5. Februar 2015

Unterwerfung unter den Islam

Zufällig geschahen die Attentate auf „Charlie Hebdo“ und den koscheren Supermarkt am Tag, als Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ erschien. Er beschreibt das Frankreich in sieben Jahren: islamisiert durch Dschihadismus und Selbstunterwerfung. Wie das?

Die Religionen arrangierten sich, der Islam sei die kräftigste unter ihnen. Und die einfachste. „Es ist vielleicht zu kompliziert mit dem Katholizismus, im Islam gibt es den Schöpfer, und Schluss“, sagte der Schriftsteller im Interview. „Jedes Mal, wenn ich auf eine Beerdigung gehe, spüre ich, dass der Atheismus unserer Gesellschaften unerträglich geworden ist.“ („Der Tod ist nicht auszuhalten“, DIE ZEIT vom 22.01.2015)

Vom französischen bekennenden Juden Eric Zemmour (Bestseller „Der französische Selbstmord“) wird auf der gleich folgenden ZEIT-Seite noch Schärferes berichtet: Der Blick auf die Ausländerghettos zeige einen Kriegsgrund. „Man schneidet unsere christlichen Wurzeln ab und zwingt uns den allgemeinen Multikulturalismus auf.“ Was ist zu fürchten? „Wenn zwei Völker auf einem Territorium leben, dann herrscht normalerweise Krieg. Das habe ich schon vor den Attentaten gesagt.“

Zwei Feuer brennen und in Frankreich liegen sie nah zusammen: der Dschihadismus gegen die Dekadenz des Westens und der Bruderstreit mit den Juden.

Kann man aus der Geschichte etwas lernen?


Der Aufstieg Muhammads fiel in eine Zeit, in der die Perser, Römer und Barbaren Europas zerrüttet und schwach waren. Die unglaubliche Schnelligkeit der arabisch-islamischen Expansion wirft Fragen auf. Ägypten wurde in nur drei Jahren erobert, Jerusalem kapitulierte 638, es folgten 642 Syrien, der Iran, fast das gesamte das byzantinische und sassanidische Reich. Bereits 656 standen die islamischen Truppen im Westen in der Cyrenaica, im Norden im Kaukasus, im Osten am Hindukusch. 711 griffen die Araber nach Spanien über. Es müssen ihnen Gründe entgegen gekommen sein, die in der Zeitgeschichte liegen.

Spielten klimatische und wirtschaftliche Faktoren eine Rolle? Die schnelle Ausbreitung des Islam hat sich zu einer Zeit vollzogen, als in den islamisierten Gebieten eine durch Dürre verursachte Ernährungskrise herrschte. Ursache sind Schwankungen wegen der Eiszeiten, die das Ökosystem zwischen Baumsavanne und hocharider Wüste hin und her pendeln ließen. Fruchtbare Gebiete wurden in Wüsten verwandelt und umgekehrt. Aber warum wurden aus Plünderungszügen Länder-Eroberungen für einen Gottesstaat?

Als wichtiger Faktor wird diskutiert, dass hinter der Expansion eine gezielte Eroberungs- und Ansiedelungspolitik der herrschenden islamischen Eliten in Mekka und Medina stand, vor allem, um jene beduinischen Stämme unter Kontrolle zu halten, die nach dem Tod Muhammads von seiner Lehre abzufallen drohten und durch Aussicht auf reiche Beute auf Linie gehalten werden konnten.

Entscheidend für die Durchschlagskraft war wohl die Ideologie von einem Gottesstaat, die Rechtfertigung des Schwertes durch eine neue Religion, welche die ideologische Abstützung für eine effiziente Eroberungspolitik im Sinne eines göttlichen Auftrages lieferte, mit der Vorstellung, es sei eine absolute, im Koran enthaltene religiöse Pflicht, diese Religion auch räumlich auszubreiten. Die religiöse Kriegsmotivation war für die Gegner gefährlich: Im Kampf gegen Ungläubige lockte ein himmlischer Lohn zusätzlich zum irdischen - Plünderung und Beute (Hier zeigt sich übrigens der große Unterschied zu den Eroberungs-Sagen im jüdischen Buch Josua: 1. sind diese laut Ausweis der Archäologie bloß literarisch, Trost in Elendszeiten; 2. verbietet das Alte Testament durch den Gottesbann das Beutemachen und damit jede Soldatenlust). Die islamischen Truppen bestanden aus todesmutigen kampferprobten Freiwilligen. Auch ihre Taktik war überlegen. Sie beruhte auf schnellen Kamelen, mittels derer sie flexibel agierten und von den massiven, aber unbeweglicheren Gegnern, Söldnern und zum Kriegsdienst Gepressten, kaum besiegt werden konnten. Sie ermüdeten den Gegner einen Tag lang, dann am Abend schlugen sie wohlgeplant zu.

