemlösungen (wie Musk mit dem Tesla), zeichnete sich vor allem durch ein überbordendes Showtalent aus und driftete ab in die Aluhut-Bereiche von Todesstrahlen (die er angeblich der amerikanischen Regierung im Ersten Weltkrieg zur Verfügung stellen wollte), Kontakt mit Marsbewohnern, und Plänen, die gesamte Nachthalbkugel der  Erde zu beleuchten, indem er die Stratosphäre mit Hochfrequenzstrahlen zum Glühen anregen wollte (im Prinzip also ein erdumspannendes künstliches Polarlicht erzeugen wollte). Tesla hat der SF und verwandtgen Genres als reales Vorbild des "mad scientist" gedient. Nur gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen den Beiden: Tesla begann erst nach der Jahrhundertwende "neben der Spur" zu laufen; nach seiner Selbstisolation im Wardencliffe Tower, dafür aber gründlich und flächendeckend. Bei Elon Musk steht beides - der Pragmatiker und der irrlichternde Visionär - gleichzeitig nebeneinander.












Ulrich Elkmann

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