12. Juli 2012

Zettels Meckerecke: Latrinenhumor bei "Titanic". Was tun gegen journalistische Schmutzfinken? Nebst einer Erinnerung an die Mohammed-Karikaturen

Nicht jedem, der sich für einen Satiriker hält, ist die Gabe des Witzes gegeben, oder gar die Gabe des Humors.

Ich habe beispielsweise selten einen humorloseren, verkrampft-ängstlicheren Journalisten erlebt als den früheren Chefredakteur von "Titanic" Martin Sonneborn, als er in der WDR-Sendung "Zimmer frei!" auftrat. Da gab es nichts zu lachen; es sei denn, man fand es lustig, daß jemand sich beständig danebenbenahm.

Sich nicht an Spielregeln zu halten, vor allem nicht an die Regeln des Anstands, ist keine Satire, sondern Flegel­haftigkeit. Es gibt freilich eine Art des Humors, der von seiner Unanständigkeit lebt; im Deutschen heißt das Latrinenhumor.

Natürlich kann man jemanden, wie es im Jargon solcher Leute wohl heißt, "verarschen", indem man sich unverschämt aufführt. Wer bei einem Festessen ein schmutziges Sacktuch hervorzieht und sich damit dröhnend schneuzt, der mag sich für einen Satiriker halten. Ein paar sich auf die Schenkel klopfende Bewunderer wird diese Art von Satire allemal finden. Leute vom Schlag derer, die im Theater lachen, wenn jemand aus dem Publikum "So ein Mist!" ruft.



Jetzt also hat "Titanic" diese Sorte von Satire produziert, indem man auf dem Titel des aktuellen Hefts den Papst mit einem Urinfleck auf der Soutane zeigt; auf der Rückseite des Hefts sieht man den Papst von hinten mit einem braunen Fleck in Höhe des Gesäßes. Wenn Sie sich das denn ansehen wollen, hier ist es.

Latrinenhumor also im Wortsinn. Die Einzelheiten können Sie beispielsweise bei "Zeit-Online" lesen, wo der betreffende Artikel derzeit mit 268 Kommentaren der meistkommentierte ist.

Wie soll sich das Opfer von Journalisten dieses Schlags verhalten, die man Schmutzfinken wird nennen dürfen? Die Unverschämtheit einfach ignorieren? Oder gibt es irgendwann den Punkt, wo man es so machen sollte wie jetzt der Papst, der wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte eine Einstweilige Verfügung auf Unterlassung erwirkte?

Vorerst ist damit der weitere Verkauf des Hefts mit diesem Titelbild verboten; was allerdings nicht die bereits an den Handel ausgelieferten Exemplare betrifft.

Für "Titanic" ist dies das Beste, was dem Blatt passieren konnte. Eine Publicity, die man in Form bezahlter Werbung nicht hätte finanzieren können. Gelegenheit obendrein zu neuer "Satire" in Form von Dummdreistigkeit ("Titanic-Chefredakteur Leo Fischer sagte, Benedikt müsse das Titelbild missverstanden haben. Es zeige einen Papst, der nach der Aufklärung der Affäre feiere und im Überschwang ein Glas Limonade über seine Soutane verschüttet habe"; man kann es hier lesen).

So ist es nun einmal in einer freien Gesellschaft, und dergleichen ist der Preis für unsere Freiheit: Wer so arbeitet wie "Titanic", der ist in einer Win-Win-Situation. Schweigt das Opfer, dann hatte man seinen Spaß und findet den Beifall von Adressaten, deren Niveau das ist. Wehrt sich das Opfer - umso besser; dann hat man die kostenlose Werbung.



Es gibt allerdings eine Methode, sich erfolgreich zu wehren: Jene Sensibilität für das religiöse Empfinden gläubiger Menschen, die in Deutschland in Bezug auf das Christentum nachgerade inexistent ist, zeigt sich aufs Schönste, wenn dieses religiöse Empfinden das von Moslems ist und durch massive Drohungen ergänzt wird.

Dann überlegt sich ein öffentlich-rechtlicher Sender, ob man denn jemanden in eine Talkshow einladen darf, dem eine solche Verletzung religiöser Gefühle vorgeworfen wird (Der "Mohammed-Karikaturist" Kurt Westergaard darf nicht im ZDF auftreten; ZR vom 3. 5. 2010). Er durfte es nach langem Hin und Her dann übrigens doch noch.

Dann überlegt sich ein Verlag, ob er denn einen Roman publizieren soll, der möglicherweise bei Moslems Anstoß erregen könnte (Wie ein Verlag sich dem Islamismus in vorauseilendem Gehorsam unterwirft; ZR vom 5. 10. 2009).

Dann gibt es eine heftige Diskussion darüber, ob es angeht, durch eine Inszenierung der Mozart-Oper "Idomeneo" Moslems zu empören, weil darin in einer kurzen Szene die abgeschlagenen Häupter von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohammed zu sehen sind (siehe Ein Mann tritt für die Freiheit ein; ZR vom 27. 9. 2006).

Und da brachte es der "Spiegel" vor elf Jahren fertig, eine Titelgeschichte über den Propheten Mohammed zu publizieren, ohne daß ein Porträt des Titelhelden auf dem Cover zu sehen war - aus "Rücksicht" auf die "religiösen Empfindungen" von Moslems; so sagt es die Redaktion. Nicht wahr, für manchen Christen wäre es eine Freude, wenn der "Spiegel" seinen religiösen Empfindungen nur einen Bruchteil von soviel Rücksicht gewährte.

Offenbar ist es von Vorteil, nicht nur empfindliche religiöse Gefühle zu besitzen, sondern dieser Empfindsamkeit eine gewisse Handgreiflichkeit beizugesellen. Das ist dem Papst nun allerdings verwehrt.



Noch eine Bemerkung zu "Titanic".

Die Zeitschrift wurde vor mehr als dreißig Jahren von Leuten gegründet, die etwas von Satire und Humor verstanden; viele von ihnen aus der alten "Pardon"-Mannschaft, darunter so ausgezeichnete Cartoon-Zeichner wie F.K. Waechter, Hans Traxler und Chlodwig Poth und vor allem der geniale Robert Gernhardt (siehe meinen Nachruf Robert Gernhardt ist tot; ZR vom 30. 6. 2006).

Mit dieser einstigen "Titanic" hat das heutige Blatt des Latrinenhumors nur noch den Titel gemeinsam; so, wie ein verlotterter Sohn immer noch den Namen seines bedeutenden Vaters trägt.­




Nachtrag: Siehe auch den Kommentar von Stefanolix, in dem Sie eine eingehendere Kritik an "Titanic" finden. Und eine treffliche Anmerkung zu dieser Meckerecke: "Alte Wörter können starke Wörter sein".
Zettel



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