11. März 2016

Faust, Mephisto, Beelzebub

Doch ach! Was hilft dem Menschengeist Verstand / Dem Herzen Güte, Willigkeit der Hand / Wenn's fieberhaft durchaus im Staate wütet / Und übel sich in übeln überbrütet? / Wer schaut hinab von diesem hohen Raum / Ins weite Reich, ihm scheint's ein schwerer Traum / Wo Mißgestalt in Mißgestalten schaltet / Das Ungesetz gesetzlich überwaltet  / Und eine Welt des Irrtums sich entfaltet. 

Der raubt sich Herden, der ein Weib / Kelch, Kreuz und Leuchter vom Altare / Berühmt sich dessen manche Jahre / Mit heiler Haut, mit unverletztem Leib. (...) 

So will sich alle Welt zerstückeln / Vernichtigen, was sich gebührt / Wie soll sich da der Sinn entwickeln / Der einzig uns zum Rechten führt? / Zuletzt ein wohlgesinnter Mann / Neigt sich dem Schmeichler, dem Bestecher  / Ein Richter, der nicht strafen kann, Gesellt sich endlich zum Verbrecher.
Goethe, Faust II
G
Der sehr geschätzte Kollege Llarian hat die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz zur Schicksalswahl - "und was für eine" - erklärt. 

Das ist jetzt nichts Außergewöhnliches, es ist eher schwierig, eine Wahl zu finden, die nicht zu einer solchen hochgejazzt wird. Ein alter Sponti-Spruch lautete: "Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten". Diese Auffassung gibt es nicht mehr (oder allenfalls noch bei den ganz harten Verschwörungstheoretikern von links und rechts, die überall eine Manipulation von Kapital, NWO oder wem auch immer vermuten). Der Glaube an die Allmacht der Politik kombiniert mit der Kurzatmigkeit der Medien macht jede Wahl zur Schicksalswahl - selbst eine nachgeholte Kommunalwahl in Telgte.

Ich will auch gar nicht bestreiten, dass diese Wahlen eine gewisse Signalwirkung Richtung Berlin haben. Aber was wird passieren? Ich sehe nicht, dass Llarians Hoffnung erfüllt wird, aus seinem hosenanzuggewordenen Alptraum endlich aufwachen zu können. 


In Baden-Württemberg wird ein beliebter Ministerpräsident und über Parteigrenzen hinweg bekennender Fan der Kanzlerin möglicherweise seine Partei zur stärksten Fraktion machen - ob er weiter regieren kann ist offen, weil ihm der Koalitionspartner wegbricht. Das ist natürlich in einem CDU-Stammland nicht schön, aber verschmerzbar - es ändert sich schließlich nichts. Außerdem ist der farblose Kandidat auch ein nicht zu unterschätzender Faktor. Die AfD wird wohl knapp zweistellig werden. 

In Rheinland-Pfalz ist die Situation ähnlich - eine beliebte Ministerpräsidentin ist in den Umfragen vorne, und ihre CDU-Gegenkandidatin - übrigens eine der wenigen, die auf vorsichtige Distanz zu Merkel gegangen ist - verliert nach ursprünglich guten Chancen an Boden. AfD ebenfalls um die 10 Prozent. 

Bleibt Sachsen-Anhalt - da wird die AfD stark werden, aber mit etwas Glück kann die CDU-SPD-Koalition weiterregieren. Außerdem ist das Osten, also nach Berliner Duktus bekanntes Dunkeldeutschland, da erwartet man sich nicht so viel.

Kombiniert bedeuten die drei Ergebnisse: Es wird trotzdem vorrangig nach Landespolitik gewählt, keine Berliner Regierungspartei wird mit einem Komplettverlust rausgehen - und selbst wenn: Die Schröder-SPD hat in den ersten Jahren ihrer Regierung auch reihenweise Landtagswahlen verloren. Und da alle anderen Parteien sich in der Flüchtlingsfrage im Grunde einig sind, kann man immer noch bis zu 90% Zustimmung aus dem Wahlergebnis ableiten. Wenn also die Umfragen nicht massiv den Erfolg der AfD unterschätzen (sowas kommt ja selbst bei den gewohnt prognosesicheren Amerikanern vor, siehe die demokratische Vorwahl in Michigan), wird Merkel die Wahlen aller Voraussicht nach überstehen.

