12. Dezember 2020

Panik, aber wann?

Unser Land ist in Panik. Daran gibt es wenig zu rütteln. Seit dem zweiten Weltkrieg hat es keine derartig tiefgehende Einschnitte in die Bürgerrechte gegeben, selbst die Radikalenerlässe aus den 70er Jahren kommen da nicht mit. Bayern hat den Katastrophenfall ausgerufen, was der Landesregierung einmalige Rechte einräumt sogar noch die verbleibenden Rechte weiter einzuschränken. Das Freizeitleben ist eingefroren, seit sechs Wochen kann man keinen organisierten Sport mehr treiben, nicht mehr Schwimmen gehen, die Schulen bereiten sich auf erneute Schliessungen vor und die Gastronomie steht vor einer einmaligen Katastrophe mit Schätzungen um die 50% Insolvenzen. Und das ist noch nicht genug. "Team Merkel" will unbedingt nachschärfen, nachdem die Gastronomie zu guten Teilen erdrückt wurde, ist der Einzelhandel dran. Was,  da das Weihnachtsgeschäft diesen Jahres ohnehin in den Seilen hängt, sicher ebenso gut funktionieren wird. 

Das sind allesamt Panikzeichen. Und gut, es gibt sicher ab und an auch Gründe Panik zu haben. Wäre in Deutschland eine antibiotikaresistente Form der Pest ausgebrochen, wäre mit Sicherheit Anlass zur Panik gegeben. Wäre eine wochenlange Hitzewelle mit mehr als 35° über das Land gegangen oder eine Kältewelle mit wochenlangen Werten unter -15° sicher auch. Hätten wir ein Erdbeben im zweistelligen Bereich erlebt vielleicht ebenso, es gibt viele Szenarien, die Panik ermöglichen und vielleicht auch erfordern. Liegt eine Stadt in Schutt und Asche wird keiner dort eine Demonstration sehen wollen oder zum Friseur gehen wollen.

Es stellt sich aber die wichtige Frage: Ab wann besteht denn Grund zur Panik? Was ist eine Berechtigung panisch zu handeln? Wenn beispielsweise doppelt so viele Menschen sterben wie sonst? (Beantworten Sie die Frage erst einmal im Kopf, bevor Sie weiter lesen!)

Ja. Langfristig betrachtet wäre das ein guter Grund zur Panik, es würde bedeuten, dass sich effektiv die Lebenserwartung von derzeit etwas über 80 Jahren auf das Niveau eines armen Entwicklungslandes reduziert hätte. Kurzfristig ebenso? Nein. Wenn das einige Monate geschieht, reduziert sich damit die Lebenserwartung um etwa diese Monate. Ist das Grund zur Panik? Es kann, aber es muss nicht. Fun Fact an der Seite, die Lebenserwartung steigt in der Regel in entwickelten Länder derzeit etwa 3 Monate pro Jahr. Um also mal eine Milchmädchenrechnung allererster Güte aufzulegen: Wenn sich in Deutschland für drei Monate die Sterbezahlen verdoppeln, dann entspricht das im Wesentlichen dem, dass die Lebenserwartung der Deutschen in diesem Jahr stagniert, statt wie sonst besagte drei Monate anzusteigen. 
Wäre das nun Grund zur Panik? Es ist sicher nicht schön, wir wollen alle nicht sterben, aber vielleicht ein Grund sich weniger Sorgen zu machen. 

Aber auch das Bild ist noch nicht vollständig. Denn ich habe natürlich unterstellt, dass sich die Sterbezahlen in diesem Szenario verdoppeln. Steht das an? Wenn man Markus Söder zuhört, dann möchte man das meinen. Er erklärt uns, dass jeden Tag ein Flugzeug Menschen abstürzt. Das klingt dramatisch. Und vermutlich wird er dieser Tage auf zwei Flugzeuge erhöhen, denn laut Blöd-Zeitung sind wir inzwischen bei 600 Toten pro Tag. Das klingt nach sehr, sehr viel und so wenig ist es auch nicht. Aber es ist noch deutlich von den 2700 Toten pro Tag entfernt, die völlig unbemerkt jeden Tag versterben. Jetzt sind Vorhersagen sehr schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen, aber lassen Sie mich mal das Milchmädchen ein bischen weiter strapazieren. Die Zahl der Toten ist durch die letzten 2 Wochen gestiegen, im Nachzug der Infektionen. Gehen wir mal frecherweise davon aus, dass die Infektionszahlen halbwegs gleich erhoben werden, d.h. unterstellen wir nicht, dass sich die Dunkelziffer im Verhältnis in den letzten zwei Wochen erhöht hat. Sprich: Wir gehen davon aus, dass das Dunkelfeld nicht stärker gewachsen ist als das Hellfeld und gehen damit davon aus, dass die gemessenen Infektionszahlen zumindest den Ausbreitungsverlauf korrekt nachbilden. Da sich die Infektionszahlen halbwegs stabilisiert haben, müsste auch die Zahl der Corona-Toten einem Plateau zustreben. Nehmen wir mal großzügig an, dieses Plateau würde bei 1000 erreicht (leichter zu rechnen). Also schon drei bis vier Söder Flugzeuge oder heutige Panik mal zwei. Und nehmen wir weiterhin an, die Corona-Pandemie in der Form halte noch mindestens vier Monate an (weil es im März wieder wärmer wird). Dann würde das bedeuten, wir verlören ungefähr eine Lebenserwartung von 5-6 Wochen oder noch anders: Die Lebenserwartung der Deutschen würde in diesem Jahr nur 6 Wochen steigen. 

