18. Oktober 2017

Imbeziles, kurz kommentiert: Patrick Bahners' intellektueller Offenbarungseid

Es gibt Sätze, Aussagen zumal, bei denen sich eigentlich jeder weitere Kommentar erübrigt: zu offenkundig ist ihre Aussage, stellen sie den, der sie getätigt hat, vor aller Welt bloß. So auch in diesem Fall. Patrick Bahners, seit langem der prominenteste deutscher Vertreter der Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus (D.O.N.A.L.D.) sowie zahn Jahre als Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und seit dem vorigen Jahr dortselbst für das (einstmals) renommierte Ressort "Geisteswissenschaften" zuständig, hat sich am letzten Tag der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, am letzten Sonntag also, zu einer solchen Offenbarung bemüßigt gesehen. Über den Kurznachrichtendienst Twitter teilte er der Öffentlichkeit folgendes mit:­

 Patrick Bahners‏ @PBahners  15. Okt.
Die Einbildung, ein von Menschen gemachtes Gesetz müsse über den heiligen Büchern der Religionen stehen, ist der wahre Fanatismus.


Das ist nun ein Satz, den man sich als Kind der Aufklärung, im Nachgang von drei Jahrhunderten des Eintretens für die Ratio, für von Menschen gesetzte Regeln und Gesetze mit allgemeiner Gültigkeit für alle von ihnen Betroffenen, für die Einhegung religiösen Eiferertums unter der Kuratel eines alles überwölbenden Säkularismus erst einmal langsam ins Gemüt sinken lassen muß. Nicht die Verfechtung religös befeuerten Zelotentums, durch göttliches Gebot befeuerte Gewalt gegen Ketzer, Abtrünnige, Andersgläubige, Ungläubige, deren Blutspur sich durch die Jahrtausende zieht, soll der "wahre Fanatismus" sein, sondern deren Einhegung? Natürlich sind die Gesetze, die Regeln dieses zivilgesellschaftlichen Miteinanders, ihre Anwendungen und Sanktionen, Menschenwerk. Wandelbares Menschenwerk, dessen Bestimmungen sich nach den Erfahrungen damit und den wechselnden Bedürfnissen verändern lassen - und verändert werden. Was auch sonst? Glaubt Bahners im Ernst, daß den Vorschriften partikülärer Religionen ein unabdingbares Prärogativ vor den Gesetzen einer weltlichen Ordnung zukommt? Und daß allein schon die Überzeugung - oder in seinen Worten "die Einbildung," daß dem so sei, einen "wahren Fanatismus" darstellt - im Gegensatz zum augenscheinlich geringeren der religiösen Agenden? Wären ihm etwa, um ein extremes Beispiel zu wählen, die Opferkulte der Mayas und Azteken, nach deren Überzeugung die Schöpfung nur durch das unablässige Vergießen menschlichen Blutes vor dem Untergang bewahrt werden konnte, vielleicht ein höheres Gut als jeder Einspruch gegen solche Barbareien, weil sie sich in "heiligen Büchern" begründet fanden? Darf man sich den Hinweis erlauben, daß es sich bei all diesen heiligen Büchern um das Werk von Menschen handelt, fehlbaren, in ihrer Zeit gefangenen Kollektivschöpfungen, denen schon aus diesem Grund kein Status vor dem über Jahrhunderte - und im Fall unseres Rechtssystems, das auf das Römische Recht zurückgeht, Jahrtausende - gewachsenen corpus juris für die Regelung in der greifbaren, konkreten Welt jenseits aller halluzinierten Transzendenz.

Man könnte, wäre man mißgünstig, einen solchen Verdacht hegen. Denn von den gegenwärtigen großen Religionen, aus dem großen Weltdeutungs- und Sinngebungs-Korb von Christentum, Judentum, Hinduismus, Konfuzianismus, Shintoismus, Ba'hai, Jainismus ragt nur eine hervor, die auf ihrem Anspruch, sich prinzipiell über die weltlichen Gesetze zu stellen, sich ihnen nur insoweit unterzuordnen, wie sie es mit ihrem Verständnis unangezweifelter Überlegenheit vereinbaren kann, unablässig besteht, ihn als dauernde Forderung ihm Programm hat und sich damit in den Vordergrund drängt. Bahners nun hat vor einigen Jahren, 2011, sich in seiner einzigen Buchveröffentlichung zum vehementen Verteidiger eben dieser Religion gemacht, im Zuge der in den Jahren zuvor laut gewordenen Kritiken und Einwände, als deren Auslöser der 11. September 2001 und der dänischen Karikaturenstreit um die Darstellung des Propheten vier Jahre später gelten können. Wikipedia ist nun sicher keine Quelle, der man - in strittigen Fragen - übergroße Objektivität oder Ausführlichkeit zutrauen sollte. Da aber dort - aufgrund des dort praktizierten offenen Autorenprinzips - wenn überhaupt ein Bias zugunsten des Betroffenen zu unterstellen ist, seien die dortigen Ausführungen zu Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam einmal hierhergesetzt:

