3. Juli 2012

Aktuelles zum Krieg der Dschihadisten (12): Wenn Rebellen sich zurückziehen. Strategie und Taktik in asymmetrischen Kriegen

In den letzten Wochen wurden in etlichen Ländern islamistische Aufständische gezwungen, sich aus Städten zurückzuziehen, die sie erobert hatten. Das sind Niederlagen für die Dschihadisten; aber bei weitem nicht so schlimme, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Bei Stratfor hat jetzt Scott Stewart dazu eine Analyse geschrieben; auf sie stütze ich mich im folgenden zum Teil.

In Somalia waren die Shabaab-Rebellen schon im vergangenen Oktober durch kenyanische Truppen aus Mogadischu vertrieben worden; jetzt, vor vier Wochen, auch aus der Stadt Afmadow. In Syrien mußten Aufständische der Freien Syrischen Armee und anderer Gruppen die Stadt Idlib und den Distrikt Baba Amr in der Provinz Homs räumen. Im Jemen wurde die Kaida der Arabischen Halbinsel in den letzten Wochen zum Teil wieder aus den "Emiraten" vertrieben, in denen sie die Herrschaft übernommen hatte (siehe Die Kaida ist besiegt? Keineswegs. Im Jemen kontrolliert sie bereits "Emirate"; ZR vom 5. 6. 2012).

Aber derartige Erfolge sind trügerisch, was die langfristigen Aussichten der Rebellen angeht. Das liegt am Wesen eines asymmetrischen Kriegs. Er ist grundlegend anders beschaffen als der Krieg zwischen Staaten, so wie ihn beispielsweise Clausewitz analysiert hat. Dessen Ziel ist es, den Gegner so schnell wie möglich zu besiegen und ihm den eigenen Willen aufzuzwingen. Das Ziel der Aufständischen in einem asymmetrischen Krieg ist es hingegen, die Kampfhandlungen sich möglichst lang hinziehen zu lassen.

Der asymmetrische Krieg ist, aus der Sicht der Aufständischen, ein Abnutzungskrieg. Sie wissen, daß der Gegner nur begrenzt durchhalten kann; bei demokratischen Staaten schon wegen dessen öffentlicher Meinung. Je länger sich ein asymmetrischer Krieg hinzieht, umso mehr wachsen die Chancen der Aufständischen.

Sie wissen, daß sie dem Gegner in offener Feldschlacht nicht gewachsen sind. Sie meiden diese also und geben, falls die Lage das erfordert, auch eroberte Gebiete wieder auf. Westliche Beobachter halten sie dann oft für "besiegt"; obwohl sie nur eine neue Phase des Kampfs eröffnet haben.



Ein instruktives Beispiel ist das Verhalten der Taliban in Afghanistan nach der Invasion 2001. Die Welt war damals verblüfft, wie schnell die USA und die Nordallianz vorrückten und bald, so schien es, ganz Afghanistan unter ihrer Kontrolle hatten. Die Taliban hatten aber nur ihre Strategie geändert. Sie gingen wieder in den Untergrund, bauten in Pakistan eine neue Infrastruktur auf und begannen dann allmählich wieder den Abnutzungskrieg.

Als man in Deutschland noch der naiven Auffassung war, die Bundeswehr sei in Afghanistan, um Brunnen zu graben und beim Aufbau des Schulwesens zu helfen, hatten die Taliban schon längst wieder den Kampf aufgenommen.

Sie kontrollieren bisher keine größere Stadt. Aber wozu auch? Entscheidend ist, daß sie durch ihren zähen Kampf die öffentliche Meinung in den USA und in Europa so beeinflußt haben, daß die Nato demnächst abziehen wird. Dann sind sie - so ihr Kalkül - auf der Siegerstraße.

Städte zu kontrollieren erfordert große Ressourcen. Der Zermürbung des Gegners dient es aber in der Regel kaum. Für diese ist es am wirksamsten, immer wieder durch einzelne Aktionen zu zeigen, daß man weiter militärisch handlungsfähig ist.

Ein entscheidendes Moment in dieser Strategie ist die psychologische Kriegsführung. Ein großer Teil der Bevölkerung in einem Land, in dem ein asymmetrischer Krieg geführt wird, steht in der Regel innerlich weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Das vorrangige Motiv ist es, sich durch den Krieg zu retten und einigermaßen heil herauszukommen. Das führt zu einem opportunistischen Verhalten: Man neigt denen zu, die man als die schließlichen Sieger erwartet.

Das war das Erfolgsgeheimnis des Surge im Irak 2007/2008: Als Präsident Bush die Charakterstärke zeigte, in einer scheinbar aussichtslosen Situation (und unter heftigster Kritik durch die heimische Opposition, in vorderster Reihe der Senator Obama) nicht abzuziehen, sondern im Gegenteil die Truppen aufzustocken, da wurde das von den Sunniten des Irak als Beweis dafür angesehen, daß die Amerikaner zum Sieg entschlossen waren und sie sie folglich auf Dauer vor den Schiiten schützen würden; und sie wechselten in Scharen die Seite.

Sie hatten nur nicht daran gedacht, daß auf Bush ein Präsident Obama würde folgen können, der sie alsbald im Stich ließ (siehe Wie der Irak verloren wurde. Ein annus horribilis für den Westen; ZR vom 4. 11. 2011).

In Afghanistan hat Obama den Erfolg des Surge zu wiederholen versucht; zugleich mit dessen Ankündigung im Dezember 2009 aber auch einen Zeitplan für den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan angekündigt. Damit war dieser Surge nach Art des Präsidenten Obama bereits gescheitert, bevor er überhaupt begonnen hatte. In ZR konnten Sie diese pessimistische Erwartung damals lesen (Obama zu Afghanistan; ZR vom 2. 12. 2009).



Unterstützung durch die Bevölkerung - ob aus Sympathie, ob aus Furcht; oft wohl aus einer Mischung aus beidem - ist der eine Grundpfeiler für den Erfolg von Aufständischen in einem asymmetrischen Krieg. Ein zweiter ist die Möglichkeit, über die Grenze in einen Staat auszuweichen, in dem man relativ sicher ist, und/oder von dort Waffen und sonstige Unterstützung zu erhalten. Diese Funktion hatten für die Viet Cong die angrenzenden Länder Laos und Kambodscha, für die Taliban Pakistan, für die Aufständischen im Irak Syrien; heute spielen diese Rolle für die Aufständischen in Syrien die Türkei und der Libanon, für die Dschihadisten in Nordmali Algerien.

Will man einen Aufstand besiegen, dann muß man versuchen, den Rebellen diese beiden Vorteile zu nehmen: Sie auf ein enges Terrain drängen, die jeweiligen Grenzregionen kontrollieren und vor allem - siehe den Surge im Irak - die Bevölkerung überzeugen, daß die Rebellen nicht gewinnen werden. Erfolgreich war das beispielsweise gegen den Aufstand in Malaya von 1948 bis 1960 und gegen die Tamil Tigers in Sri Lanka.­
Zettel



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