Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft des Rechts. Sie stützt sich auf den verfassungsrechtlichen Auftrag ihrer Mitgliedstaaten zur europäischen Integration, ist durch einen rechtsverbindlichen Vertrag gegründet worden, empfängt aus diesem Vertrag ihre Handlungsaufträge und Hoheitsbefugnisse und wird von den Mitgliedstaaten in parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren fortentwickelt. (...) Dieses Recht wurde grob missachtet.
Kommentar: Kirchhof ist wie kaum ein anderer in Deutschland qualifiziert, zugleich die verfassungsrechtliche und die finanzpolitische Seite der gegenwärtigen Euro-Krise zu beurteilen. Denn er ist beides: Staatsrechtler und Finanzrechtler; als Staatsrechtler zwölf Jahre lang Richter am Bundesverfassungsgericht, als Finanzexperte Leiter der "Forschungsgruppe Bundessteuergesetzbuch" an der Universität Heidelberg. 2005 wurde er bundesweit bekannt, als Angela Merkel ihn in ihr "Kompetenzteam" berief; für den Fall einer schwarzgelben Koalition war er als Finanzminister vorgesehen gewesen.
Ich empfehle Ihnen, den Artikel von Kirchhof zu lesen. Er ist wuchtig und gradlinig; ein Text, auf den die Redensart "Wie in Stein gemeißelt" paßt. Ein harter, ein kompromißloser Text. Der Text eines Juristen, dem das Recht über alles geht.
Kirchhof befaßt sich aus einer anderen Sicht mit dem, was auch das Thema des Buchs von Thilo Sarrazin ist: Das Vertragswerk, auf dessen Grundlage der Euro eingeführt wurde, war gut und wäre tragfähig gewesen, wenn die Politik sich daran gehalten hätte. Politiker haben sich nicht daran gehalten, weil sie eben Politiker sind - eingebunden in die politischen Traditionen ihres Landes, von gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen geleitet; auf ihre Wiederwahl aus.
So kam es zu der jetzigen desaströsen Situation; nicht, weil die vertraglichen Grundlagen des Euro schlecht gewesen wären, sondern weil es - im Rückblick - blauäugig gewesen war, die strikte Einhaltung von Bestimmungen zu erwarten, gegen deren Befolgung so viel an politischer Realität stand. Selbst Deutschland hat ja gegen die von ihm selbst durchgesetzten Maastricht-Kriterien verstoßen; freilich war das unter dem Kanzler Schröder.
Sarrazin schildert diese fortgesetzten Rechtsverstöße als ein Chronist; Kirchhof geißelt sie als Jurist.
Er kritisiert dies in diesem brillanten Text scharfsinnig und rücksichtslos. Er schildert alle Gefahren, die ein Rechtsbruch nach sich zieht. Aber wenn Sie diesen eindrucksvollen Text zu Ende gelesen haben, dann wird es Ihnen vielleicht gehen wie mir: Man fragt sich, was Kirchhof denn nun empfiehlt; wie nach seiner Vorstellung der Ausweg aus der jetzigen verfahrenen Situation aussehen sollte.
Ja gewiß, das Recht muß wieder hergestellt werden:
Ja, und was folgt daraus? Die jetzige Situation des Bruchs bestehenden Rechts verlangt neue rechtliche Regelungen, die eine "europäische Zentralgewalt" voraussetzen würden, meint Kirchhof. Das aber würde die Gefahr erst recht erhöhen, daß ein "einheitlicher Zugriff auf die öffentlichen Finanzen" möglich wäre; Kirchhof mag da an Eurobonds gedacht haben.
Was tun? fragt sich der Leser am Ende dieses glänzenden, analytisch (und übrigens auch sprachlich) herausragenden Artikels einigermaßen konsterniert.
Kirchhof entläßt uns ratlos, gefangen in dem bekannten Dilemma:
Das Vertragswerk, auf dem der Euro ruht, war gut und hätte funktioniert - wenn sich die Politik strikt daran gehalten hätte. Auch jetzt kann man Lösungen konstruieren, die gut wären und die funktionieren könnten, wenn sich denn die Politik strikt daran hielte. Aber warum sollten die Politiker (sollten sich vor allem Politiker in Staaten, die nie eine Tradition soliden staatlichen Wirtschaftens hatten) sich künftig anders verhalten, als sie sich nach den Verträgen von Maastricht verhalten haben?
Es gibt jeden Grund, daran zu zweifeln. Siehe Bankenunion - sind die Professoren sich wirkich uneinig? Nicht in ihrer Analyse. Nur im Grad ihrer Skepsis; ZR vom 10. 7. 2012.
Paul Kirchhof am Donnerstag in der FAZ in einem längeren Artikel mit der Überschrift "Verfassungsnot!"
Kommentar: Kirchhof ist wie kaum ein anderer in Deutschland qualifiziert, zugleich die verfassungsrechtliche und die finanzpolitische Seite der gegenwärtigen Euro-Krise zu beurteilen. Denn er ist beides: Staatsrechtler und Finanzrechtler; als Staatsrechtler zwölf Jahre lang Richter am Bundesverfassungsgericht, als Finanzexperte Leiter der "Forschungsgruppe Bundessteuergesetzbuch" an der Universität Heidelberg. 2005 wurde er bundesweit bekannt, als Angela Merkel ihn in ihr "Kompetenzteam" berief; für den Fall einer schwarzgelben Koalition war er als Finanzminister vorgesehen gewesen.
