8. Juli 2012

Pierre Moscovici, Frankreichs Superminister für Wirtschaft und Finanzen. Die Karriere eines Linken. Eine Elitekarriere

Photo: Bresson Thomas

Der Herr, der da am 14. Juni dieses Jahres in der Art der Kommunisten die linke Faust hebt, wenn auch mit verhaltenem Gesichtsausdruck, ist einer der mächtigsten Männer Europas. Es ist Pierre Moscovici, 55, seit dem 21. Juni Frankreichs Ministre de l'Économie et des Finances, Superminister für Wirtschaft und Finanzen (zwischen dem 16. Mai und dem 21. Juni hatte er auch noch die Zuständigkeit für Außenhandel gehabt, die er dann aber an Nicole Bricq abgab).

Wer ist dieser Mann, der Gegenspieler Wolfgang Schäubles, mit dem er sich nach Informationen des "Spiegel" nach dem Rotationsprinzip die Nachfolge Jean-Claude Junckers als Chef der Euro-Gruppe teilen wird? Erst solle es Schäuble machen, anschließend Pierre Moscovici; so glaubt es der "Spiegel" zu wissen.

Moscovici hat eine Karriere hinter sich, wie sie viele linke französische Spitzenpolitiker geprägt hat (siehe Filz à la française. Des Präsidenten Hollande promotion Voltaire; ZR vom 30. 6. 2012; sowie Gedanken zu Frankreich (3): Die staatsfrommen Revolutionäre; ZR vom 25. 10. 2006).

Er ist Sohn einer kommunistischen Familie. Sein Vater floh 1947 aus Rumänien, wo er in der Kommunistischen Partei tätig gewesen war; seine Mutter war eine Sympathisantin der französischen Kommunisten.

Moscovicis Ausbildung folgte dem klassischen Muster der französischen Elite:

Am Anfang stand ein doppeltes Studium der Philosophie und der Ökonomie, jeweils abgeschlossen mit dem DEA (einem akademischen Grad, an dessen Stelle heute der Master getreten ist). Es folgte ein weiteres Studium; an der renommierten Pariser Hochschule für Politikwissenschaft SciencePo.

Als Krönung dieses Werdegangs schaffte Moscovici schließlich 1982 die Aufnahme in die Grande École
ENA, die Kaderschmiede Frankreichs für die Spitzen von Verwaltung, Politik und Diplomatie. 1984 verließ er sie als Angehöriger der promotion Louise Michel; vier Jahre nach François Hollande (promotion Voltaire) und 19 Jahre nach Lionel Jospin (promotion Stendhal).

Während dieses ganzen Ausbildungsgangs war Moscovici Mitglied der Ligue communiste révolutionnaire; einer linksextremen Partei trotzkistischer Prägung. Im gleichen Jahr, in dem er sein Studium abschloß, wechselte er mit 27 Jahren zur Sozialistischen Partei, in der er schnell aufstieg.

Die staatliche Eliteuniversität für Spitzenbeamte und ein derartiger linker politischer Hintergrund - wie paßt das zusammen? Es paßt bestens zusammen, innerhalb der französischen Tradition der staatsfrommen Revolutionäre.

Im Präsidentschaftswahlkampf 1995 veranstalteten die 87 Studenten der promotion Schoelcher der ENA eine informelle Abstimmung unter sich.

Damals trat Lionel Jospin für die Sozialisten an, Jacques Chirac für die gaullistische UMP, Edouard Balladur als Kandidat der liberalen UDF und Philippe de Villiers für das konservative MPF. Außerdem gab es drei Kandidaten verschiedener kommunistischer Strömungen, den Rechtsextremen Le Pen und die Grüne Dominique Voynet.

Die linken Kandidaten kamen bei den Studenten der ENA auf 61 Stimmen (70,1 Prozent; davon 46 Stimmen für Jospin, 11 für einen der Kommunisten, 4 für die Grüne). Die 29,9 Prozent für einen liberalen oder konservativen Kandidaten teilten sich auf in 17 Stimmen für Chirac, 6 für Balladur und 3 für de Villiers.



Schon 1988, mit 31 Jahren, war Moscovici Sonderassistent (chargé de mission) des damaligen Bildungsministers Jospin; auch dieser ein ehemaliger (und bis 1987 noch praktizierender) Trotzkist, und auch er Absolvent der ENA.

Moscovici verfolgte dann parallel drei Karrieren: Als Abgeordneter (sowohl in der Nationalversammlung als auch im Europaparlament), in der Sozialistischen Partei und in Regierung und Diplomatie.

In der Partei brachte er es 1992 zum Schatzmeister und 1995 zum zum Nationalen Sekretär für Studien und Entwicklung (vergleichbar dem Vorsitzenden der Planungs- oder Programmkommission einer deutschen Partei).

Auf Regierungsebene machte ihn Jospin, damals in Kohabitation Premierminister unter Chirac, 1997 zum Staatsminister für Europafragen. In diesem Amt erwarb er Kenntnisse, die er dann als Diplomat nutzen konnte; bei der Verhandlung erst des Vertrags von Nizza und 2001 in der Delegation, die für Frankreich den (später gescheiterten) europäischen Verfassungsvertrag aushandelte.

In der Partei war Moscovici immer bestrebt, als Getreuer eines der Führer in Erscheinung zu treten. Das war zunächst Lionel Jospin gewesen. Dann wurde es Dominique Strauss-Kahn, der einst an der ENA Moscovicis Lehrer gewesen war. Schließlich wechstelte Moscovici zu François Hollande, zu dessen engstem Kreis er inzwischen gehört. Den diesjährigen Wahlkampf organisierte Moscovici für Hollande, und nach dem Sieg wurde er dafür mit dem Superministerium belohnt.

Er ist also derjenige, der für Frankreichs Politik in der jetzigen Euro-Krise verantwortlich ist. Seine Ernennung kam, wie damals Christian Schubert in der FAZ schrieb, überraschend; er habe sich "bisher nicht als Finanzspezialist hervorgetan".

Wohl aber als Europaspezialist. Daß Präsident Hollande ihn zum Wirtschafts- und Finanzminister gemacht hat, zeigt, welche zentrale Rolle er Europa bei seinem Versuch zugedacht hat, Frankreich wirtschafts- und finanzpolitisch nach links zu rücken (siehe "Wird Deutschland jetzt eingekreist?"; ZR vom 7. 7. 2012).­
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelbild: Pierre Moscovici auf einer Wahlkampfveranstaltung im Département Territoire de Belfort am 14. 6. 2012. Vom Autor Bresson Thomas unter Creative Commons Attribution 3.0 Unported-Lizenz freigegeben.