3. März 2017

Zitat des Tages: "Ich halt mich als Moderator neutral raus"

„Aber weißt Du, wir müssen in so einer öffentlich-rechtlichen Sendung, wir müssen aufpassen, ich glaube, man darf da nicht zu oft drüber sprechen im Fernsehen, das kann wahnsinnig schnell… weil jetzt, allein dass wir jetzt darüber geredet haben ist schon für mich die Gefahr… ich halt mich als Moderator neutral raus, ist ein schwieriges…ich würde...ich mache folgenden Vorschlag: Wir reden da nicht weiter drüber, wir reden jetzt über Musik.“
Jan Böhmermann im Interview mit dem Rapper Kollegah im Gespräch über gegen diesen geäußerte Antisemitismusvorwürfe, NEO MAGAZIN ROYALE vom 02.02.2017 

Kommentar:
Dass ich als weitgehender Böhmermannabstinenzler überhaupt auf das Thema gekommen bin, habe ich Martin Sehmisch zu verdanken, der bei den Salonkolumnisten ausführlich darüber berichtet hat. Was Sehmisch hier schreibt, ist alles richtig - ich möchte aber gerne noch einen weiteren Punkt beleuchten: 

Dass Böhmermann behauptet, sich als Moderator bei einer politischen Frage "neutral rauszuhalten", ist der Witz des Jahrhunderts. In derselben Sendung zeigt er ganz klar "Haltung" gegen Trump ("Der Präsident der USA ist ein oranger Psychopath, der gesteuert wird von 'nem versoffenen Nazi"), Brexit ("Boris Johnson is a big wanker and Nigel Farage, too. Don't listen to them"), Seehofer ("Lachen wie im Bürgerbräukeller") und ähnliche Themen, die zu behandeln er im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht als "Gefahr" für sich selbst sieht.

Nun kann man einwenden, dass das eine ja der Eröffnungsmonolog ist und das andere ein Interview. Allerdings ist Böhmermann bei anderen Gästen auch nicht gerade zurückhaltend - als Christian Lindner zu Gast ist, versucht er mehrfach, ihn zu provozieren und aus der Reserve zu locken - natürlich erfolglos, denn Lindner erweist sich wie so häufig als erfrischend schlagfertig. 

Woher kommt also Böhmermanns "Sprachlosigkeit", die Sehmisch wahrgenommen hat? Ich denke, da kommen mehrere Sachen zusammen: Zum einen legt er die für seine Generation (ich weiß, wovon ich spreche, ich bin gerade mal zwei Jahre älter als er) nicht untypische Unsicherheit in punkto Israel und Judentum an den Tag - trotz seiner offenbaren Fixierung auf das Dritte Reich (keine Show ohne Führer). Und so gibt es außer irgendwelchen Äquidistanzanspielungen (bei be deutsch zum Beispiel) keine Positionierung zu diesen Themen - etwas merkwürdig für einen, der zu allem und jedem seinen Senf dazugibt. 

Der wichtigste Grund aber ist ein anderer: Böhmermann hat mehr als nur eine Schwäche für den deutschen Rap, er ist ihm geradezu verfallen. Wenn Fler und Haftbefehl nicht so borniert wären, hätten sie gemerkt, dass der Pol1z1stens0hn eine als Parodie verkleidete Liebeserklärung ist. Deshalb lässt er auch seinem Kollegah (der sich übrigens in seinem Beef mit Fler auf seine Seite gestellt hat) Sprüche über Frauen und Schwule durchgehen, die - kämen sie von, sagen wir mal, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten -  keine Gnade gefunden hätten. Aber jetzt Israel und Palästina. Vermutlich ahnt der Blassedünnejunge, dass der Gangsta kurz davor steht, sich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen selber mächtig in die Grütze zu reiten, und bricht ab. Hilft aber nix - das passiert nämlich nachher beim "Entscheidungsspiel". Die Frage "Israel oder Palästina" legt Kollegah offensichtlich zurück, so dass Böhmermann sie zieht. Böhmermann zögert, und der Rapper legt nach: "Das hängt davon ab, wo Du noch beruflich hinwillst". Böhmermann ist jetzt in der Zwickmühle: Soll er seine ganzen propalästinensischen Homies inklusiv seines wahrscheinlich ebenso gesinnten Publikums verprellen? Die Lösung, die er wählt, ist - verzeihen Sie mir das Klischee - typisch deutsch, und auch hier liegt der Verdienst, das herausgearbeitet zu haben, bei einem Bloggerkollegen, nämlich Chajm
Aber damit nicht genug. Böhmermann geht noch einen Schritt weiter und droppt zwei jüdische Namen: Kat Kaufman und das neue jüdische Lieblingskind des nichtjüdischen Feuilletons Shahak Shapira. Mit denen solle Kollegah mal telefonieren. Das war Totalausfall Nummer zwei.
Für die Auseinandersetzung mit Antisemitismus sind in Deutschland die Juden zuständig - nicht nur in der Politik, sondern auch im Hiphop.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Der mutige Kämpfer für die Meinungsfreiheit zensiert sich selber - mit der Begründung, dass es gefährlich ist, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Israel zu kritisieren. Passtu auf, Poli1z1stens0hn: Ist es nicht. Kuckstu hier Video.

Rückblickend erscheint dadurch auch sein Verhalten in der Erdogan-Affäre in einem anderen Licht. Seine Solidaritätsanzeige mit Margarete Stokowski und Frau Sibylle (im Print, wo seine primäre Zielgruppe ohnehin nicht sitzt) wird überschattet von Sticheleien mit der FAZ-Redaktion, die nicht zu Unrecht sagt: "Journalisten sind Schreiber, nicht Unterschreiber." Und in seiner Sendung klamaukt er mit #Tüdüsstrafü und weiteren Ziegenwitzen rum.

Am 8. April 2016 twitterte Deniz Yücel: 
Und nein, Jan Böhmermann ist nicht das größte Opfer der mangelnden Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei.
Er konnte noch nicht wissen, wie recht er damit hatte. Deniz’e Özgürlük! 


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Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Jan Böhmermann auf dem Deutschen Comedypreis in Köln am 15. Oktober 2013. © Michael Schilling, lizenziert unter CC BY-SA 3.0. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Martin Sehmisch und Chajms Sicht.