30. Juli 2012

Zettels Meckerecke: Günter Wallraff, demaskiert? Ja, warum hat man ihm denn seine Maskerade abgenommen? Es ist doch seit 25 Jahren alles bekannt

In der heutigen Ausgabe des gedruckten "Spiegel" ist eine Geschichte zu lesen, deren wesentlichen Inhalt Sie auch bei "Spiegel-Online" finden. Danach beschuldigt ein ehemaliger Mitarbeiter des Journalisten Günter Wallraff diesen, ihn jahrelang schwarz beschäftigt zu haben. Er bezog in dieser Zeit zugleich Arbeitslosengeld I und später Hartz IV.

Die Tätigkeit dieses Mannes, André Fahnemann, wird bei "Spiegel-Online" als "eine Art Privatsekretär" beschrieben. Halb Sekretär, halb Butler würde die Sache wohl besser treffen. Im gedruckten "Spiegel" wird seine Arbeit für Wallraff so charakterisiert :
Las e-Mails, beantwortete e-Mails, kaufte Lebens­mittel, bügelte Hemden, nahm Anrufe entgegen, verschickte Manuskripte. Wallraff habe ihm zunächst 1000 Euro im Monat gezahlt, in bar, ohne dass der Job bei den Behörden gemeldet war, so schildert es Fahnemann in seiner Selbstanzeige ("Der Spiegel", Heft 31/2012 vom 20. 7. 2012; S. 110).
Diese Selbstanzeige von Fahnemann beim Finanzamt Köln-Nord brachte die Sache ins Rollen.

Wallraff bestreitet zum Teil die Vorwürfe, teils schiebt er die Schuld auf Fahnemann. Er habe weder Fahnemann fest angestellt, noch ihm einen Stundenlohn gezahlt, sondern ihm lediglich "finanzielle Zuwendungen" zukommen lassen. Es sei Fahnemann gewesen, der dieses Geld bar habe in Empfang nehmen wollen.



Wie dem auch sei - unbestritten ist offenbar, daß André Fahnemann vier Jahre lang für Günter Wallraff gearbeitet hat und daß dieses Arbeitsverhältnis bei den Behörden nicht angemeldet war. Fahnemann hat, so sieht es aus, diese Einkünfte nicht versteuert und während dieser Zeit Hartz-IV-Leistungen bezogen. Wallraff hat keine Sozialabgaben entrichtet.

Der gedruckte "Spiegel" schreibt über die Konsequenzen des Falls: "Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, steht der Enthüller und Verkleidungskünstler demaskiert da".

Ja, freilich. Aber wie konnte man ihm seine Maskerade jemals abnehmen? Wie konnte irgendwer glauben, daß jemand, der sein gesamtes Berufsleben lang getäuscht und betrogen hat, der falsche Identitäten vorgetäuscht hat wie nur je ein Hochstapler, sich außerhalb seiner "Rollen" plötzlich in einen ehrlichen, verläßlichen und glaubwürdigen Menschen verwandelt?

Parallel zu allen seinen Rollen hat Günter Wallraff immer auch die Rolle des guten Menschen gespielt, der sich selbstlos in Gefahr begibt; der dabei bis an den Rand seiner physischen und psychischen Kräfte geht, um Mißstände in dieser Welt aufzuspüren und publik zu machen. Der anderen hilft, so gut er kann; vor allem auch sie finanziell unterstützt.

Sie war gut gespielt, diese Rolle, wie alle die anderen Rollen Wallraffs auch. Nur manchmal gab es Probleme; beispiels­weise, als Herrmann L. Gremliza unwidersprochen behauptete, er und nicht Wallraff hätte den Bestseller "Der Aufmacher" geschrieben und als Uwe Herzog enthüllte, daß auch er als Ghostwriter für Wallraff tätig gewesen war; nämlich für "Ganz unten".

Es hätte die gesellschaftliche Wirkung dieser Bücher, auf die es Wallraff ja angeblich ankam, gewiß nicht gemindert, wenn Wallraff die wahren Autoren oder Koautoren genannt hätte. Daß er das nicht tat, ist ein Indiz dafür, wie sehr er auch als der "echte" Günter Wallraff, als der Gutmensch, Schriftsteller und Journalist, nur eine seiner Rollen spielte.



Daß Wallraff alles andere als der großzügige Mäzen ist, als der er sich gern darstellt, ist seit 1987 bekannt. Schon damals haben ihn ehemalige Mitarbeiter ähnlich beschrieben wie jetzt André Fahnemann.

Es gab dazu 1987 im "Spiegel" zwei Interviews.

