8. April 2020

Corona, der letzte Tritt für Europa?

In den letzten Wochen ist viel und noch mehr über die Krankheit COVID-19 und ihre Folgen diskutiert und debattiert worden, zweifelsfrei in voller Berechtigung angesichts der humanen Katastrophe, die sich in Italien oder Spanien zeigt und sich für Großbritannien und die USA gerade recht deutlich abzeichnet. 
Wenn der Sommer das Problem nicht eindämmt oder wie durch ein Wunder ein Impfstoff auftaucht, dann werden in diesem Jahr mehr Menschen in den westlichen Ländern sterben, als jemals zu Friedenszeiten seit mehr als 100 Jahren. 

Neben der menschlichen Tragödie gibt es mit Sicherheit aber auch soziale und nicht zuletzt gravierende wirtschaftliche Folgen. Nach Meinung dieses Autors werden die gravierendsten Folgen weltweit in Europa (EU) wiederzufinden sein. Und das soll hier begründet werden.

Europa stand schon vor Corona in wirtschaftlich schwierigem Felde. Am Anfang dieser Entwicklung stand eine unterschiedliche Auffassung der Staatsfinanzen, bzw. des Verhältnisses zwischen Konsum und Investition zwischen den verschiedenen Ländern. In südlichen Ländern, aber auch in Frankreich und Spanien wurde immer schon etwas mehr konsumiert, als beispielsweise in Deutschland, Österreich oder den Niederlanden (das Renteneintrittsalter spricht hier Bände). Das kann man schon geradezu als traditionell bezeichnen, Lebensart wird unterschiedlich gesehen und kulturelle Prägung macht eben auch große Unterschiede. Dieses Missverhältnis war im Rahmen eines sich vereinigenden Wirtschaftsraumes schon immer ein Problem, wurde aber durch den Euro und vor allem durch die verheerende Politik von Mario Draghi noch einmal massiv potenziert. Die südlichen Ländern konnten dank Draghi die dringend gebotenen Reformen um Jahre aufschieben, weiter konsumieren und sich vor allem weiter verschulden. In der Folge wurden die Volkswirtschaften zunehmend wettbewerbsunfähig und waren mehr und mehr auf die Finanzierung durch die EZB angewiesen. Gleichzeitig gewannen die Nordländer deutlich an Wettbewerbsvorteilen, die sie zwar kurioserweise mit eigenem Kapital finanzieren mussten, aber dennoch im internationalen Wettbwerb zumindest nicht ähnlich deutlich zurückfielen. 
Inzwischen sind die Südländer massiv von der EZB und damit den Nordländern abhängig, die Transferunion wird zwar nicht als solche benannt, liegt aber schon deutlich auf dem Tisch, mit der kleinen Einschränkung, dass die Nordländer im Moment in dem Prozess noch mitbestimmen können. Deutschland alleine hat in den vergangenen zehn Jahren (dank Draghi) nahezu eine Billion Euro an Kapital exportiert, bzw. verschenkt in Krediten, die nie getilgt werden können.

Unmut macht sich dennoch breit, und das auf beiden Seiten. Die nördliche Seite, wenn auch nicht deren politische Vertreter, so aber die einfachen Leute, sieht es immer weniger ein, Jahr um Jahr zu arbeiten, damit  der Süden durchgefüttert wird. Wenn in Deutschland seit Jahren die Reallöhne stagnieren, während man in Griechenland oder Italien immer noch Jahre früher in Rente geht, führt das zu Unmut. Der Süden wiederum hat keine Lust sich permanent von den Nordländern, allen voran von den Deutschen, erklären zu lassen, wie sie zu leben haben. Gerade nicht von den Deutschen, die ihre Vorstellung vor nicht einmal einem Jahrhundert anders durchzusetzen suchten, was eben noch nicht vergessen ist, egal wie viel Asche sich die Deutschen aufs Haupt streuen.

Als Gesamtheit hat Europa wirtschaftlich zunehmend ein Problem: Selbst die Nordländer, die eigentlich im internationalen Wettbewerb stehen, fallen zunehmend zurück, dazu kommt, dass der permanente Kapitalexport in den Süden im Norden die Substanz schwächt. Infrastruktur verfällt, Investitionen nehmen ab. Die Wettbewerbsfähigkeit von Europa insgesamt nimmt ab. 

Und genau in  diese Situation tritt Corona. Und wie das Schicksal so spielt, trifft es die Südländer am härtesten und sie müssen auch am härtesten reagieren. Italien geht den ganz harten Weg, ob berechtigt oder nicht, man fährt die Industrie, die man noch hat, herunter. Auf unbestimmte Zeit. In der Folge stürzt die letzte Wettbewerbsfähigkeit, die man noch hatte, endgültig ab. Die italienische Wirtschaft liegt am Boden und ob sie sich von dem Schlag überhaupt erholen kann, ist zumindest alles andere als sicher. Auch die Nordländer büßen ein, aber nicht im selben Level. In dieser Situation ist Italien pleite, Spanien steht nicht viel besser da und auch Frankreich hat ein gewaltiges Problem. Und deswegen haben alle drei im Wesentlichen nur eine Lösung im Sinn: Das Geld der Nordländer. Und sie wollen auch nicht mehr darum bitten. Sie wollen es haben. Und sie wollen die Kontrolle haben, auch in Zukunft so viel davon nehmen zu können, wie sie für richtig halten. Ohne sich von den Nordländern sagen zu lassen, was sie damit tun sollen oder müssen. Das nennt sich dann Corona-Bond, nannte sich früher Euro-Bond und ist nichts weiter als die Erlaubnis Schulden zu machen, für die andere haften. Der italienische Regierungschef Conte macht nicht einmal einen Hehl daraus, ihm ist es nicht wichtig wie viel Geld er in diesem Jahr bekommt, er will den Mechanismus etablieren für eine Zeit, wenn der politische Kredit, den ihm das Massensterben im eigenen Land gerade bringt, nicht mehr da ist. Eine sachliche Begründung hat er nicht, aber er kann mit der humanen Katastrophe moralischen Druck ausüben und scheut sich keinesfalls die Toten für seine Zwecke zu instrumentalisieren.

