1. Oktober 2010

Notizen zu Sarrazin (1): Ist das Thema Sarrazin "zu Tode diskutiert"? Ankündigung einer Serie

Im Blog "Freunde der offenen Gesellschaft" schrieb der von mir geschätzte Autor Euckens Erbe gestern: "Es geht hier überhaupt nicht mehr um Sarrazin. Das Thema ist zu Tode diskutiert und beschrieben und ich hatte mir auch vorgenommen, den Mann am besten nicht mal mehr zu ignorieren".

Euckens Erbe schreibt in der Tat dann nicht über Sarrazin, sondern über einen unsäglichen Bericht, den sich der Journalist Peter Fahrenholz in der "Süddeutschen Zeitung" geleistet hat".

Was Euckens Erbe dazu kritisch anmerkt, hat meine volle Zustimmung. Fahrenholz berichtet über eine Diskussion mit Sarrazin in München nicht wie ein Journalist, dem einmal die Bayerische Verfassungsmedaille in Gold verliehen worden ist, sondern wie einer, der das Handwerk des Schreibens bei Karl-Eduard von Schnitzler gelernt hat ("... gerieten gutgekleidete Grauköpfe ins Geifern"; "Herrenreiter-Attitüde"; "ein Hauch von Sportpalast").

Daß das Thema Sarrazin zu Tode diskutiert ist, glaube ich aber nicht.

Gewiß wird die Diskussion über ihn und sein Buch nicht mehr mit derselben Intensität weitergehen wie in den vergangenen nun fast fünf Wochen, in denen auch ich mehr dazu geschrieben habe als jemals zu einem einzigen Thema in so kurzer Zeit (Listen dieser Artikel finden Sie hier und hier).

Aber es gibt Ursachen und vor allem auch Gründe dafür, daß die Diskussion doch fortgesetzt werden wird.

Zu den Ursachen wird der Umstand gehören, daß ja das Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin noch ansteht. Er wird es nach allem, was bisher bekannt ist, der SPD nicht so leicht machen wie der Bundesbank und vor allem dem Bundespräsidenten, den er durch sein nobles Verhalten aus einer selbstgestellten Falle befreit hat.

Wenn Sarrazin sich gegen seine Ankläger in der SPD verteidigt, wenn Klaus von Donanyi (wie er es angekündigt hat) als sein Beistand in dem Parteiordnungsverfahren auftritt, dann wird über das Buch geredet werden; spätestens dann wieder.

Hinzu kommt, daß inzwischen Hunderttausende das Buch besitzen (die Druckauflage liegt gegenwärtig bei 1,1 Millionen Exemplaren). Sie werden es im Lauf der Zeit lesen, wenigstens darin lesen. Das schafft ein anhaltendes Bedürfnis nach Informationen und Diskussionen dazu.

Was nun die Gründe angeht, so wird ja noch immer fast gar nicht über das eigentliche Anliegen Sarrazins diskutiert, das eben nicht die Integration von Einwanderern ist, sondern die Zukunftsfähigkeit Deutschlands (siehe Sarrazin auf dem Prüfstand der Wissenschaft (4): Demographische Entwicklung und Geburtenziffer von Einwanderern - Teil 3: Sarrazins Szenarien; ZR vom 29. September 2010).

Weiterhin ist die Diskussion über die sachliche Richtigkeit von Aussagen Sarrazins noch keineswegs zu einem Abschluß gekommen; es ist noch kaum etwas "ausdiskutiert". Um das zu sehen, braucht man nur diese Passage in dem Artikel von Fahrenholz zu lesen:
Steingart hielt Sarrazin neben den verquasten Passagen zum Thema Intelligenz vor allem den feindseligen Ton vor, in dem er schreibe. (...) Nassehi ... [versuchte auszuführen]..., warum Sarrazins These von der biologischen Vererbung von Intelligenz Unsinn sei, weil sich bestimmte Merkmale und Verhaltensweisen sozial vererben würden.
Nun sind Sarrazins Passagen zur Intelligenz durchaus nicht "verquast", sondern sie fassen den Stand der Forschung zusammen. Und wer behauptet, daß die These von der biologischen Vererbung von Intelligenz "Unsinn" sei, der gibt damit nur sein Unwissen in diesem Forschungsbereich zu erkennen.

Wissenschaftliche Fakten sind ja nicht eine Frage der persönlichen politischen Meinung. Bevor man sich zu ihnen äußert, sollte man schon erst einmal seine Nase in die wissenschaftliche Literatur stecken.

Da ist also noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

"Aufklärung" wäre freilich die falsche Überschrift für die geplante Serie. Anders als in der Serie, in der ich Aussagen Sarrazins auf den Prüfstand der Wissenschaft gestellt habe, sind diesmal Anmerkungen, Weiterführendes, Kommentare zu einzelnen Passagen in Sarrazins Buch geplant. Durchaus und mit Absicht subjektiv; aus meiner Sicht heraus formuliert.

Notizen also. Ich habe bei der Lektüre das eine oder andere notiert und möchte das jetzt ein wenig ausformulieren.

Notizen, keine "Noten", wie Theodor W. Adorno seine Notizen zur Literatur nannte; auf daß der Leser merke, daß Adorno Englisch kann, und außerdem mit Noten etwas anzufangen weiß.

Sie werden manchmal in der Form dem "Zitat des Tages" ähneln, diese Notizen. Jeweils beginnend mit einem Sarrazin-Zitat; dann folgt, was mir als Kommentar mitteilenswert erscheint. Aber es wird auch andere Formen geben; Notizen kennen kein bestimmtes Format.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Thilo Sarrazin und Necla Kelek bei der Vorstellung von Sarrazins Buch am 30. August 2010. Vom Autor Richard Hebestreit unter Creative Commons Attribution 2.0 Generic-Lizenz freigegeben. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.