15. März 2017

Die Angst vor dem Wähler

Am Wochenende war es teilweise schwer seinen Augen zu trauen: Da stellt sich ein europäischer Ministerpräisdent, der ansonsten nicht unbedingt im Rufe steht, besondere Austeilerqualitäten aufzuweisen, auf die Hinterbeine und verwehrt per oberster Order dem Außenminister einer zumindest vordergründig befreundeten Regierung die Landeerlaubnis, ein zumindest ungewöhnlicher und direkter Affront. Als die Familienministerin eben jenes Landes versucht dem Ministerpräsidenten ein Schnippchen zu schlagen und eben doch "so hinten rum" dessen Willen außer Kraft zu setzen, wird diese gar zur unerwünschten Person erklärt und des Landes verwiesen. Man reibt sich die Augen: Was ist da passiert?

Bereitet Mark Rutte derzeit schon eine Koaltion mit Geert Wilders vor und will sich diesem empfehlen? Ist ihm Erdogan persönlich auf die Füße gestiegen? Oder hat er einfach nur schlecht geschlafen? Einige mögen gar mutmaßen er habe ein Rückgrat gefunden und wollte dies einfach mal ausprobieren, was an und für sich ja keine schlechte Idee sein soll.
Viel wahrscheinlicher ist allerdings etwas gänzlich simpleres: Die Niederländer wählen ja in der kommenden Woche und da erschien es Rutte angebracht mal ordentlich Männchen zu machen und sich nicht alles gefallen zu lassen, was da aus Ankara kommt. Und Rutte ist nicht alleine: Auch einzelne deutsche Regierungsvertreter kommen aus ihrem Winterschlaf und stellen fest, dass man sich ja doch nicht nur beschimpfen lassen kann, sondern sich tatsächlich auch wehren darf. Besonders hervor tut sich derzeit auf deutschem Boden die saarländische Ministerpräsidentin Kramp Karrenbauer. Die schlicht alle Auftritte von türkischen Ministern im Saarland untersagte. Die freilich auch nicht geplant waren, aber wir wollen ja nicht kleinlich sein. Und, man glaubt es kaum, aber auch im Saarland wird in diesem Monat gewählt, wer hätte das gedacht?
Und da ist es natürlich wichtig, dass man "Rechtspopulisten" nicht das Feld überlässt und stattdessen sich selbst möglichst "rechtspopulistisch" gibt, zumindest so lange, wie man keinen Gegenwind aus dem politischen Establishment bekommt, und das hält bis zur Wahl die Füße still.
Bleibt die Frage: Wie glaubhaft ist das eigentlich? Man lässt sich seit Jahren aus Ankara demütigen und veralbern, und jetzt, zwei Wochen vor einer Wahl, entdeckt man plötzlich sein Rückgrat? Und wie wahrscheinlich ist es, dass dieses neu gefundene Rückgrat länger als besagte zwei Wochen hält?
Diese Wähler-Veralberung ist so derart offenkundig, dass es schon eine Beleidigung ist. Und es ist inzwischen allzu typisch. Drei Jahre lang interessiert sich die Politik einen vergleichsweise feuchten Schmutz für das, was die Wähler wollen, und dann, so im letzten halben Jahr vor der Wahl und besonders in den Wochen davor, redet man diesem so was von nach dem Mund, dass es nicht feierlich ist. Natürlich ist das an und für sich nichts neues, aber es ist schon besonders beschämend, dass man Positionen, die drei Jahre lang pfui bah, rechtspopulistisch und abstossend sind, mit einem Male plötzlich vollkommen in Ordnung sind. Zumindest bis nach der Wahl.
Als Merkel die Flüchtlingskrise anrührte, war es absolut pfui bah was zu sagen: Man durfte nicht auf die schlechte bis nicht vorhandene Qualifikation hinweisen, auf den permanenten Rechtsbruch, auf steigende Kriminalität, auf tausend verschiedene Dinge, die alle "rechtspopulistisch" waren. Und dieses Jahr ändert sich das wie durch ein Wunder. Plötzlich sind wir differenziert, plötzlich sehen wir Probleme, plötzlich definieren wir Forderungen an die "Neubürger", plötzlich reden wir über Abschiebungen. Toll. Genau das was der Bürger will. Nur wollte der das im letzten Jahr auch schon und da war das noch pfui bah. Und irgendwie wird es im Oktober auch wieder pfui bah sein.

Ich erlaube mir die Prognose für die jüngere Zukunft: Wenn in den Niederlanden die Wahl gelaufen ist, und alles wieder seinen normalen Gang geht, wird man auch das Verhältnis zur Türkei normalisieren. Und Geert Wilders darf wieder den einsamen Rufer in der Wüste geben.

 
Llarian

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