Schwächen der Christenheit

In Nordafrika war das Christentum wesentlich schneller als in den anderen Reichsteilen gewachsen. Im 3. Jahrhundert war es bereits in Karthago und anderen Städten des tunesischen Bereichs fest etabliert und hatte hier sogar schon eigene Märtyrer aufzuweisen, dazu bedeutende Kirchenlehrer wie Tertullian und Cyprian. Das afrikanische Christentum war heißer als sonst wo, es enthielt immer auch fanatische und gewalttätige Elemente.

Schon das Schisma der Donatisten und die Aversion gegenüber Rom hatten zu einer nationalistischen Abspaltung von der westlichen Kirche im 4. und 5. Jh. geführt. Es ging damals nach dem Ende der Verfolgungszeit im nordwestlichen Afrika um die Kritik an den zu milden römischen Bedingungen für eine Wiederaufnahme der wirklich oder zum Schein Abgefallenen. Augustinus, obgleich ebenfalls Nordafrikaner, verurteilte allerdings den kompromisslosen Rigorismus der Donatisten.

In Ägypten und Syrien war es parallel zu weiteren Spaltungen gekommen, veranlasst durch den Monophysitismus, der zugunsten der Betonung der Göttlichkeit Jesu dessen Menschsein unterdrückte.

Die syrischsprechenden nestorianischen, jakobitischern und maronitischen Christen, und weiter die armenischen, koptischen und abessinischen verwarfen in ihrer theologischen Enge und politischen Unklugheit die geistliche Oberhoheit der römischen Kirche und unterstellten sich lieber der muslimischen Herrschaft, weil sie so mit bravem Steuerzahlen ihr häretisches Eigenwesen einhandeln konnten. Die christologischen Streitigkeiten eigneten sich dafür, dass man in den Provinzen gegen die Zentralregierung opponieren konnte, da die Staatskirche mit dem Kaiser an der Spitze aktiv in die theologischen Streitfragen eingriff.

Schon im 6. Jh. war die Verselbständigung der Ostkirchen so gut wie abgeschlossen, geraume Zeit vor dem Einbruch der Araber also. Den heterodoxen Christen schien die muslimisch-arabische Herrschaft vorteilhafter, denn sie gab die Gelegenheit, sich als Sonderkirche der Einheit und Aufsicht des Papstes zu entziehen. Auch für die Juden hatte die Eroberung eine ähnliche psychologische Wirkung: mehr Religionsfreiheit. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass gerade die Christen die muslimische Expansion widerstandslos akzeptierten, im Unterschied zu den heidnischen Berbern.

Interessant ist, dass manchmal auch gar keine Massenübertritte zum Islam erwünscht wurden, weil dadurch der Besteuerungsgrund entfiel, die Araber jedoch auf das Geld angewiesen waren.


Wir müssen aber noch tiefer fragen: Hätte Mohammed Erfolg mit der dritten monotheistischen Religionsgründung gehabt, wenn die Christen und das Judentum der Schriftgelehrten gemeinsam auf der biblischen Wurzel geblieben wären? Warum nicht ein drittes Gottesvolk als das wahre, wenn es schon zwei miteinander streitende gab?

Mohammed missverstand das ihm begegnende Christentum und den komplizierten Glauben an ein ‚Wort Gottes im Fleisch‘ als Abfall zu einer heidnischen Religion. Vom klärenden Dogma von Chalzedon von 451 (Christus als „unvermischt, unverwandelt“ zugleich ganz göttliches und menschliches Gotteswort in Person) hat er nichts gehört und nichts vom seitherigen Geisteskampf, sich daher in Jesus zwei Willen und Energien vorstellen zu müssen. (Sie seien so verbunden, dass der menschliche Wille dem göttlichen folgsam ist, formulierte 680 dann ein Konzil.) Mohammed war 632 gestorben. Die späteren islamischen Theologen blieben beharrlich bei seinem Missverständnis, die Christen seien keine Monotheisten. Für sie ist ein Buch, der Koran, das gestaltgewordene Wort Gottes und Muhammad das Vermittlungsorgan, der größte aller Propheten.

