31. Mai 2011

Marginalie: Warum ist der Freispruch Kachelmanns eine Sternstunde der Justiz? Eine Erläuterung

Heute Vormittag habe ich in einem ersten kurzen Artikel zum Freispruch von Jörg Kachelmann von einer Sternstunde der Justiz gesprochen. Die Kommentare dazu in Zettels kleinem Zimmer waren überwiegend kritisch. In der Tat war das plakativ formuliert gewesen, und es fehlte die erläuternde Begründung. Deshalb jetzt einige ergänzende Anmerkungen.

Ich sprach von einer Sternstunde der deutschen Justiz, nicht des Landgerichts Mannheim. Nicht von einer Sternstunde der Kammer, die Kachelmann freigesprochen hat; schon gar nicht der Staatsanwaltschaft, die ihn nicht nur angeklagt, sondern nachgerade verfolgt hat. Mit einem Eifer, mit einer Einseitigkeit, die den Auftrag an eine Staatsanwaltschaft in eklatanter Weise verfehlte, auch Entlastendes zu ermitteln und bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.

Nach dem, was aus der seriösen Berichterstattung zu erfahren war - vor allem aus den Artikeln von Gisela Friedrichsen im "Spiegel" und von Sabine Rückert in der "Zeit" -, hat auch das Gericht in diesem Prozeß eine ausgesprochen schlechte Figur gemacht. Nein, nach den Sternen haben die Mannheimer Richter wahrlich nicht gegriffen.

Und dennoch eine Sternstunde. Dieses Urteil war die Sternstunde eines Systems unabhängiger Justiz in einem demokratischen Rechtsstaat, das (von seltenen Ausnahmen abgesehen) auch dann funktioniert, wenn es - um ein aktuelles Wort zu verwenden - einem harten Stresstest unterworfen wird.

Hier gab es verschiedene Faktoren, die eine unvoreingenommene Urteilsfindung erschwerten. Da waren
  • der Übereifer einer offenbar überforderten und parteilichen Staatsanwaltschaft;

  • das öffentliche Aufsehen und der Medienrummel - teils der Prominenz der Person Kachelmann geschuldet, teils den spektakulären Umständen seiner Festnahme; nicht zuletzt dem Umstand, daß Sexuelles nun einmal Neugierde weckt;

  • die Person des Angeklagten, dessen zynischer Umgang mit Frauen, so wie er im Lauf des Prozesses bekannt wurde, nur allzu berechtigte Antipathien auslöst. Nicht wenige mögen sich gedacht haben: Ob er nun diese Tat begangen hat oder nicht - für die Art, wie er Frauen belog und hinterging, hat dieser Schurke allemal eine Verurteilung verdient. Ob dem Gericht diese menschliche, diese menschelnde Reaktion ganz fremd war, sei dahingestellt;

  • die Person der Kachelmann beschuldigenden Zeugin, die gelogen und getäuscht hat. Ein anonymer Brief, den sie ihrem Briefkasten gefunden haben wollte, erwies sich als von ihr selbst fabriziert; daß sie bei den anfänglichen Vernehmungen falsche Aussagen gemacht hatte, gab sie jeweils erst dann zu, wenn man es ihr nachwies. Das beweist nicht, daß sie auch in Bezug auf den Tatvorwurf lügt, aber als eine glaubwürdige Zeugin wird man sie schwerlich sehen können;

  • diese ganze verquere Beziehung zwischen den beiden Protagonisten - er spielte mit ihr wie mit vielen Frauen; sie aber leitete daraus unrealistische Hoffnungen auf ein gemeinsames Leben ab. Des weiteren zunächst einvernehmliche sadomasochistische Praktiken und nun der Vorwurf einer nicht mehr nur gespielten Gewalt. Kurz, eine psychologische Konstellation, vollgestellt mit Fragwürdigem und Schillernd-Undurchsichtigem.
  • Daß in dieser Situation ein - soweit man es aufgrund der seriösen Berichterstattung beurteilen kann - gerechtes Urteil herausgekommen ist, das ist eine Sternstunde der Justiz.

    Es liegt nicht an diesem Gericht, sondern es liegt an einer Justiz, in der man als Richter - und zuvor schon als Student, als Referendar - zur Gerechtigkeit erzogen wird; in der Erfolg und Ansehen davon abhängen, daß man gerecht urteilt (und nicht wie, sagen wir in Rußland, davon, daß man den Mächtigen zu Diensten ist).

    Das gute, das funktionierende System setzt sich durch, gegen alle die menschlichen Unzulänglichkeiten und Fragwürdigkeiten dieses Falls. Es ist wie in der Wissenschaft, wenn sie frei betrieben werden kann: Auch dort menschelt es; auch Wissenschaftler werden nicht nur durch die Suche nach der Wahrheit motiviert, sondern auch durch Karrierestreben, Konkurrenzdenken, pekuniäre Interessen. Aber das System "Wissenschaft" ist in einer freien Gesellschaft so angelegt, daß sich aus dem allen doch ein stetiges Fortschreiten der Erkenntnis ergibt. Am Ende setzt sich in der Regel die Wahrheit durch. So, wie in einer freien, rechtsstaatlichen Justiz in der Regel die Gerechtigkeit.
    Zettel



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