Ist das Grund zur Panik? Nein. Das ist Unsinn. Und auch ziemlich klar erkennbarer Unsinn. Was nicht bedeutet, dass Corona nicht effektiv eine tödliche Krankheit ist, die zehntausende in Deutschland umbringt. Und der Tod an Corona ist mit Sicherheit nicht schön. (Das ist übrigens der Tod am Lungenkrebs auch nicht (etwa 50.000 im Jahr, da ist Corona noch deutlich von weg), der im Unterschied zu Corona zu nahezu 90% vermeidbar ist.) Aber es ist kein Grund zur Panik. Als Gesellschaft sind wir von Corona derzeit nicht bedroht. Im Einzelfall ist Corona genauso furchtbar wie für Menschen, die an Krebs sterben, an Asthma oder auch an Mukoviszidose. Aber statistisch ist Corona zumindest derzeit nichts besonderes. 

Das KANN sich ändern. Wie schon oben vermerkt, die Zukunft ist schwer vorherzusagen (oder wie Meister Joda sagen würde: Im ständigen Fluss). Und es kann sich ein Geschehen entwickeln, dass uns wirklich bedroht. Es kann. Aber derzeit gibt es dafür keinen Anlass. Wir erleben nicht das explosive Wachstum und die Bilder aus Bergamo oder New York. Wir erleben nicht die spanische Grippe. Was wir erleben ist das pandemische Geschehen, dass einer schweren Grippe-Welle entspricht. Die auch am Ende zwar in die Geschichtsbücher eingeht, aber ansonsten keine großen Auswirkungen hat. Auch die bei der asiatischen Grippe gestorbenen "Zehntausenden", sind jämmerlich gestorben. Aber das Land hat das nicht geprägt und auch die durchschnittliche Lebenserwartung nicht groß verändert. 

Im Unterschied zu den "Maßnahmen". Denn die haben deutlich stärkere Auswirkungen. Im Einzelfall kann man immer viel diskutieren, aber es gibt einen ziemlich trivialen Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Reichtum einer Gesellschaft. Wenn wir zehn Prozent einstampfen, dann sinkt unsere Lebenserwartung. Und zwar ganz ordentlich. Der Zusammenhang ist nicht streng linear, aber eine Verdoppelung des Reichtums entspricht ungefähr um die 3,5 Jahre Lebenserwartung. D.h. ein Verlust von Wirtschaftsleistung von 10 Prozent entspricht einem Verlust von um die 8 Monate und selbst 5 Prozent entsprechen immer noch vier Monaten. Oben sprachen wir von 6 Wochen. Und das auch nur unter Söder Bedingungen. D.h. die Maßnahmen kosten uns jetzt schon deutlich mehr als die zugrunde liegende Krankheit. Aber Team Merkel will noch ein bisschen nachschärfen. 

Jetzt sind das alles kalte Zahlen (und an einigen Stellen habe ich schon Relativierungen eingebracht). Und man muss kalte Zahlen nicht teilen. Es ist eine Eigenschaft grüner (und damit leider zunehmend  deutscher) Politik Statistiken und Zahlen zu ignorieren und lieber auf Gefühle zu setzen. Deswegen sind sie aber nicht weniger richtig oder falsch. Man kann ja über solche Zahlen streiten, sie können im Einzelfall falsch oder richtig sein, aber diese Diskussion findet ja gar nicht statt. Stattdessen wird über abstürzende Flugzeuge schwadroniert. Und es wird Panik geschürt. Weil sie politisch nützlich ist. Aber im großen wie im kleinen gilt: Wer auf Panik hört, wird am Ende immer verlieren. 

Um es mit Douglas Adams zu sagen: Don't panic!

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Llarian

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