Das Buch verzichtet auf einen wissenschaftlichen Fußnotenapparat, die Zitate sind in einem enggedruckten elfseitigen Belegteil nachgewiesen. ...  Bahners setzt sich in sieben Kapiteln mit einer Islamkritik auseinander, die er als bedenklich für das politische Klima in Deutschland ansieht. Zunächst stehen die Kontroversen um die Aussagen des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff zum Islam in Deutschland sowie um Thilo Sarrazins Abberufung aus dem Bundesbankvorstand im Zentrum. Das zweite Kapitel behandelt kritisch einige von Bahners als typisch betrachtete Vertreter der These, der Islam sei auf die Welteroberung fixiert, auf deutscher Seite insbesondere Hans-Jürgen Irmer, Udo Ulfkotte und Hans-Peter Raddatz, und stellt die These auf, dass es mittlerweile eine internationale Vernetzung der Islamkritik gebe. ... In seiner Streitschrift wendet sich Bahners gegen Islamkritiker wie zum Beispiel Ayaan Hirsi Ali, Henryk M. Broder, Ralph Giordano, Necla Kelek, Thilo Sarrazin und Alice Schwarzer. Darüber hinaus kritisiert er einzelne Aussagen von weiteren Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt, Joachim Gauck, Wolfgang Huber und Klaus von Dohnanyi. Dabei glaubt Bahners amerikanische Einflüsse auf die von ihm beschriebene Islamkritik zu erkennen. Er konstatiert: „Es gibt eine islamkritische Internationale.“ (...)
Bahners wirft Islamkritikern vor, sie steigerten die Attraktivität ihrer Argumente mit einer „radikale(n) Vereinfachung der Weltverhältnisse“. Zum Beleg zitiert er Henryk M. Broder, gemäß dem „eine direkte Linie von der Al Qaida im Irak und der Intifada in Palästina zu den Jugendlichen mit ‚Migrationshintergrund‘ in Neukölln und Moabit“ führe.[3] Zwar werde das von Bahners Islamkritikern unterstellte Bild, gemäß dem die „Schulschwänzer in Neukölln Kampfgenossen der Selbstmordattentäter von Bagdad“ seien, scheinbar durch eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) über Gewalterfahrungen Jugendlicher gestützt. Diesem Eindruck, wie er insbesondere in Vorabveröffentlichungen in der Presse wiedergegeben worden sei, widerspricht Bahners allerdings nachdrücklich unter Bezug auf die Ergebnisse der Studie.

Ganz nebenbei sei nur kurz daran erinnert, daß sich der Auftrag der weltweiten Missionierung des Islams wortwörtlich in den Suren des Korans findet (etwa in Sure 2, Vers 193: “Und kämpft gegen sie, bis niemand [mehr] versucht, [Gläubige zum Abfall vom Islam] zu verführen, und bis nur noch Allah verehrt wird”), daß die "Kairoer Erklärung der Menschenrechte" von 1988 in seiner Präambel diesen nur insoweit Gültigkeit zugesteht, als sie sich mit der Scharia vereinbaren lassen, und daß der Regelkanon der Scharia sich allein aus den Bestimmungen des Korans herleitet und dessen Vorherrschaft erst ermöglicht. Und daß dieser Regelkanon die zentralen Inhalte, die den westlichen Begriff der Menschenrechte zentral prägen, wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Trennung von Staat und Religion, die prinzipielle freie Meinungsäußerung und Infragestellung sämtlicher Inhalte und vermeintlichen Gewißheiten durch kritische Prüfung, nicht kennen und verdammen.