Aus nördlicher Sicht, insbesondere aus deutscher Sicht, sind solche Bonds dagegen verheerend. Denn das ist nicht mehr nur ein Einstieg, das ist die ganz reale Transferunion. Und zwar unkontrolliert und ohne die Möglichkeit sie je wieder abzuschaffen. Das ganze ist nicht nur illegal (das hat das Verfassungsgericht deutlich festgestellt), es ist zudem die Aufgabe der Souveränität als Staat. Das wissen genaugenommen auch die Südländer (einer muss es noch der SPD sagen, aber die hat es ohnehin nicht so mit der Verfassung).

Das wirklich Üble ist, dass Italien (genauso wie Spanien, eventuell aber auch Frankreich) zunehmend auf die Transferunion angewiesen ist. Sie haben gar nicht mehr die Wahl, für sie geht es um die Existenz. Italien ist in einer ganz ähnlichen Situation wie die DDR kurz vor der deutschen Einheit. Entweder kommt man an fremdes Geld oder man muss den eigenen Lebensstandard drastisch (in der DDR waren es 20-30 Prozent, in Italien wird es locker die Hälfte sein) zurück nehmen. Das ist politisch nicht vermittelbar, weder durch Conte noch durch seinen Gegenspieler Salvini.
Deswegen werden in Italien derzeit auch wieder die Nazi-Vergleiche für die Deutschen ausgepackt und deswegen wird man auch demnächst (diese Prognose sei gewagt) wieder die deutsche Kriegsschuld auspacken und ein paar hundert Milliarden, eventuell sogar mehr, von den Deutschen einfordern (die man praktischerweise sofort monetarisieren kann, indem man die Target-Schulden, die fast eine Billion Euro betragen, für nichtig erklärt, Griechenland ist auf diesem Weg bereits "juristisch" unterwegs). Bei allem was man daran jetzt mies finden kann (und das wäre nicht wenig), so muss man auch etwas anderes anerkennen: Es ist schlichte Verzweifelung und in der Verzweifelung tun Menschen Dinge, die sie selber vielleicht unter anderen Umständen nicht tun würden.

Und hier stellt sich die spannende Frage, ob die Nordländer das mitmachen können und wollen. Klar, im Moment versucht man die akute Krise mit Geld zuzudecken. Man will den Italienern (und Spaniern, und Franzosen) einiges an Geld zustecken, aber man will sich nicht darauf einlassen, für die Zukunft einen Blankocheque auszustellen. Nur haben die gar keine Lust mehr sich "kaufen" zu lassen, weil sie genau wissen, dass selbst eine gute zweistellige bis knapp dreistellige Milliardensumme sie nur kurz- bis mittelfristig satt macht. Was sie brauchen ist eine dauerhafte Alimentierung. Und damit hat Europa einen massiven Spaltpilz, vielleicht den letzten Tritt, den es noch gebraucht hat. Corona hat am Ende nur beschleunigt, was durch den Euro eingeleitet wurde: Entweder es gibt eine echte Transferunion, oder das ganze bricht zusammen.

Gibt es aber eine echte Transferunion, dann stellt sich die Frage wie lange das gut gehen soll. Denn selbstredend wird sich die europäische Wettbewerbsfähigkeit dadurch nicht verbessern sondern massiv verschlechtern. Weder ist der nordische Kapitalexport ewig machbar, noch lässt sich mit einem Mühlstein gegen die weit fitteren Staaten in Asien antreten. Bei der Digitalisierung ist Europa heute schon Entwicklungsland. Und die massiven Lasten, die Deutschland durch die Regierung Merkel aufgenötigt wurden, vom Energieirrsinn bis zur Flüchtlingskatastrophe, kosten auch jedes Jahr eine fast dreistellige Milliardensumme mit klarer Tendenz nach oben. D.h. selbst wenn man wie SED und SPD die Transferunion unbedingt haben will, ist das Geld dafür nicht ansatzweise vorhanden sondern kann nur durch die (endliche) Ressource der deutschen Sparvermögen finanziert werden. Und auch innenpolitisch hat das ganze massive Folgen. Die öffentlich rechtliche Propaganda kann die AfD lange niederhalten, aber auf Dauer kann sie die Realität nicht verbiegen. Eine massive Verfassungskrise käme dazu, müsste das Verfassungsgericht doch eine gerade festgestellte Rechtssprechung in sein Gegenteil verkehren.

Angela Merkel hat durch ihre durch und durch verheerende Regierung der letzten Jahre Europa an den Rand des Abgrundes geführt, angefangen vom ESM (hallo FDP btw.) bis zur Flüchtlingskatastrophe. Es kann gut sein, dass Corona jetzt der Schubs ist, der in den Abgrund führt. Denn so richtig lösen kann man das Problem nicht mehr. Käme es so läge darin sogar ein bildlicher Vergleich: In den Klinken sterben wohl viele Menschen mit Corona, nicht an Corona. Corona ist nur der letzte Tropfen. Das könnte auf die Wirtschaft des Kontinentes genau so zutreffen: Wenn die europäische Wirtschaft jetzt in eine massive Rezession geht, von der sie sich jahrelang nicht erholen wird, dann  passiert das mit Corona. Aber die Ursache liegt woanders.


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Llarian

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