21. April 2015

Russisches Roulette im Mittelmeer

Und wieder einmal kommt einer der Schiffsuntergänge im Mittelmeer groß in den Medien. Nicht zum ersten Mal, wohl auch nicht zum letzten Mal - es scheint ziemlicher Zufall zu sein, wenn eines dieser Unglücke plötzlich in den Schlagzeilen erscheint. Und dann beginnt wieder einmal die übliche Diskussion. Wahrscheinlich auch diesmal wieder ohne wesentliche Folgen.

Denn Europa hat es sich recht bequem in der Realitätsverweigerung eingerichtet.
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Nein, Europa ist nicht schuld an den Fluchtursachen. Weder am syrischen Bürgerkrieg noch am Versagen vieler afrikanischer Regierungen. Europa ist auch nicht verantwortlich für die Schlepperbanden und auch nicht dafür, wenn sich jemand bewußt in "Seenot" bringt, um Einwanderungsgesetze zu umgehen. Denn die "Schiffbrüche" vor Lampedusa haben ja fast nichts damit zu tun, daß die eingesetzten Schiffe die Überfahrt nicht mehr schaffen würden. Sondern sie werden von den Schleppern bewußt versenkt, um die europäischen Schiffe zum Eingreifen zu zwingen und damit zur Anlandung der geretteten Passagiere auf EU-Territorium.

Aber Europa ist mitschuld an den Schiffstragödien, weil es falsche Anreize setzt, um die eigene Heuchelei fortzuführen.
Denn einerseits gelten auf EU-Gebiet offiziell die höchstmöglichen Menschenrechtsstandards. Inclusive des vollen Rechtswegs um Asyl oder Flüchtlingsstatus und abgeleitete Versorgungsrechte einzuklagen.
Und andererseits gilt überhaupt nichts davon ein Meter außerhalb des EU-Gebiets.

Wie das Prof. Collier im eingangs verlinkten Interview so gut formuliert: "Wir drücken den Menschen den geladenen Revolver in die Hand und sagen: Komm, spiel Russisch Roulette."

Wer sich noch am afrikanischen Mittelmeerufer befindet, der hat offiziell keine Chance. Der mag die besten Asylgründe haben und diese auch belegen können. Der mag die beste Qualifikation haben und ideal den Anforderungen des deutschen Arbeitsmarkts entsprechen. Wer auf der falschen Seite des Mittelmeers sitzt, kann weder als Flüchtling noch als Migrant nach Europa.

Aber wer den Sprung ans andere Ufer geschafft hat - egal mit welchen Mitteln, egal mit welchen Lügen, egal mit welchem persönlichen Hintergrund: Der hat gewonnen. Kein Paradies auf Erden. Aber die fast sichere Aussicht auf einen dauerhaften Aufenthalt, mit den europäischen Sozialleistung und mit späterer Chance auf Teilhabe am Arbeitsmarkt.
Zurückgeschickt wird fast niemand. Denn die nordafrikanischen Ausgangsländer der "Schiffsunglücke" sind nach EU-Maßstäben zwar gut genug, daß man sich nicht weiter um die Leute dort kümmern müßte. Aber nicht gut genug, um auch nur einen Bootsflüchtling wieder dorthin abzuschieben.

Die Lösung wird nicht alleine darin bestehen, mehr Möglichkeiten zur legalen Einwanderung zu schaffen. Denn die Nachfrage wird immer um Größenordnungen über dem europäischen Angebot liegen. Und damit bleibt auch der Druck zur illegalen Einwanderung derer, die die legalen Möglichkeit nicht nutzen können.

Den Anreiz das Schiffsunglück zu riskieren wird man nur aus der Welt schaffen können, wenn "Schiffbrüchige" anschließend konsequent wieder in den Ausgangshafen zurückgebracht werden. Was bedeutet, daß man einige der sehr hochhängenden Ideale aus den Gesetzen streichen muß. Wie es Australien gemacht hat.

Die moralisch vertretbare Lösung kann nicht einfach sein. Weder das "alle reinlassen" der Linken noch das "alle rausschmeißen" der Rechten ist irgendwie realisierbar oder moralisch zu rechtfertigen. Und die aktuelle europäische Position, den höchsten Standard zu simulieren, aber ansonsten die Augen zuzumachen, ist erst recht weder realistisch noch moralisch.

Sondern es ginge nur über einen Mittelweg, bei dem man die moralische Perfektion aufgibt. Es müßte ein Kontigent festgelegt werden (für jeden EU-Staat), was an Zuwanderung erwünscht und verkraftbar ist. Und in dieser Größenordnung dürften dann Menschen kommen. Oder würden sogar aktiv geholt, wenn sie es sonst nicht schaffen.
Dann werden die Flüchtlinge einreisen können, die es am schlechtesten haben - und nicht die, die besonders skrupellos unsere Gesetze ignorieren.
Dann werden die qualifiziertesten Migranten kommen können - und nicht die, deren Familie das Geld für die Schlepper zahlen kann.

Und wer bei dieser Auswahl nicht zum Zuge kommt, der wird eben nicht nach Europa kommen dürfen. Und falls er es illegal bzw. über ein "Schiffsunglück" dennoch versucht, wird er sofort abgeschoben. Ohne Rechtsweg und Einzelfallprüfung.

Das wäre nicht die ideale Lösung, aber wohl die einzige halbwegs vernünftige.
Aber es wird sie weiterhin nicht geben, weil zu viele Gutmenschen am Dogma von der perfekten Menschenrechtssituation in Europa festhalten wollen. Und dafür lieber weiterhin tausende von Toten in Kauf nehmen wollen.

R.A.

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