26. August 2014

The Big X

I'm not a great movie director. I'm not an auteur, I'm a storyteller. I'm a craftsman.

Ich bin kein großer Filmregisseur. Ich bin kein Autorenfilmer. 

Ich bin Geschichtenerzähler. Ich bin Handwerker.
  

Ein vollbärtiger Lord, der mit dem Rolls-Royce zur Labour-Parteiversammlung fährt; ein Veteran der Royal Air Force, der sein Privatvermögen drangibt, um sich seinen pazifistischen Spleen zu erfüllen; ein Mann, der Humor und Understatement in sich vereint: - kurzum: der perfekte Engländer, wenn man sich einen solchen vorstellen will.

In Deutschland wird Richard Attenborough so gut wie ausschließlich mit einem seiner Werke in Verbindung gebracht - mit seinem 191-minütigen Lendenschurzepos Gandhi. Dass dem so ist, ist kein Zufall und hat weniger mit dem Film selbst als mit dem höchst fruchtbaren Boden zu tun, auf den er gefallen ist.


Der Film, der von der indischen Regierung großzügig kofinanziert wurde und dessen Skript der damaligen Premierministerin Indira Gandhi vor Drehbeginn vorgelegt wurde, erschien 1983 in den deutschen Kinos. In dem Jahr, in dem die Friedensbewegung in Mutlangen ihren "heißen Herbst" erlebte, hat sie gleichzeitig ihre Offenbarung erhalten. Der Großen Seele ("Mahatma"), die bisher nur in einem ziemlich unstrukturierten 90-bändigen Gesamtwerk sowie in Schwarzweißfotos verfügbar war, wurde durch die Darstellung von Krishna Bhanji (Künstlername: Ben Kingsley) eine sonore Stimme und eine eindrucksvolle Leinwandpräsenz verliehen. Und das schlug ein, wie im Spiegel vom 17.10.1983 mit einem erstaunlichen Anflug von Spott nachzulesen ist:
Denn der Geist Gandhis hat seinen Weg wundersam zu den Deutschen gefunden, zu den einstigen Kriegschaoten und Anarchisten des Gehorsams, die für die Lehre des Inders am wenigsten prädestiniert schienen. Die Bewegung, die sich "Friedensbewegung" nennt, hat die große Seele herbeibeschworen als spiritus rector und Beistand beim Protest gegen die neuen Raketen, gegen den Fortgang des Wettrüstens. 
Der "halbnackte Fakir", nicht Che Guevara, ist im deutschen Herbst 1983 zum Vorbild geworden. Ihn, nicht Ho Tschi-minh, verehrt die große Mehrzahl der Engagierten jeden Alters, ihn, den Mahatma, der gerade zur rechten Zeit auch im Kino wiederauferstanden ist in einem großen biographischen Film und in der Gestalt des Schauspielers Ben Kingsley, damit sich auch die Jungen ein Bild von ihm machen können. 
So verklärend und zum Teil historisch hanebüchen die Gandhirezeption in Deutschland auch ist - in einem haben seine Epigonen ihn richtig verstanden - nämlich in seinem Radikalpazifismus (auch wenn Monika Bittl dagegen auch ein schönes Zitat ausgegraben hat; nur habe ich manchmal den Eindruck, dass der alte Mahatma für einen gelungenen Aphorismus die Asche sämtlicher Großmütter verkauft hätte und Widersprüche ihm deshalb gepflegt am Lendenschurz vorbeigegangen sind).


Von Gandhis Brief an den Führer (Mein lieber Freund! (...) Auch glauben wir nicht, dass Sie das Ungeheuer sind, als das Ihre Gegner Sie hinstellen...) aus dem Jahr 1941 (!) führt eine direkte Linie zu Margot Käßmanns Gebetsaufruf an die Taliban; und die gleiche Linie führt auch von seiner Aussage
Hitler tötete fünf Millionen Juden. Es ist das größte Verbrechen unserer Zeit. Aber die Juden hätten sich selbst dem Messer des Schlächters ausliefern sollen. Sie hätten sich selbst von den Klippen ins Meer werfen sollen. So wie die Lage ist, sind sie sowieso zu Millionen unterlegen.
zur deutschen Mehrheitsmeinung in punkto Nahostkonflikt.