Im einen äußerte sich Taner Aday, der Wallraff geholfen hatte, als dieser von in Duisburg als "Türke Ali" tätig gewesen war. Nach der Publikation des Buchs, durch das Wallraff zum mehrfachen Millionär geworden war, hatte man vereinbart, daß Aday noch weiter für Wallraff in einem "Ausländer­­solidaritäts­­büro" arbeiten sollte:
ADAY: Als er mir den Bürojob anbot, haben wir nicht länger als drei Minuten miteinander geredet. Er versprach mir aber, er werde bald zu mir kommen, um über die Aufgaben des Büros und auch über meine Bezahlung zu sprechen. Das habe ich ihm natürlich geglaubt, weil er doch gegen Schwarzarbeit ist. Aber für so ein Gespräch hatte er nie Zeit. (...)

SPIEGEL: Wie hat Wallraff Sie bezahlt?

ADAY: Er riet mir: Schreib deine Stunden selber auf, organisiere das alleine. Aber diese Großzügigkeit war ein reines Lippenbekenntnis. Den ersten Lohn habe ich erst nach drei Monaten Arbeit von ihm bekommen.

SPIEGEL: Was haben Sie denn insgesamt verdient?

ADAY: Für einen Monat Ganztags- und fünf Monate Halbtagsarbeit 3600 Mark. Dafür mußte ich jedoch fünf bis sechsmal nach Köln fahren und ihn erinnern ("Der Spiegel", Heft 25/1987 vom 15. 6. 1987, S. 200).
Für dasselbe Heft interviewte der "Spiegel" Levent Sinirlioglu, der Wallraff für "Ganz unten" seine Papiere zur Verfügung gestellt hatte. Er schilderte zunächst, wie er und ein ganzer Stab von überwiegend türkischen Mitarbeitern Wallraff bei dieser Aktion geholfen hatten; wie sie ihm Erlebnisse berichtet hatten, die Walraff dann als seine eigenen darstellte. Dann kam er auf das Geld zu sprechen:
SINIRLIOGLU: Wallraff präsentiert sich in der Öffentlichkeit als ein Verfechter der Gleichheit und Demokratie, aber ungleicher und undemokratischer als er kann man seine Mitarbeiter nicht behandeln. Er verdiente mit seinem Buch über acht Millionen, wir wurden zur Verwendung des Geldes nicht befragt. Und die Bezahlung seiner Leute regelte Wallraff wie jeder andere Chef, der billig davonkommen will. (...)

Einigen von uns wurde eine Erklärung vorgelegt, mit der sie alle Ansprüche auf ein Honorar aus dem Film "Ganz unten" abtraten. Sie unterschrieben und wurden mit 200 oder 300 Mark abgespeist. ("Der Spiegel", Heft 25/1987 vom 15. 6. 1987, S. 197).
Sinirlioglu erwähnte dann den Fotografen Hinrich Schultze. Dieser hatte ein halbes Jahr damit zugebracht, die versteckte Kamera zu bauen, die Wallraff verwendete. Dann hatte er mehr als drei Monate bei McDonald's gearbeitet und seine Erfahrungen protokolliert, damit Wallraff diese für das Buch verwerten konnte. Für diese Leistungen bekam er von Wallraff, der aus der gemeinsamen Aktion ein Honorar von acht Millionen Mark in seine Tasche gesteckt hatte, insgesamt 2000 Mark.

Günter Wallraff hat es, wie begabte Hochstapler, immer glänzend verstanden, das Vertrauen, die Gutgläubigkeit seiner Mitmenschen zu mißbrauchen. Darauf basierten seine "Recherchen". In seiner Rolle als Günter Wallraff, der Gutmensch, hat er das vielleicht am perfektesten hinbekommen.



Menschen wie Wallraff, die das Vertrauen anderer für ihre egoistischen Zwecke mißbrauchen, ärgern mich. Es ärgert mich noch mehr, daß naive, anständige Menschen auf diese Tartuffes immer wieder hereinfallen. Ich habe deshalb recht oft etwas zu Wallraff geschrieben. Vielleicht mögen Sie das eine oder andere aus Anlaß der jetzigen Affäre nachlesen. Ich habe diese Artikel kürzlich zusammengestellt; hier sind sie noch einmal:
  • Wie man aus Schaumschlägerei Schaum schlägt; ZR vom 14. 7. 2007

  • Lügt Wallraff?; ZR vom 30. 4. 2008

  • Wallraff der Lügner, zum zweiten; ZR vom 19. 10. 2009

  • Günter Wallraff wurde Opfer eines Fake. Darf man lachen?; ZR vom 27. 5. 2010

  • Günter Wallraff ist einer von "NRWs Besten". Finden Sie das nicht auch lustig?; ZR vom 24. 7. 2010

  • Wallraff will sich versuchen. Eine Warnung an alle Millionäre; ZR vom 21. 10. 2010

  • Vorsicht, Wallraff! Reportage als Agitation; ZR vom 31. 5. 2012
  • Falls Sie meine Meinung zu Wallraff etwas detaillierter lesen wollen, empfehle ich den hervorgehobenen Artikel.­
    Zettel



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