Auch das spätere Schisma von 1054, der Streit der orthodoxen Christen mit den römischen hat einen politisch bedeutsamen Charakter. Der griechische Klerus bis hinauf zum Patriarchen von Konstantinopel neigte immer dazu, jeder weltlichen Obrigkeit untertan zu sein, auch wenn sie eine Tyrannis war. Die östliche Orthodoxie hatte kein Gefühl für die Freiheit der Kirche vom Staat. Die lateinische Kirche hatte eine kritischere Vorstellung, wie der Mensch Gottes Werkzeug in der Welt ist: nicht als Untertan, sondern als freier Partner. Sie betonte die Gewissensfreiheit des Menschen dem Kaiser gegenüber. Und sie dehnte die Frage sogar aus bis zum Streit mit Gott: Wirkt deine Gnade allmächtig, wie kann dabei meine Freiheit erhalten bleiben?

Nicht, dass das östliche Christentum die Hingabe als Unterwerfung wie der Islam denkt! Es will sie vielmehr ganz ursprünglich denken: Die wahre Natur der Freiheit sei der Gehorsam der Kreatur. – Aber der Mensch ist kein Heiliger und im wirklichen Leben sind auch die meisten Christen listige Sünder.


Wegen der schlechten Quellenlage ist es unmöglich, in Nordafrika die Periode zwischen 649 und der endgültigen arabischen Eroberung 698 zu beurteilen. Während in Ägypten die christlichen Gemeinschaften vor allem der Kopten unter der muslimischen Herrschaft überlebten, schwanden sie im westlichen Nordafrika. Die vorwiegend berberische Bevölkerung wollte sich nicht weiterhin einer fremden Oberhoheit unterwerfen. Der muslimische Einfall in Nordafrika hatte die Ausbreitung der Herrschaft und nicht die Bekehrung mit „Feuer und Schwert“ zum Ziel. Als Muslime galten sie als gleichberechtigt mit den Eroberern, als Christen waren sie hingegen zwar, wie auch die Juden, als Religion des Buches respektiert, jedoch mit minderen Rechten und mit einer Kopfsteuer belegt. Bei der Eroberung Spaniens ab 711 machten die Berber die größte Gruppe im Heer der Muslime aus. Auf eine Ausweitung der Herrschaft nach Süden in den Sudan wurde aus Respekt vor den Bogenschützen der christlichen Nubier verzichtet.

Machen wir einen Zeitsprung. Die Neuzeit verlief in Nordafrika ganz anders als die vergleichbare europäische Geschichtsepoche. Während deren Beginn dort durch Renaissance, Entdeckung Amerikas, Buchdruck, Reformation und Humanismus gekennzeichnet ist, später mit Empirismus, Rationalismus, Naturwissenschaften und dem Zeitalter der Aufklärung sowie der französischen, industriellen und russischen Revolution neue Zeiten anbrechen, findet sich in Nordafrika, aber auch den übrigen Teilen der islamischen Welt nichts dergleichen. Verlassen wir unser Beispiel Nordafrika.

Der Mythos vom toleranten Al-Andalus

Allerdings entstand im Europa der Romantik ein modernes Traumgebilde, der Mythos von einer goldenen Zeit des Zusammenlebens von Muslimen, Juden und Christen im islamischen Spanien. Es ist ein Wunschbild, das sich nur auf eine kurze Zeit stützen kann (vgl.: Eugen Sorg, Das Land, wo Blut und Honig floss, in: Die Weltwoche 35/2005).

800 Jahre lang stand Spanien unter islamischer Herrschaft. Die maurische Epoche gilt als das goldene Zeitalter der kulturellen Blüte und der religiösen Toleranz. Ein Traum, der 1492 mit dem Abschluss der inquisitorisch-katholischen Reconquista Granadas und der Vertreibung der Muslime und Juden aus Spanien wieder ausgelöscht worden ist.

Die Erfindung des muslimischen Spanien als Ort überlegenen Menschtums fand vor 250 Jahren in der Aufklärung statt. Die Figur des edlen Muslim von Pierre Bayle, Montesquieu, Voltaire und anderen wurde zum „Tugendmodell und Beschämungsinstrument“ (Siegfried Kohlhammer). In Herders pädagogisierender Menschheitsutopie schließlich erscheinen die Hispano-Araber als „Lehrer Europas“, die mit dem «orientalischen Genius», mit dem «hellen Licht» ihrer Kultur die abendländische „Dunkelheit“ beendet hätten.

Chateaubriand (Le dernier Abencérage, 1826) und Washington Irving (Tales of the Alhambra, 1832) lösten mit ihren Büchern einen „Granada- und Alhambra-Kult“ aus.

