6. Oktober 2012

Bibo und Romney. Die Sesamstraße wird zum Wahllkampfthema

Richtig gelungen ist eine presidential debate, eine Debatte zwischen den Präsident­schafts­kandidaten erst dann, wenn ein Satz eines der Kandidaten haften bleibt, wenn er sozusagen zum geflügelten Wort wird.

Ein klassisches Beispiel ist das, was in der presidential debate von 1984 Ronald Reagan seinem Widerpart Walter Mondale sagte. Reagan war damals schon 73, und es waren im Wahlkampf Zweifel gesät worden, ob er überhaupt noch fit für das Amt sei. In der Debatte versicherte Reagan dem damals 56jährigen Mondale: "I am not going to exploit, for political purposes, my opponent's youth and inexperience" - Ich werde darauf verzichten, die Jugend und Unerfahrenheit meines Kontrahenten für politische Ziele auszuschlachten.

Es scheint, daß Mitt Romney in der Debatte am Mittwoch eine ähnliche Zeile gelungen ist; ein zinger. Der Moderator Jim Lehrer hatte den beiden Kandidaten die Frage gestellt, was sie gegen das Haushaltsdefizit der USA tun wollten; und Romney sagte dazu unter anderem, an Jim Lehrer gewandt:
I’m sorry, Jim, I’m going to stop the subsidy to PBS. I’m going to stop other things. I like PBS, I love Big Bird. Actually like you, too. But I’m not going to -- I’m not going to keep on spending money on things to borrow money from China to pay for.

Es tut mir leid, Jim, ich werde die Subvention für PBS beenden. Ich werde anderes beenden. Ich schätze PBS, ich mag Big Bird. Wie übrigens auch Sie. Aber ich werde nicht - ich werde nicht weiter Geld für Dinge ausgeben, um für deren Bezahlung Geld von China zu leihen.
Um diese Passage zu verstehen, muß man Verschiedenes wissen:
  • PBS ist der Public Broadcasting Service, die Dachorganisation der zahlreichen non-profit TV-Sender, vergleichbar unserem öffentlich-rechtlichen Fernsehen. (Es gehört zu den verbreiteten Irrtümern über die USA, daß es dort nur Privatsender gebe). PBS finanziert sich überwiegend aus Spenden, erhält aber staatliche Zuschüsse. Diese also will Romney streichen.

  • Jim Lehrer ist seit fast vierzig Jahren Moderator bei PBS.

  • Big Bird ist niemand anders als Bibo aus der Sesamstraße.

  • Diese Serie wurde vom PBS entwickelt und wird von ihm ausgestrahlt. Sie ist sein Markenzeichen; ungefähr wie die Mainzelmännchen beim ZDF.
  • Die Sesamstraße ist in den USA ebenso beliebt wie bei uns. Entsprechend viel Beachtung hat dieser zinger in den Medien und vor allem im Internet gefunden. Es gibt schon Karikaturen, die Romney als Bibo darstellen; zum Beispiel diese. Und es gibt Autoren, die über das von Romney ihnen hingehaltene Stöckchen springen und ein Lamento anstimmen. Vielleicht am lautesten lamentierte gestern Charles M. Blow in der New York Times:
    Since 1969, Big Bird has been the king of the block on "Sesame Street." When I was a child, he and his friends taught me the alphabet and the colors and how to do simple math.(...)

    Big Bird and his friends also showed me what it meant to resolve conflicts with kindness and accept people's differences and look out for the less fortunate. Do you know anything about looking out for the less fortunate, Mr. Romney? (...)

    I honestly don't know where I would be in the world without PBS. (...)

    PBS is a national treasure, and Big Bird is our golden — um, whatever kind of bird he is.

    Hands off!

    Bibo ist in der "Sesamstraße" der König des Wohnblocks. Als ich ein Kind war, brachten er und seine Freunde mir das ABC und die Farben bei und wie man einfache Rechenaufgaben löst. (...)

    Bibo und seine Freunde zeigten mir auch, was es bedeutet, Konflikte mit Freundlichkeit zu lösen und die Unterschiede zwischen den Menschen zu akzeptieren und auf die weniger Glücklichen zu achten. Verstehen Sie, Herr Romney, irgend etwas davon, auf die weniger Glücklichen zu achten?

    Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ohne PBS aus mir geworden wäre. (...)

    PBS ist ein Kleinod der Nation, und Bibo ist unser goldener - hm, was immer er für ein Vogel ist.

    Hände weg!
    Nicht wahr, da legt sich einer aber mächtig ins Zeug. Aber wie gesagt: PBS finanziert sich überwiegend (zu 53 bis 60 Prozent) aus Spenden. Nur rund 15 Prozent der Finanzierung erfolgt über Bundesmittel. Sie will Romney streichen.

    Das würde vielleicht Einschränkungen bedeuten; aber wie überall im Bereich öffentlicher Einrichtungen dürfte dort bisher großzügig mit den Mitteln umgegangen worden sein, und es wird Einsparmöglichkeiten geben. (Präsident Obama hat das übrigens in großem Stil beim staatlichen Gesundheitsdienst Medicare exerziert; in der Debatte am Mittwoch sprach er von "$50 billion of waste taken out of the system", 50 Milliarden Dollar an Verschwendung, die man aus dem System herausgenommen habe).

    Also, Bibo und seine Freunde sind keineswegs gefährdet, wenn Romney Präsident wird. Aber er hat es mit dieser Bemerkung geschafft, für seine Forderung nach eisernem Sparen, um nicht noch mehr Geld von China leihen zu müssen, ein griffiges Bild zu finden. Das wird haften bleiben.

    Und natürlich ist auch schon jemand auf die naheliegende Idee gekommen, "Big Bird for president!" zu plakatieren - Bibo soll Präsident werden!
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: U.S. National Archives and Records Administration. Als Werk der Regierung der USA gemeinfrei. Bearbeitet.