17. März 2010

Zitat des Tages: "Unter den Demographen kaum noch Hoffnung für Deutschland". Gunnar Heinsohns erbarmungslose Analyse

Von 100 Kindern, die Deutschland benötigt, um nicht weiter zu schrumpfen und zu vergreisen, werden 35 gar nicht erst geboren. Statt der 2,1 Kinder je Frauenleben, die für eine demographische Stabilisierung nötig wären, kommen nur knapp 1,4. Von den 65 Kindern, die auf die Welt kommen und zu Jugendlichen heranwachsen, gelten später 15 als nicht ausbildungsreif. Unter den Lehrstellenbewerbern waren fast die Hälfte nicht ausbildungsfähig, so der neueste Berufsbildungsbericht der Bundesregierung. Von den 50 befähigten Kindern verlassen 10 das Land und suchen als Auswanderer anderswo ihr Glück. Es stehen mithin gerade mal 40 der erforderlichen 100 Nachwuchskräfte zur Verfügung. Die Bedrohung für die Wirtschaft, den Sozialstaat, das Gemeinwesen insgesamt wird als so groß empfunden, dass es unter den Demographen kaum einen gibt, der dem Land noch Hoffnungen macht.

Der Bremer Soziologe, Ökonom und Demograph Gunnar Heinsohn gestern in FAZ.Net.


Kommentar: Diese pessimistische Diagnose ist noch nicht das Düsterste, was Heinsohn in seinem Gastbeitrag mitzuteilen hat. Sie ist gewissermaßen nur der Vorhof zur Hölle. Sein eigentliches Thema ist eine zu dieser generellen demographischen Entwicklung gegenläufige Bewegung: Das Anwachsen der nicht arbeitenden Unterschicht.

Sie ist durch zwei Tendenzen gekennzeichnet.

Erstens ist diese unproduktive Unterschicht der einzige Teil der Bevölkerung, der nicht von demographischer Schrumpfung bedroht ist: "Eine demographische Zukunft haben nur die Bildungsfernen". Heinsohn belegt das mit Zahlen. Die Hartz-IV-Bevölkerung besteht gegenwärtig zu 26 Prozent aus Kindern; in der arbeitenden Bevölkerung unter 65 Jahren sind es nur 16 Prozent. Der Abstand wird weiter wachsen, denn bei den jüngsten Kindern liegen die Hartz-IV-Empfänger noch weiter vorn.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Nur für Empfänger von Sozialhilfe rechnet es sich, Kinder zu bekommen. In Heinsohns gewohnt drastischer Formulierung: "Solange die Regierung das Recht auf Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen".

Der zweite Faktor ist die deutsche Einwanderungspolitik.

Alle klassischen Einwanderungsländer suchen sich ihre Einwanderer nach Qualifikation aus. Das führt dazu, daß beispielsweise in Kanada fast 100 Prozent und in Australien rund 90 Prozent der Einwanderer qualifizierten Berufen angehören. Deutschland aber nimmt überwiegend Unqualifizierte auf: Bei uns "liegen Migrantenkinder - von den begabten Ausnahmen abgesehen - tiefer unter dem einheimischen Leistungsniveau als irgendwo sonst auf der Welt", schreibt Heinsohn. Qualifizierte Einwanderer - etwa Juden aus Rußland - sind nur eine Minderheit.



Das ist alles nicht neu. Heinsohn beschreibt die Bedeutung demographischer Entwicklungen seit Jahrzehnten; zuletzt in einem anderen Kontext in seinem Buch "Söhne und Weltmacht". Aber es scheint nicht, daß seine Analysen und die seiner demographischen Zunftgenossen die Politik sonderlich beeindruckt hätten.

Deutschland leistet sich eine kontraproduktive, eine nachgerade suizidäre Bevölkerungspolitik.

Wer arbeitet, der hat mit jedem Kind finanzielle Nachteile. Wer von Sozialhilfe lebt, der wird für jedes Kind finanziell belohnt. Wenn man will, daß eine Gesellschaft untergeht, dann muß man sich ein solches Bestrafungs- und Belohnungssystem für das reproduktive Verhalten ausdenken.

Wir brauchen Einwanderung. Nicht die Einwanderung als solche ist das Problem; nicht die von manchen befürchtete "Überfremdung". An eine funktionierende Gesellschaft assimilieren sich qualifizierte Einwanderer, die ja vorankommen wollen. Auch die Religion der Einwanderer ist nicht das Problem; nicht eine von manchen befürchtete "Islamisierung". Missionsversuche des Islam haben bisher in Deutschland zu bemerkenswert geringen Erfolgen geführt.

Das Problem ist, daß wir es uns leisten, die Einwanderung nicht gemäß unserem Bedarf zu steuern. Wir lassen Menschen ins Land, nicht weil wir sie brauchen, sondern weil sie unsere Sozialleistungen zu schätzen wissen.

Wenn ein Mensch sich derart mildtätig und altruistisch verhält, dann mag das anrührend sein. Wenn ein Staat es tut, dann ist es unverantwortlich. Auch hier gilt: Wer das Scheitern unserer Gesellschaft wollte, der würde eine solche Einwanderungspolitik als geeignetes Instrument wählen.



Ist ein Umsteuern möglich?

Technisch ja. Nichts hindert Deutschland daran, seine Einwanderungspolitik am Vorbild von Kanada auszurichten. Was die Sozialpolitik angeht, so verweist Heinsohn auf das Beispiel der USA, wo nicht etwa ein Konservativer, sondern der demokratische Präsident Bill Clinton eine Änderung der Gesetzgebung erreicht hat, die den Bezug von Sozialhilfe zeitlich limitiert. Folge, so Heinsohn: "Die Frauen der Unterschicht betrieben nun Geburtenkontrolle. So sank die Zahl der 'welfare mothers' drastisch, ebenso die Kriminalität der Söhne dieses Milieus".

Die Frage ist, selbstredend, ob ein Umsteuern auch politisch durchsetzbar ist. Die SPD hat sich, auf dem Weg in die Volksfront mit den Kommunisten, soeben von ihrer eigenen "Agenda 2010" verabschiedet. Das Eintreten der FDP für die Leistungsgesellschaft wird, sieht man sich die aktuellen Umfragedaten an, nicht eben durch Zustimmung belohnt. Die Union erfreut sich eines sozialdemokratischen Flügels, der auf dem Sozialstaat hockt wie ein Glucke auf ihrem Gelege. Keine guten Aussichten.

Die historische Erfahrung zeigt, daß ein Umsteuern des Ausmaßes, das hier erforderlich wäre, erst dann durchsetzbar wird, wenn der Karren - für jeden erkennbar - tief genug im Dreck steckt.

De Gaulle konnte Frankreich erst reformieren, als die Vierte Republik ihr Leben unter kräftigen Zuckungen ausgehaucht hatte. Die Eiserne Lady konnte ihren verkrusteten Sozialstaat erst umkrempeln, als dieser am Boden lag und unter den Schlägen der Gewerkschaften zu zerbrechen drohte. Ronald Reagan konnte es ihr in einer Situation gleichtun, in der die von Lyndon B. Johnson bis zu Jimmy Carter immer sozialstaatlicher gewordenen Vereinigten Staaten jede Dynamik zu verlieren drohten.

So weit sind wir nicht. So weit sind wir gottseidank nicht. So weit sind wir leider nicht. Es geht uns noch gut. Das ist schlecht.



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