8. Oktober 2018

Fragen zu allen Dingen überhaupt: Ist es Kunst, kann es weg, und wenn es weg ist, ist es dann noch Kunst?

"Going, going, gone". 
(Banksy)

Die Briten haben den Deutschen nicht nur Errungenschaften wie eine eigene Währung, eine Königin und den Linksverkehr voraus, sondern auch - und das gehört in Deutschland zum Pflichtwissen gebildeter Kreise: Humor. Dieser wird auch gerne geschätzt, solange er im Bereich von toten Papageien oder einschlafenden Kirchenbesuchern verweilt. Was die Deutschen dagegen nie verstanden haben, ist der sogenannte practical joke oder kurz prank. Deshalb haben wir es nie zu einer Tradition gebracht - man denke nur an Verstehen Sie Spaß, wo ein zum Verzweifeln fader Schweizer  völlig einfallslos irgendwelche Prominenten "reinlegte", das galt dann als Samstag-Abend-Unterhaltung. Die wenigen gelungenen Ausnahmen - Bernd Fritz' großartiges Buntstiftschlecken bei Gottschalk oder kürzlich Joko und Klaas' Ryan-Gosling-Fake bei der Goldenen Kamera - wurden eher missbilligt

Einen außergewöhnlichen prank hat der britische Künstler Banksy jetzt im Vatikan des Kunstmarkts, bei Sotheby's in London abgezogen. Er hatte im Rahmen eines seiner Werke einen Schredder verbaut, der just in dem Moment, als der Hammer bei einem Gebot von 860.000 GBP fiel, das Bild in kleine Streifen zerschnitten hat.   

Ich fand Banksy als Künstler immer weniger interessant durch seine Aussagen - die liegen ziemlich im Feuilleton-Mainstream (ein bisschen Klimawandel, ein bisschen Gaza, ein bisschen gay rights usw.), sondern dadurch, dass er mit den Mechanismen des Kunstmarktes, ja mit der Definition des Kunstbegriffes spielt. Angefangen hat er als Sprayer (daraus resultiert heute noch, dass er seine wahre Identität nicht preisgibt, auch wenn alles auf Robin Gunningham hindeutet), aber schon bald ging er dazu über, z. B. seine Werke heimlich und natürlich ohne Erlaubnis in Museen aufzuhängen oder Pfundnoten mit seinem Bild statt dem der Queen zu verteilen. Oder - als er schon längst fünfstellige Auktionsergebnisse erzielte - sie an einem Stand auf der Straße für 60 GBP das Stück zu verkaufen. Letzteres war sehr aufschlussreich, weil natürlich niemand and die Echtheit glaubte. 

Aus meiner Sicht gibt es keinen Theoretiker, der zum Thema Kunstmarkt scharfsinnigere und überzeugendere Thesen aufgestellt hat als Norbert Bolz, der von Kunst als der "paradoxen Ware" spricht. Nun ist ja Bolz einer unter den wenigen deutschen Intellektuellen, die nicht nur den Konsumismus und den Kapitalismus an sich verteidigen, sondern auch die Grenzen zwischen Kunst und Marketing als fließend ansehen, wobei er den amerikanischen Kitschgiganten Jeff Koons als wichtigsten Protagonisten ansieht. Koons begegnet uns im selben Zusammenhang auch beim romantischen Reaktionär Houellebecq in dessen Roman "Karte und Gebiet", als er seine Künstlerfigur Jed Martin eine Szene mit dem Titel und Inhalt "Jeff Koons und Damien Hurst teilen den Kunstmarkt unter sich auf" malen und anschließend zerstören lässt. Selbst in der Fiktion ist das Phänomen Kunstmarkt nicht plastisch darzustellen - ironischerweise hat der Hamburger Kunstverein im letzten Jahr eine "Jed-Martin-Retrospektive" abgehalten, bei der verschiedene Künstler die im Roman erwähnten Bilder auf die Leinwand gebracht haben, und dann tatsächlich viele Besucher glaubten, Martin existiere tatsächlich.

