6. Oktober 2010

Aktuelles zum Krieg der Dschihadisten (9): Eine pessimistische Beurteilung von George Friedman

Wie Anne Applebaum hat sich gestern auch Stratfor-Chef George Friedman mit der Warnung der US-Regierung vor Terroranschlägen in Europa beschäftigt. Sein Artikel ist pessimistisch.

Wie Applebaum sieht Friedman keinen Nutzen für amerikanische Reisende darin, wenn sie aufgefordert werden, "wachsam zu sein". Also fragt auch er nach anderen Motiven für die Warnung als demjenigen, amerikanische Bürger zu schützen.

Also merkt auch Friedman an, daß eine Regierung, die gewarnt hat, sich einer Bürde entledigt. Wenn es Amerikaner treffen sollte, dann waren sie eben nicht "wachsam" genug; die Regierung kann ihre Hände in Unschuld waschen.

Aber Friedman analysiert dort weiter, wo Applebaum aufgehört hat. Er sieht zum einen weitere Motive der US-Regierung für die Warnung; zum anderen nimmt er den allgemeineren Kontext der jetzigen Bedrohung unter die Lupe.



Aus Friedmans Sicht könnte sich die Warnung vor allem an die Dschihadisten als die eigentlichen Adressaten richten. Die Botschaft lautet: Wir wissen, daß ihr etwas in Europa vorhabt.

Das könnte die Pläne der Dschihadisten auf zwei Ebenen stören.

Zum einen müssen sie damit rechnen, daß auch Details der geplanten Anschläge den westlichen Sicherheitsdiensten bekannt sein könnten; auch wenn diese nicht öffentlich gemacht werden. Das könnte sie dazu bewegen, die Anschläge zu überdenken.

Nicht etwa deshalb, weil die Führer um das Leben ihrer Kämpfer fürchten würden. Wen sie mit einem Auftrag wie den seinerzeit in Mumbai losschicken (siehe Die Anschläge in Mumbai - Fakten und Spekulationen; ZR vom 27. 11. 2008), der wird im allgemeinen sterben. Dafür wurde er ausgebildet

Aber diese Ausbildung ist aufwendig und langwierig. Es handelt sich bei diesen Männern um Spezialisten mit einem langen Training und mit hoher Motivation. Solche Kämpfer möchte man nicht verlieren, ohne daß die Operation ein Erfolg wird. So jedenfalls beurteilt das Friedman.

Sodann könnte die öffentliche Mitteilung, daß die USA Kenntnis von geplanten Anschlägen haben, Unruhe in die Reihen der Dschihadisten tragen. Sie müssen davon ausgehen, einen oder mehrere Verräter unter sich zu haben. Sie könnten es wichtiger als jede Aktion finden, sich zuerst einmal auf die Suche nach dem Leck zu machen.



Das ist die taktische Seite, wie Friedman sie sieht. In Bezug auf die strategische Ebene ist er pessmistisch:
The defeat of jihadist terror cells cannot be accomplished defensively. Homeland security can mitigate the threat, but it can never eliminate it. The only way to eliminate it is to destroy all jihadist cells and prevent the formation of new cells by other movements or by individuals forming new movements, and this requires not just destroying existing organizations but also the radical ideology that underlies them.

Die Niederlage der Dschihadisten kann nicht defensiv bewerkstelligt werden. Maßnahmen zur inneren Sicherheit können die Bedrohung abmildern, aber sie können sie niemals ausschalten. Der einzige Weg, sie auszuschalten, besteht darin, alle dschihadiistischen Zellen zu zerstören und es zu verhindern, daß andere Bewegungen oder Einzelne, die neue Bewegungen schaffen, neue Zellen bilden; und das verlangt die Zerstörung nicht lediglich der bestehenden Organisationen, sondern auch der radikalen Ideologie, auf der sie basieren.
Es versteht sich, daß das eine unmögliche Aufgabe ist; die USA und ihre Alliierten müßten eine Bevölkerung von 1,3 Milliarden Personen durchdringen und jede Versammlung von einigen Menschen entdecken können, die eine neue terroristische Zelle gründen wollen. Das geht schlicht nicht.

Der Dschihadismus läßt sich militärisch nicht unterdrücken, schreibt Friedman und erzählt die Anekdote von dem Entertainer und Humoristen Will Rogers, einer seinerzeitigen Berühmtheit, der im Ersten Weltkrieg gefragt wurde, was die USA gegen deutsche U-Boote tun könnten.

Seine Antwort: Den Atlantik verdampfen, dann würde man sie auf dessen Grund schon entdecken. Wie das denn gehen solle? - Das sei eine technische Frage, er hätte sich aber als politischer Stratege (policy maker) geäußert.

So sei es auch mit dem Kampf gegen den Dschihadismus, argumentiert Friedman: Den Dschihadismus militärisch zu besiegen sei eine wunderbare politische Strategie. Nur leider gebe es Probleme bei der technischen Umsetzung.

Die USA sollen, meint Friedman, den Terrorismus durchaus bekämpfen; aber nicht mit dem unrealistischen Ziel, ihn zu besiegen. Und sie dürften dafür nicht unvernünftig viele Ressourcen einsetzen:
The United States has an interest in suppressing terrorism. Beyond a certain level of effort, it will reach a point of diminishing returns. Worse, by becoming narrowly focused on counterterrorism and over-committing resources to it, the United States will leave other situations unattended as it focuses excessively on a situation it cannot improve. (...)

The world is a dangerous place, as they say, and jihadism is only one of the dangers.

Die USA haben ein Interesse daran, den Terrorismus zu unterdrücken. Jenseits eines bestimmten Grads der Anstrengungen wird dabei ein Punkt abenehmenden Ertrags erreichen. Schlimmer noch: Indem sie sich eng auf die Bekämpfung des Terrorismus konzentrieren und hierfür zu viele Ressöurcen einsetzen, werden die USA andere Situationen unbeachtet lassen, während man sich exzessiv auf eine Situation konzentriert, die man nicht bessern kann. (...)

Die Welt ist nun mal, wie man so sagt, eine gefährliche Gegend; und der Dschihadsmus ist nur eine der Gefahren.
An welche anderen Gefahren er denkt, schreibt Friedman nicht. Darüber nachzudenken überläßt er dem Leser.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: NSF. Als Werk der US-Regierung in der Public Domain.