Ich empfehle Ihnen, den Artikel von Kirchhof zu lesen. Er ist wuchtig und gradlinig; ein Text, auf den die Redensart "Wie in Stein gemeißelt" paßt. Ein harter, ein kompromißloser Text. Der Text eines Juristen, dem das Recht über alles geht.
Kirchhof befaßt sich aus einer anderen Sicht mit dem, was auch das Thema des Buchs von Thilo Sarrazin ist: Das Vertragswerk, auf dessen Grundlage der Euro eingeführt wurde, war gut und wäre tragfähig gewesen, wenn die Politik sich daran gehalten hätte. Politiker haben sich nicht daran gehalten, weil sie eben Politiker sind - eingebunden in die politischen Traditionen ihres Landes, von gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen geleitet; auf ihre Wiederwahl aus.
So kam es zu der jetzigen desaströsen Situation; nicht, weil die vertraglichen Grundlagen des Euro schlecht gewesen wären, sondern weil es - im Rückblick - blauäugig gewesen war, die strikte Einhaltung von Bestimmungen zu erwarten, gegen deren Befolgung so viel an politischer Realität stand. Selbst Deutschland hat ja gegen die von ihm selbst durchgesetzten Maastricht-Kriterien verstoßen; freilich war das unter dem Kanzler Schröder.
Sarrazin schildert diese fortgesetzten Rechtsverstöße als ein Chronist; Kirchhof geißelt sie als Jurist.
Er kritisiert dies in diesem brillanten Text scharfsinnig und rücksichtslos. Er schildert alle Gefahren, die ein Rechtsbruch nach sich zieht. Aber wenn Sie diesen eindrucksvollen Text zu Ende gelesen haben, dann wird es Ihnen vielleicht gehen wie mir: Man fragt sich, was Kirchhof denn nun empfiehlt; wie nach seiner Vorstellung der Ausweg aus der jetzigen verfahrenen Situation aussehen sollte.
Ja gewiß, das Recht muß wieder hergestellt werden:
Die Europäische Union steht und fällt mit ihrer Rechtlichkeit. Sie braucht ein festes Verfassungs- und Vertragsrecht, das die Institutionen - der Erstinterpret Parlament und Regierung, der Zweitinterpret Bundesverfassungsgericht - unbeirrt ins Werk setzen.Aber wie soll das aussehen? Kirchhof apostrophiert "manche politische Akteure":
Sie hoffen auf eine europäische Zentralgewalt, die mit den Instrumentarien des Rechts freiheitliche Ordnung und wirtschaftliche Stabilität im gesamten Euro-Raum sicherstellt, dabei durch keine finanzwirtschaftliche Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten behindert wird.Aber eine solche Lösung sieht er als riskant an:
Bei dieser Ausgangslage muss sorgfältig erwogen werden, ob eine Zentralisierung des Haushalts- und Verschuldenswesens in Europa wünschenswert ist. Gegenwärtig hat die Finanzautonomie aller Mitgliedstaaten der Euro-Gemeinschaft zur Folge, dass ein einheitlicher Zugriff auf die öffentlichen Finanzen nicht möglich ist, vielmehr jeder Mitgliedstaat mit seiner Finanzkraft und seinen politischen Eigenheiten für den Zugriff des Finanzmarktes gewonnen werden muss.Diese Finanzautonomie der einzelnen Staaten sei, meint Kirchhof, eine "Tugend", auch wenn sie sich in der jetzigen Situation den Politiker als "Not" darstelle.
Ja, und was folgt daraus? Die jetzige Situation des Bruchs bestehenden Rechts verlangt neue rechtliche Regelungen, die eine "europäische Zentralgewalt" voraussetzen würden, meint Kirchhof. Das aber würde die Gefahr erst recht erhöhen, daß ein "einheitlicher Zugriff auf die öffentlichen Finanzen" möglich wäre; Kirchhof mag da an Eurobonds gedacht haben.
Was tun? fragt sich der Leser am Ende dieses glänzenden, analytisch (und übrigens auch sprachlich) herausragenden Artikels einigermaßen konsterniert.
Kirchhof entläßt uns ratlos, gefangen in dem bekannten Dilemma:
Das Vertragswerk, auf dem der Euro ruht, war gut und hätte funktioniert - wenn sich die Politik strikt daran gehalten hätte. Auch jetzt kann man Lösungen konstruieren, die gut wären und die funktionieren könnten, wenn sich denn die Politik strikt daran hielte. Aber warum sollten die Politiker (sollten sich vor allem Politiker in Staaten, die nie eine Tradition soliden staatlichen Wirtschaftens hatten) sich künftig anders verhalten, als sie sich nach den Verträgen von Maastricht verhalten haben?
Es gibt jeden Grund, daran zu zweifeln. Siehe Bankenunion - sind die Professoren sich wirkich uneinig? Nicht in ihrer Analyse. Nur im Grad ihrer Skepsis; ZR vom 10. 7. 2012.
Zettel
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