10. Oktober 2010

Zitate des Tages: Messerkämpfe, eine deutsche Schlampe als Ministerin und Kinder, welche die Zukunft Deutschlands sind. Sarrazin allerorten

Wir haben selbst gerade drei Jahre lang in Berlin gewohnt. Das Entstehen dieser "Ghettowelt" ist dort mit Händen zu greifen: Schulunterricht, der nicht mehr erteilt werden kann; das Fehlen eines familiären Bezugs zur Schriftkultur; die Verachtung, mit der betrachtet wird, was Lehrer und Lehrerinnen machen; Schulen, die Wachpersonal brauchen; der Tagesablauf des Bezirksbürgermeisters, der mit Messerkämpfen zwischen ethnischen Banden beginnt und mit Gewalt gegen Frauen endet.

Der Historiker Ulrich Wehler gestern in der FAZ im Gespräche mit Jürgen Kaube.


Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) wendet sich gegen Deutschenfeindlichkeit im eigenen Land. (...) "... auch Deutschenfeindlichkeit ist Fremdenfeindlichkeit, ja Rassismus. Denn hier wird jemand diskriminiert, weil er eine bestimmten Ethnie angehört."

Die Ministerin sagte, auch sie sei schon Opfer solchen Deutschenfeindlichkeit geworden. So habe sie sich als Berichterstatterin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch vor ihrer Zeit als Ministerin zum Thema Islamismus geäußert. Dabei sei sie mehrmals als "deutsche Schlampe" beschimpft worden.


Aus einem Artikel in der heutigen "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".


Am Freitag der vergangenen Woche konnten die Münchner in der Zeitung lesen, dass ein Drittel der Kinder in Bayern aus Migrationsfamilien kommt. Anderswo ist das nicht viel anders. Diese Kinder sind die Zukunft Deutschlands.

Dirk Kurbjuweit, Chef des Hauptstadtbüros des "Spiegel", in einem Essay "Der Wutbürger", der im "Spiegel" der kommenden Woche (41/2010 vom 11. 10. 2010, S. 26-27) erscheinen wird.


Kommentar: Was diese drei Äußerungen miteinander verbindet, ist der Umstand, daß man sie ohne das Buch Thilo Sarrazins schwerlich hätte lesen können.

Hans-Ulrich Wehler ist einer der herausragenden deutschen Historiker. Als die Vereinigung amerikanischer Historiker ihn 1999 zum Ehrenmitglied ernannte, hieß es in der Begründung, sein fünfbändiges Werk "Deutsche Gesellschaftsgeschichte" sei eines der "ganz großen, wenn nicht das herausragende Werk der jüngeren deutschen Geschichtsschreibung".

Das Interview, aus dem das Zitat stammt, befaßt sich mit einem Artikel Wehlers, in dem er laut FAZ forderte, die Diskussion über Sarrazins Buch "müsse endlich in einem anderen, sachlicheren, weniger empörten Stil geführt werden". Welcome to the Club bin ich da versucht zu sagen.

Kristina Schröder ist eine mutige Politikerin. Aber daß sie das Wort "Deutschenfeindlichkeit" verwendet hätte, bevor durch die Diskussion über Sarrazins Buch ein neues Klima der Offenheit und Ehrlichkeit in Bezug auf das Einwanderungsthema entstanden ist, darf man füglich bezweifeln.

Und Dirk Kurbjuweit? Auch sein Essay ist, versteht sich, eine Reaktion auf Sarrazin und das, was er ausgelöst hat (der Stuttgarter Bahnhof ist sein zweites Thema).

Allerdings gehört Kurbjuweit offenbar zur Nachhut derer, die Sarrazins Buch immer noch nicht gelesen haben; anders ist nicht zu erklären, daß er darin immer noch "gehässige Thesen" vermutet.

Da sind wir aber schon weiter, möchte man ihm nachgerade zurufen.

Freilich geht es Kurbjuweit nicht nur um Sarrazin. Es geht ihm um Schlimmeres; nämlich eine neue Gestalt, die er in Deutschland entdeckt hat: den "Wutbürger". Ein Fiesling schlimmster Art, sozusagen die Gegengestalt zum Gutmenschen.

Mit diesem Essay eines der einflußreichsten deutschen Journalisten werde ich mich morgen, wenn das Heft erschienen ist, ausführlich befassen.




Nachtrag um 9.00 Uhr: Mein Zweifel daran, daß Kristina Schröder schon vor der Sarrazin-Debatte das Wort "Deutschfeindlichkeit" verwendet hätte, hat sich mit Hilfe von tekstballonnetje geklärt: Sie hat.

Und zwar hat sie im hessischen Landtagswahlkampf im Januar 2008. Kristina Schröder, damals noch Köhler:
Wir stellen fest, dass es in Deutschland zunehmend auch eine deutschenfeindliche Gewalt von Ausländern gegenüber Deutschen gibt, weil das Deutsche sind. Also dass es nicht zufällig ist, dass sich ein Täter mit Migrationshintergrund ein deutsches Opfer sucht, sondern, dass er sich gezielt ein deutsches Opfer sucht, weil es eben ein Deutscher ist.
Daß diese Äußerung dokumentiert ist, verdanken wir der Sendung "Panorama" des NDR vom 24. 1. 2008.

Diese Sendung - unter dem Link finden Sie das Manuskript des Beitrags - ist übrigens ein weiteres schönes Beispiel für die journalistischen Methoden von "Panorama". Für ein anderes Beispiel siehe "Die Aufgabe von Panorama ist es, alle Parteien kritisch zu begleiten". Agitprop gegen die FDP, Methode Karl-Eduard von Schnitzler; ZR vom 25. 2. 2010.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Artikeln zu Thilo Sarrazin finden Sie hier, hier und hier. Mit Dank an tekstballonnetje.