19. November 2010

Marginalie: Wie sinnvoll sind Warnungen vor Terroranschlägen?

Wolfgang Schäuble hat als Innenminister immer die Gefahr terroristischer Anschläge betont. Was wollte er damit erreichen?

Seine Überlegung könnte gewesen sein, daß damit ein Teil des von den Terroristen beabsichtigen Effekts ausgehebelt werden kann: Ein solches Ereignis wie ein verheerender Anschlag erscheint uns als umso schrecklicher, je unerwarteter es eintritt. Das, was "über uns hereinbricht", erleben wir als schlimmer als dasjenige, womit wir gerechnet, worauf wir uns vorbereitet haben.

Die Logik des Terrorismus ist es ausschließlich, Angst zu verbreiten. Es geht nicht - wie in einem konventionellen Krieg - darum, dem Gegner physisch zu schaden, indem man seine Ressourcen vernichtet und seine Soldaten tötet. Es geht allein um psychologische Wirkungen. Terrorismus ist angewandte Psychologie (siehe Terrorismus als angewandte Psychologie: Was soll mit den Anschlägen von Mumbai erreicht werden? ZR vom 29. 11. 2008).

Schäubles Strategie war so etwas wie der Versuch einer psychologischen Gegenstrategie gewesen; eben derjenigen, die Wirkung eines erwarteten Schlags zu dämpfen, indem man sich mental auf ihn vorbereitet.

Sein Nachfolger Thomas de Maizière hatte bisher eher die Politik, mit Warnungen zurückhaltend zu sein. Das mag dem Wesen dieses stillen und unprätentiösen Manns entsprechen. Vielleicht kam aber de Maizière auch zu einer anderen Abwägung der Vor- und Nachteile als Schäuble.

Denn einerseits sind vorausgegangene Warnungen zwar von Nutzen, wenn es tatsächlich zu einem Anschlag oder zu Anschlägen kommt. Andererseits haben sie aber zwei Nachteile, wenn diese ausbleiben:

Einen Teil ihrer gewünschten Wirkung - Aufmerksamkeit zu erregen - haben die Terroristen dann schon ohne eine tatsächliche Aktion erreicht. Sie haben dann zwar nicht Schrecken verbreitet, aber doch Angst.

Zweitens stumpfen sich wiederholende Warnungen ab. Wenn immer wieder gewarnt wird, ohne daß etwas passiert, dann fehlt die Wachsamkeit möglicherweise gerade dann, wenn der Ernstfall wirklich eintritt. Wir kennen die Geschichte von dem Jungen im russischen Dorf, der immer wieder aus Jux "Der Wolf! Der Wolf!" gerufen hatte; so daß niemand ihn mehr ernst nahm, als er wirklich einen Wolf gesehen hatte.

Ob man warnt oder besser nicht, hängt also davon ab, wie wahrscheinlich es ist, daß es tatsächlich zu einem Anschlag kommt. Nur dann, wenn die Gefahr als hinreichend groß bewertet wird, ist es rational, mit Warnungen an die Öffentlichkeit zu gehen.

Offenbar wird die Gefahrenlage jetzt von den Behörden als ernst beurteilt, denn Innenminister de Maizière hat in den letzten Tagen seine bisherige Politik radikal geändert. Auf einer am Mittwoch kurzfristig einberufenen Pressekonferenz sagte er:
Nach Hinweis eines ausländischen Partners, der uns nach dem Jemen-Vorgang erreicht hat, soll Ende November ein mutmaßliches Anschlagsvorhaben umgesetzt werden. Jüngste eigene Ermittlungs-ergebnisse des Bundeskriminalamts im Zusammenhang mit Personen aus dem islamistischen Personenspektrum bestätigen erneut und unabhängig davon die nachhaltigen Bestrebungen islamistischer Gruppen zu Anschlagsplanungen in der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe die Bundespolizei deshalb aufgefordert, der aktuellen Gefährdungslage mit lageangepaßten Sicherheitsmaßen insbesondere in den Flughäfen und auf Bahnhöfen Rechnung zu tragen. Dies gilt bis auf weiteres.
So deutlich hat sich de Maizière noch nie geäußert, seit er Innenminister ist. So klar hat sich selten ein deutscher Innenminister geäußert.



Ein offensichtliches Motiv dafür, daß de Maizière an die Öffentlichkeit gegangen ist, sind die jetzt angelaufenen Sicherheitsmaßnahmen, vor allem in Flughäfen und an Bahnhöfen. Sie können ja dem Bürger nicht verborgen bleiben; also mußte de Maizière sie begründen. Aber es könnten auch andere Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben.