So ließ sich auch Rainer Maria Rilke brieflich aus Spanien vernehmen: „Übrigens müssen Sie wissen, ich bin seit Córdoba von einer beinah rabiaten Antichristlichkeit, ich lese den Koran, er nimmt mir, stellenweise, eine Stimme an, in der ich so mit aller Kraft drinnen bin, wie der Wind in der Orgel (…) wie ein Fluß durch ein Urgebirg, bricht er sich durch zu dem einen Gott, mit dem sich so großartig reden lässt jeden Morgen, ohne das Telephon ‚Christus‘, in das fortwährend hineingerufen wird: Holla, wer dort? - und niemand antwortet." (Brief vom 17. 12. 1912)

Die kurze Periode einmaliger und relativer interreligiöser Duldsamkeit erlebte al-Andalus in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts unter Abdurrahman III. (912–961), dem Kalifen von Córdoba, und seinem bibliophilen Nachfolger al-Hakam II. (961–976). Der wirtschaftliche Aufschwung, nicht zuletzt bewirkt durch die Friedfertigkeit der christlichen Fürstentümer, welche die Heereskosten senkte, ermöglichte eine beispiellos verschwenderische Hofführung und lockte große europäische Gesandtschaften und die Spitzen der internationalen Intelligenz und Kunst nach Córdoba.

Prekär wurde der Status der Gelehrten durch instabile politische Verhältnisse. Die Epoche von al-Andalus war geprägt von Aufständen, Semi-Anarchie, Bürgerkrieg, Vagantentum, Thronkämpfen, Eroberungen und Rückeroberungen. Zeiten der Ruhe waren selten. Der schützende Mäzen konnte plötzlich weg sein, ermordet vom Bruder, verjagt vom Konkurrenten eines anderen Stammes. Die Biografien vieler maurischer Gelehrter erzählen von Flucht, Neuanfang, Verbannung, von Verstellung und List.

Averroës (1126–1198), dem die neuzeitliche europäische Philosophie viel verdankt, wurde Leibarzt des Sultans Jusuf I. und kommentierte in dessen Auftrag die Werke des Aristoteles. Als der Sultan starb, erließ sein Nachfolger Sultan Jakub „al-Mansur“ 1195 ein Dekret, in dem die Philosophie und die „griechischen“ Wissenschaften verurteilt wurden. Die Bücher Averroës’ wurden ins Feuer geworfen, der Philosoph vor der Moschee von Córdoba an den Pranger gestellt und anschließend für drei Jahre verbannt. Kurz nach seiner Freilassung starb er.

Der berühmteste Jude des maurischen Spanien, der große Philosoph und Arzt Maimonides, verfasste sein Werk in Kairo im Exil. Als er 1149 als Vierzehnjähriger mit seiner Familie vor den Judenverfolgungen aus Córdoba floh, existierten bereits kaum mehr christliche oder jüdische Gemeinden in al-Andalus. Später schrieb er in einem oft zitierten Brief an die Juden des Jemen, die von den dortigen Pogromen berichtet hatten: „Bedenkt, meine Glaubensgenossen, dass Gott uns unserer großen Sündenlast wegen mitten unter dieses Volk, die Araber, geschleudert hat. Nie hat uns ein Volk so beschwert, erniedrigt, gedemütigt und gehasst wie sie, wir wurden von ihnen in unerträglicher Weise entehrt.“

Rilke wird heute von islamischer Seite mit seiner Ergebenheit, der „Sehnsucht nach dem islamischen Gebet“ zum Vorbild stilisiert: „In einem Zeitalter, das Nietzsche hellsichtig als das Ende der geschichtlichen Rolle des Christentums, sowie damit einhergehend als Heraufkunft des europäischen Nihilismus erkannte, war es Rilke aufgegeben, die Entwurzelung der Menschen aus Glauben, Volk und Heimat in ihrer ganzen Schwere zu durchleben. (…) Damit bahnt er den heutigen Europäern den Weg zur Botschaft des Islam.“ Dieser Text von Ekrem Yolcu geht zurück auf einen Vortrag von Ahmad Gross, des konvertierten Schwarzwälders und Leiters von Muslimen in Potsdam, über den deutschen Dichter und sein Verhältnis zum Islam; ähnlich vereinnahmt er Ernst Jünger und Friedrich Nietzsche.

Die Zeitdeuter Houellebecq und Zemmour scheinen nicht ganz daneben zu liegen, auch wenn, was Deutschland betrifft - ausgenommen einige Problemviertel in Großstädten – statistische Entwarnung gegeben wird: Gegenwärtig nur vier Millionen Muslime, also nur 5 Prozent, und bei einer türkischen Geburtsrate von 1,8 im Jahr 2030 auch nicht über 7,1 Prozent.

Aber solche tüchtigen Konvertiten haben die Statistiker nicht eingerechnet. Ahmad Gross hat nämlich eine Lösung für das geburtsarme Deutschland: die islamische Mehrehe.

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Ludwig Weimer


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