Seis drum. Festzuhalten bleibt, daß unser Herr Redakteur am vergangenen Sonntag nicht allein an der Verwerfungszone zwischen Offenbarung und Empirie unterwegs war. Schwer beeindruckt von der Rede der kanadischen Autorin Margaret Atwood zur Verleihung des Friedenspreises auf eben der Frankfurter Buchmesse wußte er folgende tiefsinnige Passage daraus zu twittern:

Margaret Atwood: "Beauftragt man die Ameisen, das Picknick auszurichten, werden die Ameisen das Picknick nach ihrem Geschmack umgestalten."
Im Deutschen ist diese Erkenntnis in der Phrase "den Bock zum Gärtner machen" freilich schon länger geläufig. Doch Bahners' Verneigung vor Atwood erinnert an ein anderes, nun auch drei Jahrzehnte zurückliegendes Aufeinanderprallen zwischen ungebremstem religiösen Herrschaftswahn und dem Einstehen für die Freiheit um jeden Preis. Atwoods literarisches Vermächtnis, das zeichnet sich jetzt bereits ab, wird in der wohl letzten großen Dystopie, der Warnung vor der Versklavung und Unterdrückung des Menschen in einer literarisch imaginierten Zukunft, in der Tradition von Brave New World und 1984, bestehen: dem Roman The Handmaid's Tale von 1985. Über die literarische Qualität dieser Vision soll hier nicht die Rede sein (der Verfasser hält sie für äußerst dürftig, überschätzt und schlicht irreal); es geht allein um die Wirkung, die der Text nach sich gezogen hat. Bekanntlich schildert der Roman den Schrecken der Vereinigten Staaten in naher Zukunft, in der fanatische, streng am Buchstaben der Heiligen Schrift ausgerichtete fundamentalistische Christen die Herrschaft übernommen haben und Frauen nur noch als völlig entrechtete Brutmaschinen für weitere Fanatikergenerationen ein Daseinsrecht eingeräumt wird. Man mag dem Grauensszenario, das der Roman vorführt, und dem schon vor 30 Jahren jegliche Plausibilität abging, noch das ästhetische Prinzip der maximalen Steigerung zugutehalten. Eine Tatsache bleibt es hingegen, daß Frau Atwood es seitdem nicht für nötig erachtet hat, statt der automatischen Unterstellung der maximalen Erniedrigung, die in dieser Optik wohl unabdingbar im Christentum angelegt scheint, einmal jene Tendenzen einer anderen Glaubensrichtung in den Fokus zu heben, die sich, ganz unhypothetisch und höchst konkret, seitdem unablässig unsere Nachrichten und unsere Albträume heimsuchen.

Herrn Bahners sei an dieser Stelle die Frage gestellt (falls er nicht gerade damit beschäftigt ist, sein nächstes Picknick von Ameisen ausrichten zu lassen): führt die jahrzehntelange Beschäftigung mit Entenhausener Fürfallenheiten zur Implosion von Jahrhunderten der Aufklärung, zurück vor Kant, Lessing, Voltaire - oder reicht ein Redaktionsposten bei der FAZ dafür aus?


***
Nachtrag 02:00:

Wohl erschrocken über den heftigen Gegenwind, den sein Tweet ausgelöst hat, hat sich Herr B. vor drei Stunden in Schadensbegrenzung geübt.

 Patrick Bahners‏ @PBahners  3 Std.Vor 3 Stunden
In anhängendem Tweet steht "müsse", nicht "könne". Lustigerweise wird das von den meisten Kommentatoren überlesen.
Patrick Bahners @PBahners

Die Einbildung, ein von Menschen gemachtes Gesetz müsse über den heiligen Büchern der Religionen stehen, ist der wahre Fanatismus. https://twitter.com/jageradeheraus/status/919611152153358336 …

https://twitter.com/PBahners/status/920401148409995265

Nun mag der Endunterfertigte nicht der Hellste und in den Fallstricken der Semantik Bewandertste sein - ihm erscheinen beide Versionen, ob nun aufs Können oder Müssen abhebend, gleichermaßen als sacificium intellectus, als zeitgeistlicher Ausdruck dessen, was Thomas Mann vor 90 Jahren als "Ranküne gegen das Großhirn" bezeichnet hat.



Ulrich Elkmann

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