Was dafür spricht, bei bekannt gewordenen Anschlagsplänen die Öffentlichkeit zu informieren, hat Anfang Oktober George Friedman in Stratfor analysiert, und ich habe damals darüber berichtet (Aktuelles zum Krieg der Dschihadisten (9): Eine pessimistische Beurteilung von George Friedman; ZR vom 6. 10. 2010):
  • Erstens dient die Warnung der Entlastung der jeweiligen Regierung. Auch das gehört zur Strategie der Terroristen - die Regierenden als unfähig hinzustellen, ihre Bürger zu schützen. Eine Regierung, die gewarnt und die Gegenmaßnahmen eingeleitet hat, wird als kompetenter wahrgenommen als eine Regierung, die - wie die spanischen Regierung Aznar im März 2004 - offenbar ahnungslos gewesen war.

    Das gilt auch dann, wenn der Anschlag am Ende doch nicht verhindert werden kann; denn jedem Bürger leuchtet ein, daß es einen perfekten Schutz vor solchen Anschlägen nicht geben kann.

  • Weiterhin richten sich solche öffentlichen Mitteilungen aber auch an die Terroristen. Sie sagen ihnen, daß ihre Pläne zumindest zum Teil bekannt sind. Vermutlich aus diesem Grund werden jetzt konkrete Angaben von den Behörden an die Öffentlichkeit lanciert. Zum Beispiel berichtete am Mittwoch Nachmittag die Internet-Ausgabe des "Tagesspiegel" über konkrete Informationen, die der Zeitung offensichtlich zugespielt worden waren.

    Danach sind zwei bis vier Terroristen der Kaida auf dem Weg nach Deutschland, wo sie am kommenden Montag (22. November) eintreffen werden. Die Terroristen sollen nach diesen Informationen aus Berlin stammen; es sind also entweder Konvertiten oder - wahrscheinlicher - in Berlin aufgewachsene Moslems türkischer oder arabischer Herkunft.

  • Auf die Terroristen könnte sich die Erkenntnis, daß die Behörden über den geplanten Anschlag Bescheid wissen, auf zwei Ebenen auswirken. Erstens könnte deren Führung die Aktionen abbrechen; denn gut ausgebildete Attentäter, vor allem Selbstmord-Attentäter sind eine knappe Ressource, die man nicht leichtfertig opfert, wenn der Erfolg unsicher ist. Zum zweiten könnte der Umstand, daß Details eines beabsichtigten Anschlags den Geheimdiensten bekannt wurden, die Führung der Kaida dazu veranlassen, zunächst nach der undichten Stelle zu suchen, bevor man weiter aktiv wird.
  • Hinzu kommt natürlich die offensichtliche Absicht (auf die Friedman in dem zitierten Artikel nicht einging), die Bürger zur Wachsamkeit zu motivieren. Im Sommer 2006 waren es aufmerksame Angestellte im Fundbüro des Dortmunder Hauptbahnhofs, die ein verdächtiges Gepäckstück der Polizei meldeten. Darin befand sich eine Bombe, die lediglich durch einen Fehler der Terroristen nicht funktionsfähig gewesen war.

    George Friedman ist sich im Klaren darüber, daß es nur ein bescheidener Erfolg wäre, durch öffentliche Warnungen einen bestimmten konkreten Anschlag zu verhindern. Denn natürlich werden die Terroristen es wieder versuchen, natürlich werden sie es immer weiter versuchen. Der vorläufig erst einmal vereitelte Anschlag wird erneut unternommen werden.



    Deutschland ist bisher, was terroristische Verbrechen angeht, relativ glimpflich davongekommen. Damit ist es vorbei, seit hier aufgewachsene Moslems in größerer Zahl zur Ausbildung in Lager der Kaida reisen.

    Bis 2009 konnte das jeder straflos tun; so, wie er eine Reise nach Teneriffa oder in die Dominikanische Republik unternimmt.

    Als es im Mai 2009 endlich unter Strafe gestellt wurde, sich in einem Terrorcamp für Anschläge ausbilden zu lassen, stieß das auf den erbitterten Widerstand der Kommunisten und der Grünen:
    Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke sprach davon, dass nun der Schnüffelei Vorschub geleistet werde. Ob ein Wecker gekauft worden sei, um sich wecken zu lassen oder den Zeitzünder einer Bombe zu basteln, entscheide sich demnächst an der politischen Gesinnung, warf sie der Regierung vor: "Die vorliegenden Gesetzentwürfe taugen nicht zu mehr Sicherheit." Der Grünen-Politiker Jerzy Montag sagte, die neuen Anti-Terror-Gesetze seien Ausdruck einer "Sicherheitsphobie". Es bestehe die Gefahr, dass Errungenschaften aufs Spiel gesetzt würden, die die Bürger bisher vor der Willkür des Staates geschützt hätten. "In Deutschland soll kein Mensch für seine Absichten bestraft werden", forderte Montag.
    Das war im Mai 2009. Sollte es jetzt trotz aller Gegenmaßnahmen doch zu einem Anschlag kommen, dann dürften - wetten? - Politiker dieser beiden Parteien diejenigen sein, welche die Bundesregierung am lautesten beschuldigen werden, nicht genügend für die Sicherheit der Bürger getan zu haben.



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