Möglicherweise schadet ihr ja der Erdogan-Deal noch kurzfristig, und damit komme ich zum eigentlichen Thema. Denn wenn es schon um das Schicksal der Deutschen gehen soll, und mir die tagespolitischen Einlassungen eh schon auf den Wecker gehen, werfe ich doch stattdessen mal einen Blick in das Schicksalsbuch der Deutschen - den Faust. Außerdem passt es auch schön zu den Gedanken über Deutschland, die Llarian angestoßen hat. Vor diesem Hintergrund habe ich auch das Eingangszitat des Kaisers aus dem Faust II gewählt - eine urdeutsche Untergangsfantasie und die Sehnsucht nach dem gerechten Staat, der alles ins Lot bringt. 

Der Teufelspakt ist ein deutscher Nationalmythos - und seine Beliebtheit haben Tausende von Frauen in der frühen Neuzeit - fast ausschließlich im deutschsprachigen Raum - mit dem Leben bezahlt, weil sie der Teufelsbuhlschaft bezichtigt wurden. Es scheint also sowohl eine philosophische als auch eine erotische Faszination von der Idee auszugehen, mit Hilfe dunkler Mächte die Grenzen des Machbaren zu überwinden. Auch der Erdogan-Deal wurde - übrigens sowohl von links bis zur CSU als solcher bezeichnet. Nun weist dieses Abkommen durchaus ein paar Gemeinsamkeiten mit dem mit besonderem Saft besiegelten Abkommen zwischen dem Doktor und dem Leibhaftigen (übrigens auch der Spitzname des früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg) auf.

1. Grundsituation: Verzweiflung. Merkel kommt mit ihrem bisherigen heißen Bemühen um die große europäische Lösung nicht weiter - genau wie Faust mit seinen Studien - und das Thema wächst ihr über den Kopf.

2. Tempo: Eile. Faust kann es gar nicht schnell genug gehen, das Gretchen endlich in der Kiste zu haben. Merkels Zugzwang ist offensichtlich.

3. Verantwortungsabgabe: Genau wie Faust das Gretchen ihre Mutter mit einem von Mephisto gelieferten Trank umbringen lässt, während er selbst lieber Lyrik deklamiert,  versucht Merkel, Erdogan die Drecksarbeit zuzuschanzen- gegen einen hohen Preis. Vorsicht: Mephisto ist schlauer, schon bei der nächsten niederen Tätigkeit (Beseitigung des Bruders) muss der Doktor die Klinge selber führen.

4. Einschätzung des Vertragspartners: Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will, und stets das Gute schafft. Soll heißen - etwaige persönliche Verfehlungen müssen hingenommen werden.

5. Vertragstreue: Genau wie Faust immer größere Opfer bringen muss, um seinen Teil des Deals zu erhalten, hat Erdogan die Bedingungen ordentlich angezogen. Das Rücknahmeabkommen ist ja schon ein paar Jahre alt, aber Erdogan hat es bisher nicht wirklich umgesetzt. Auch enthielt das ursprüngliche Abkommen lediglich die Visafreiheit (die Aufregung darüber ist ein Popanz, das wäre ohnehin gekommen), aber keine Direktabnahme von Syrern durch die EU.

6. Ergebnis: Teufelspakte lohnen sich nicht - schlagen Sie bei Goethe nach. 

Letzteres gilt meiner Ansicht nach auch für ein Vorgehen, für das wir Deutschen auch eine analoge Redensart haben: Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Deshalb bin ich dagegen, die AfD zu wählen, in der Hoffnung, Merkel schnell loszuwerden (ich würde sie auch nicht aus Überzeugung wählen, aber das setze ich als bekannt voraus). 

Denn abgesehen davon, dass die Aussichten gering sind: ein Pakt mit dem Poltergeist AfD (auf den die meisten meiner sechs Kriterien auch ohne weiteres anwendbar sind) ist neben vielem anderen eine Stimme für einen Pakt mit einem deutlich mächtigeren Incubus im Kreml. Und den habe ich dem Seehofer schon übel genommen.


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Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Faust's pact with Mephisto, engraving by Julius Nisle after Goethe's “Faust” (ca. 1840). Gemeinfrei. Für Kommentare bitte hier klicken.