7. Oktober 2010

Marginalie: Guantánamo schließen? War halt so 'ne Idee ...

Im Wahlkampf 2008 versprach Präsident Obama, Guantánamo zu schließen. Als Präsident hat er bereits am zweiten Tag seiner Amtszeit eine Verordnung (executive order) erlassen, in der es unter der Überschrift "Closure Of Guantanamo Detention Facilities" (Schließung der Haftanlagen in Guantanamo) heißt:
The detention facilities at Guantánamo for individuals covered by this order shall be closed as soon as practicable, and no later than 1 year from the date of this order. If any individuals covered by this order remain in detention at Guantánamo at the time of closure of those detention facilities, they shall be returned to their home country, released, transferred to a third country, or transferred to another United States detention facility in a manner consistent with law and the national security and foreign policy interests of the United States.

Die Haftanlagen in Guantánamo für die Personen, auf die sich diese Verordnung bezieht, werden schnellstmöglich geschlossen, spätestens aber 1 Jahr nach dem Datum dieser Verordnung. Wenn Personen, auf die sich diese Verordnung bezieht, zum Zeitpunkt der Schließung dieser Haftanlagen noch in Guantánamo inhaftiert sind, werden sie in ihre Herkunftsländer zurückgeführt, entlassen, in ein Drittland verbracht oder in eine andere Haftanlage der USA überstellt; und zwar gemäß dem Gesetz sowie den Sicherheits- und außenpolitischen Interessen der USA.
Mit allen diesen Optionen steht es nicht zum Besten, weshalb Guantánamo entgegen dieser Verordnung bisher nicht geschlossen wurde. Eine Schließung ist auch überhaupt nicht in Sicht:
  • Von den Häftlingen, die entlassen oder in ihr Heimatland zurückgeführt wurden, haben nicht wenige alsbald den bewaffneten Kampf gegen die USA wieder aufgenommen; siehe Wie gefährlich sind eigentlich die Häftlinge, die aus Guantánamo aufgenommen werden?; ZR vom 16. 1. 2009, sowie Sind es Unschuldige, die Steinmeier aus Guantánamo aufnehmen will?; ZR vom 5. 2. 2009.

  • Drittländer, die sich freiwillig die Last aufladen, potentielle Dschihadisten aufzunehmen, sind nicht leicht zu finden; auch Deutschland hat das nicht gerade mit Begeisterung getan.

  • Und die Überstellung in die USA zwecks dortiger Aburteilung? Obama versucht das, aber er stößt auf massiven politischen Widerstand; siehe Terroristen, Verbrecher, Kombattanten. Der Prozeß gegen Khalid Sheikh Mohammed und andere könnte zu einem Fiasko für die USA werden; ZR vom 22. 11. 2009



  • Der Anlaß für diese Marginalie ist eine Meldung in der gestrigen New York Times. Sie betrifft den ersten Prozeß vor einem US-Zivilgericht gegen einen ehemaligen Guantánamo-Häftling, Ahmed Khalfan Ghailan, dem die Beteiligung an Attentaten der Kaida auf zwei Botschaften der USA in Ostafrika im Jahr 1998 vorgeworfen wird; damals waren 224 Menschen getötet worden.

    Der Prozeß drohte bereits zu platzen, denn die Verteidigung beantragte die Einstellung des Verfahrens wegen einer zu langen Verzögerung und wegen der Aussage des Angeklagten, er sei gefoltert worden.

    Dem hat der Richter Lewis A. Kaplan nicht stattgegeben. Aber jetzt hat er den wichtigsten Belastungszeugen, Hussein Abebe, nicht zu dem Verfahren zugelassen. Begründung: Zu diesem Zeugen hätten erst Aussagen des Angeklagten geführt, als er in einem geheimen Gefängnis außerhalb der USA verhört worden war.

    Der Richter Kaplan hat aber auch etwas gesagt, was er vielleicht Präsident Obama ins Stammbuch schreiben wollte:
    He added that Mr. Ghailani’s status of "enemy combatant" probably would permit his detention as something akin "to a prisoner of war until hostilities between the United States and Al Qaeda and the Taliban end, even if he were found not guilty."

    Er fügte hinzu, der Status von Ghailani als "feindlicher Kämpfer" erlaube wahrscheinlich seine Inhaftierung als so etwas wie "ein Kriegsgefanger, bis die Feindseligkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und El Kaida und den Taliban enden; auch wenn er nicht verurteilt werden sollte".
    So ist es. Und genau für diese Lösung des Problems, was man mit gefangenen Terroristen machen soll, war die Haftanlage in Guantánamo von Präsident Bush eingerichtet worden. Die Gefangenen wurden und werden dort gemäß der Genfer Konvention behandelt, auch wenn sie formal nicht den Status von Kriegsgefangenen haben.



    Vor knapp zwei Jahren hat ein Spezialist für dieses Problem der Behandlung gefangener Terroristen, Ben Wittes, auf alle diese Schwierigkeiten hingewiesen; ich habe damals darüber berichtet.

    Präsident Bush hätte versucht, mit Guantánamo eine Lösung zu finden, schrieb Wittes, und Präsident Obama werde vor denselben "wrenching choices with no easy answers" stehen; schmerzlichen Entscheidungen ohne einfache Antworten.

    Das war noch, bevor Obama sein Amt angetreten und in völliger Verkennung der Lage die Schließung von Guantánamo binnen eines Jahres angeordnet hatte.



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