10. Juli 2012

Marginalie: Bankenunion - sind die Professoren sich wirkich uneinig? Nicht in ihrer Analyse. Nur im Grad ihrer Skepsis

In der FAZ können Sie jetzt die aktuellen Stellungnahmen im Wortlaut lesen, die auf den Aufruf der Ökonomen vom vergangenen Donnerstag folgten. Als ich am selben Tag über diesen Aufruf schrieb, waren es 160. Inzwischen ist die Zahl der Unterzeichner auf über 200 angewachsen.

Seit gestern gibt es dazu einen Kommentar des Bonner Ökonomen Martin Hellwig und 14 weiterer Unterzeichner sowie eine Erwiderung von Hans-Werner Sinn und Walter Krämer, den Initiatoren des ursprünglichen Aufrufs.

Wenn man diese beiden Texte vergleichend liest, dann fällt auf, daß sie in der Analyse weitgehend übereinstimmen.

Hellwig und Mitautoren schreiben:
Ein wesentlicher Teil des Problems ist die enge Verknüpfung zwischen der Verschuldung des Finanzsektors und des Staates auf nationaler Ebene. Staatshaushalte müssen für die Refinanzierung ihrer systemrelevanten Banken einstehen. Umgekehrt halten die Geschäftsbanken in großem Umfang Schuld­ver­schreibungen ihrer eigenen Staaten. Dadurch wird jede Bankenkrise zu einer Staatsschuldenkrise und umgekehrt – das Misstrauen schaukelt sich gegenseitig immer weiter hoch. (...) Nur wenn es gelingt, die Refinanzierung der Banken von der Solvenz nationaler Staaten abzukoppeln, kann sich die Kreditversorgung in den Krisenländern stabilisieren.
Sinn und Krämer nehmen eine ähnliche Analyse vor:
Eine gemeinsame Bankenregulierung ist schon deshalb erforderlich, weil die nationale Bankenregulierung unter dem Druck des Systemwettbewerbs zu erodieren tendiert. Jede nationale Regulierungsbehörde hat ja einen Anreiz, die eigenen Banken etwas lascher zu regulieren als es andere Behörden tun, um das Bankengeschäft im Lande zu halten.
Auch was die Haftung für Bankschulden angeht, herrscht Übereinstimmung. Hellwig und Mitautoren:
Es darf dabei keinesfalls um eine Vergemeinschaftung der Haftung für Bankschulden gehen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die europäische Bankenaufsicht wirksame Durchgriffsrechte auf insolvente Banken in den Krisenländern bekommt. (...) Das bedeutet auch: Gläubiger maroder Banken müssen für ihre riskanten Einsätze haften, sodass die Abwicklung von Banken weitestgehend ohne Steuermittel auskommen kann.
Sinn und Krämer:
Die Politik sollte ein geordnetes europäisches Verfahren zur Rekapitalisierung der Banken durch ihre Gläubiger entwickeln, denn nur bei den Gläubigern lässt sich das dafür nötige Vermögen finden, und schließlich waren sie es, die das Risiko des Bankkonkurses mit ihren Anlageentscheidungen eingegangen sind.
Ja, wo liegen denn dann eigentlich die Differenzen? Nicht in der Analyse, nicht bei dem, was für notwendig erachtet wird. Sondern im Grad der Skepsis, ob eine Bankenunion funktioniert, ohne daß schließlich doch die Staatshaushalte für Bankschulden eintreten müssen; anstelle der Gläubiger.

Hellwig und Mitautoren:
Um die Stabilität einer Bankenunion finanziell abzusichern bedarf es eines gemeinsamen Restrukturierungsfonds, der mit verbindlichen Auflagen eingreifen kann. Der ESM kann diese Rolle übernehmen. Auch eine verstärkte europäische Einlagensicherung kann auf Dauer zur Stabilität des Systems beitragen.
Dazu der skeptische Kommentar von Sinn und Krämer:
Wir sehen nicht, wie man den Missbrauch des Restrukturierungsfonds und der Einlagensicherung für die Vergemeinschaftung der Abschreibungsverluste verhindern könnte, wenn diese Instrumente erst einmal eingerichtet sind und dann auch rückwirkend für Verluste angewandt werden, die vor der gemeinsamen Regulierung entstanden sind. Angesichts des Umstandes, dass allein schon die Einlagen der Banken der Krisenländer, die Teil der Schulden der Banken sind, bei 3,6 Billionen Euro liegen, halten wir es für viel zu riskant, das Thema überhaupt nur anzurühren.
In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, daß die Fachleute sich zutiefst uneins sind. Das ist falsch.

Sie sind sich einig in der Diagnose. Sie sind sich im Grunde auch einig darin, wie eine Therapie aussehen müßte. Gerade hier gibt es in einer Wissenschaft ausnahmsweise einmal keine unterschiedlichen Lehrmeinungen.

Nur glauben Sinn und Krämer nicht an die Wirksamkeit einer Therapie, deren Nebenwirkungen weit drastischer sein könnten als das Gute, das man sich von ihr erhofft. Hellwig und seine Mitautoren weichen allein in diesem Punkt ab; sie sind optimistischer.

Die Einigkeit der Fachleute in den entscheidenden Punkten ist beeindruckend. Eine wirklich abweichende wissenschaftliche Meinung vertritt nur eine dritte Stellungnahme, deren Autoren es allerdings längst nicht auf die geballte wissenschaftliche Reputation der beiden anderen Autorengruppe bringen.



Sieht man sich die Geschichte und Vorgeschichte der Einführung des Euro an, dann hat man allen Grund zu der Skepsis, die Sinn und Krämer äußern. Bei jedem Schritt wurde ökonomisch und finanzpolitisch Vernünftiges beschlossen; aber die Politik - ihren eigenen Zwängen und Einflußfaktoren ausgeliefert - handelte nicht danach.

Thilo Sarrazin hat das in seinem Buch eindrucksvoll und in allen Details dokumentiert (siehe "So kam Deutschland zum Euro"; ZR vom 23. 5. 2012). Er zeichnet die Geschichte vernünftiger Beschlüsse und ihrer mangelhaften, einer sie oft nachgerade torpedierenden Umsetzung nach.

Kürzlich hat der "Spiegel" (Heft 19/2012 vom 7. 5. 2012) Dokumente aus der Regierungszeit Helmut Kohls veröffentlicht und kommentiert, aus denen hervorgeht, wie schon bei der Einführung des Euro aufgrund politische Erwägungen das ausgehebelt wurde, was - finanzpolitisch und ökonomisch vernünftig - vereinbart worden war. Zum Optimismus gehört da schon Mut.
Zettel



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