20. Juli 2012

Zettels Meckerecke: "Zu teuer, zu langsam, zu unsicher". Eine gespenstische Debatte bei Maybrit Illner

An der Oberfläche war es eine muntere Diskussion, die da gestern bei Maybrit Illner unter dem Titel "Zu teuer, zu langsam, zu unsicher - Geht der Ökowende schon die Energie aus?" stattfand. Es wurde kontrovers diskutiert; es gab sogar mit Wolfram Weimer einen Kritiker der "Energiewende" unter den Gästen.

Und dennoch war es eine gespenstische Debatte.

Man stritt über die Probleme dieser "Wende"; darüber, ob man sie nicht vielleicht ein wenig verlangsamen sollte. Aber niemand, auch nicht Weimer, sprach die zentralen Fragen an: Warum eigentlich soll Deutschland aus der Atomkraft "aussteigen"? Wie kommt es, daß Deutschland weltweit die einzige Industrienation mit einer gut ausgebauten Atomindustrie ist, die das tut? Was macht denn diese deutsche Besonderheit aus? Was rechtfertigt sie?

Man hat sich nicht an diese Fragen herangetraut. Gut, vielleicht gehörten sie nicht eigentlich zum Thema. Das hätte dann etwa lauten müssen: "Zu teuer, zu undurchdacht, zu irrational - Was ist los mit uns Deutschen?"

Vielleicht wird es ja in einiger Zeit einmal Sendungen geben, die sich mit diesem Thema befassen; dann, wenn das ganze Ausmaß des Desasters deutlich wird, in das wir Deutschen uns in unserer kollektiven Besoffenheit hineinbegeben haben.

Man wird das dann in einem breiteren Kontext diskutieren müssen: Dem der deutschen Mentalität, der deutschen Geschichte.



Mich hat, seit ich mich für Politik interessiere, kein Ereignis in Deutschland so sehr getroffen wie dieser "Ausstieg".

Ich hatte gehofft, wir Deutschen hätten nach der Katastrophe der Nazizeit endlich diesen fürchterlichen, diesen fatalen Zug unseres Nationalcharakters abgelegt: Diese Mischung aus Naivität, Gutwilligkeit, mangelnder Vernunft und einem nachgerade pathologischen Sendungsbewußtsein, gepaart mit eisernem Durchsetzungswillen; das, was unsere Nachbarn immer wieder an Deutschland verzweifeln läßt. Der Kaiser Wilhelm II hat das personifiziert.

Ich dachte, wir hätten das überwunden. Ein National­charakter ist ja nicht in Stein gemeißelt. Man kann lernen. Ich hatte mich geirrt.

In der Diskussion bei Illner wurde eine Umfrage zitiert, nach der mehr als 80 Prozent der Deutschen diesen "Ausstieg" gewollt hatten.

Die gestrige Runde diskutierte so, wie ich es erlebt habe, wenn ich vor 1989 einmal in Berlin Gelegenheit hatte, politische Sendungen im "Deutschen Fernsehfunk" der DDR zu sehen: Im Grundsatz waren sich alle einig. Diskutiert wurde über Nuancen. Das Äußerste an Dissens war gestern der Vorschlag von Weimer, doch den "Ausstieg" ein wenig zu verschieben.

Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf; das war die Grundlage für jede politische Diskussion im "Deutschen Fernsehfunk" gewesen. Deutschland ist berufen, der ganzen Welt ein Beispiel zu geben, indem es die "Energiewende" schafft; das ist heute der Konsens in der deutschen Öffentlichkeit.

Der Sozialismus wurde aufgehalten, wie man weiß. Der Wahnwitz der "Energiewende" wird Deutschland in eine Lage bringen, gegen die das, was sich jetzt als Euro-Krise abspielt, harmlos ist. Wir haben uns eine Last aufgebürdet, unter der sich dieses Land fundamental verändern wird (siehe Energiewende - Nach der kollektiven Besoffenheit kommt jetzt der Katzenjammer; ZR vom 17. 7. 2012).

Daß sich danach - wenn sichtbar wird, was angerichtet wurde - der deutsche Nationalcharakter ändert, glaube ich nicht mehr. Wir sind offenbar nicht zur Vernunft zu bringen, wir Deutschen. ­
Zettel



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