Das Paradox liegt darin, dass der Kunstmarkt scheinbar ökonomischen Gesetzmäßigkeiten folgt, die Kunst aber spätestens seit der Romantik - und dabei unbeeinflusst von der aufklärerischen Moderne - nach gängigem Verständnis danach streben muss, sich ihm zu entziehen. Häufig wird das als politische Frage wahrgenommen - aber trotz der allgegenwärtigen Politisierung der Kunst hat diese auf den Markt keinen Einfluss - gerade Koons und Hirst sind sozusagen Turbokapitalisten der Kunst. Auch findet sich der Widerstand gegen die "Kommerzialisierung" der Kunst quer durchs politische Spektrum: von den Romantikern - Wagners berühmtes und häufig in einem politischen Zusammenhang fehlzitiertes Diktum "Deutsch sein heißt eine Sache um ihrer selbst willen zu tun" bezieht sich eigentlich auf die Kunst - über die Nazis, die im Kunstmarkt natürlich jüdisches Spekulantentum sahen bis hin zu linken Intellektuellen wie Adornos Kulturindustrie. Auch die bürgerliche Mitte vertritt großteils diese Ansicht, aber aus anderen Motiven heraus: Die konservativ Gesinnten streben nach der Objektivierbarkeit des künstlerischen Wertes und sehen im Kunstmarkt eine Verzerrung - anders gesagt: ein Rembrandt darf eine Million kosten, aber doch nicht so ein Schmierfink wie Pollock? "Das kann ja meine dreijährige Tochter besser". Nichtintellektuelle Linke finden den Kunstmarkt auch doof, aber in erster Linie deshalb, weil es ein Markt ist - anders gesagt: "Wenn sich einer ein Bild für eine Million kaufen kann - Rembrandt oder Pollock, scheißegal - haben wir ihn zu wenig besteuert". Der wahre Wert des Kunstwerks liegt dem Linken in der politischen Aussage, und die Konservativen machen es ihm unter umgekehrten Vorzeichen nach..

An diesem Verständnis hat sich grosso modo nicht viel geändert, und Banksys prank ist deswegen interessant, weil er sehr viele Fragen rund um dieses Thema aufwirft. 

Zum einen natürlich nach der physischen Manifestation des Kunstwerks und dem Zusammenhang zu seinem Wert. Es ist anzunehmen, dass die Aktion den Marktwert des Kunstwerks wahrscheinlich noch deutlich erhöhen wird, weil sie ihm Einmaligkeit verleiht. Aber sind dann die Schnipsel, auf dem das Motiv nicht zu erkennen ist, mehr wert? Das wäre bei einem geschredderten Rembrandt sicher nicht der Fall - man braucht nur das ZDF einzuschalten (die Wahrscheinlichkeit, dass gerade Bares für Rares dran ist, geht gegen 1) um zu erfahren, dass bei alten Meistern der Zustand definitiv ein Preiskriterium ist.

Und was ist, wenn man die Schnipsel wieder zusammenfügt, dann liegt der Wert ja nur in der Geschichte? Und wie ist es mit der Erwartung des Käufers? Er hat jetzt wertvolle Schnipsel, aber kein Mädchen und keinen Ballon, die er vielleicht gerne angesehen hätte? Tritt er vom Kauf nicht zurück, hat sich dann seine Motivation von Kunstsinn in Geldgier verändert?

Dann wäre noch zu fragen, wie die Rolle Sotheby's einzuordnen ist. Mehrere Kommentatoren halten es für höchst unwahrscheinlich, dass niemand von Sotheby's im Vorfeld davon wusste. Es ist schwer vorstellbar, dass bei einem Los mit einer sechsstelligen Erlöserwartung niemand sich den Rahmen vorher genau anschaut, niemand bemerkt wie schwer er ist und daraufhin den Mechanismus entdeckt. Wenn also Sotheby's davon wusste, haben sie bewusst still gehalten, weil das einfach ein Riesen-PR-Coup ist? Und wenn Sotheby's davon wusste, wusste auch Banksy davon? Also inszenierter Riesen-PR-Coup? In Zusammenarbeit mit der Institution, die den Kunstmarkt geradezu personifiziert, gegen den sich die Aktion aber richten soll? Und mit welchem Zweck? Um seine Werke auf dem Kunstmarkt noch teurer zu machen? Das wäre der Beweis für Bolz' These von der Gleichsetzung von Kunst und Marketing.

Aber das wissen wir vorläufig nicht, und so bleibt mir nur - entsprechend Noricus' Motto für diese Kategorie - an die Leser die Frage aus dem Titel zu richten!

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Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: mafleen: There is always hope. (CC BY-NC-SA 2.0). Für Kommentare bitte hier klicken.