Kein Wunder also, dass der Dank der Deutschen an Lord Attenborough vorrangig der Verklärung ihres pazifistischen Idols gilt. Andreas Borcholte geht dabei auf Spiegel Online mit den Fakten mindestens genauso freizügig um wie
Attenborough mit denen über Gandhi:
Erst das Wohlwollen der damaligen Ministerpräsidentin Indira Gandhi brachte den Durchbruch: Indien beteiligte sich zu einem Drittel an den Produktionskosten von 22 Millionen Dollar.
Die Finanzspritze der Namensvetterin der Großen Seele (Gandhi ist ein Allerweltsname in Indien; er entspricht dem deutschen "Kramer" oder "Krämer") hatte weniger mit Wohlwollen zu tun, sondern mehr mit propagandistischen Zielen, wie der indische Anthropologe Akhil Gupta in seinem lesenswerten Artikel belegt. Ein weiteres Beispiel:
Aus der Beschäftigung mit Gandhi, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegen die Apartheid in Südafrika engagiert hatte, entstand wohl auch Attenboroughs Plan, die Geschichte des Widerstandskämpfers Steve Biko zu verfilmen.
Gandhi hatte gegen die Apartheid überhaupt nichts einzuwenden, lediglich gegen die Tatsache, dass Inder nicht als Weiße galten. Die Schwarzen gingen ihm zwar damals noch nicht am Lendenschurz, aber sicher am feinen Zwirn aus der Savile Row vorbei.


Und so zieht es sich durch die verschiedenen Artikel in den verschiedenen Blättern. Dabei ist die Person Richard Samuel Attenborough an sich viel beeindruckender und leider hierzulande weitgehend übersehen. 

Als Schauspieler verkörperte er alles vom jugendlichen Gewalttäter (Brighton Rock) über den Ausbrecherkönig Big X (The Great Escape) bis zum Dinoparkbesitzer John Hammond (Jurassic Park) und nicht zuletzt dem knuffigsten aller Weihnachtsmänner (Miracle on 34th Street). Als Regisseur schuf er einen der besten Filme über den Zweiten Weltkrieg (A Bridge Too Far), dem man im Gegensatz zu Gandhi kaum historische Ungereimtheiten vorwerfen kann (mit Ausnahme der Tatsache, dass aus kommerziellen Gründen der von Robert Redford verkörperte amerikanische Held als erstes auf die Brücke stürmen darf), dazu den "high-class tear-jerker" (Washington PostShadowlands über den Märchenerzähler C. S. Lewis. Seinen besten Film, zumindest nach eigener Einschätzung. Was Gandhi angeht, meinte er lapidar, dass seine Oscars 1983 eigentlich an Spielbergs E.T. hätten gehen sollen. Shocking, isn't it?

Zudem zeichnete ihn eine große Verbundenheit zu seiner Familie aus, die er - in ganz unbritischer Offenheit - immer wieder öffentlich bekannte. Attenborough entstammte einem gebildeten sozialdemokratischen Elternhaus, seine Eltern nahmen während des Krieges zwei jüdische Mädchen aus Deutschland auf und adoptierten sie später. Mit seiner Frau Sheila Sim war er fast 70 Jahre verheiratet, und trotz seines Humors und seiner optmistischen Lebenseinstellung konnte er den Tod seiner Tochter und seiner Enkeltochter bei der Tsunamikatastrophe 2004 nicht verwinden. Zu seinem Bruder, dem Naturfilmer David Attenborough, hatte er ein enges und herzliches Verhältnis.

Neben seiner Arbeit war er in über 50 verschiedenen Organisationen aktiv - unter anderem Präsident der BAFTA, UNICEF-Botschafter, Ehrenpräsident des F.C. Chelsea - viele davon bis zu seinem Tod. Auf die Frage, wie er all das in seinem Alter noch schaffe, antwortete er in seinem typischen Humor:

I get up, I reach for the Times, I look up the obituary notices, and if my name's not there, I get dressed. 
Ich stehe auf, greife zur Times, lese die Nachrufe, und wenn mein Name nicht dabei ist, ziehe ich mich an.
Am 24. August 2014 blieb The Rt Hon. The Lord Attenborough im Pyjama.

R.I.P.
­
Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Richard Attenborough at the 2007 Toronto International Film Festival. Vom User gdcgraphics unter der Lizenz Creative Commons Attribution 2.0 Generic bereitgestellt. Für Kommentare bitte hier klicken.