Es war einmal ein Reich, das aus vielen Ländern bestand. Das Backwesen war in diesem Reich Ländersache, denn sie hatten die Backhoheit.
Im Lauf der Jahrhunderte hatten die Landesherren viele Bäckereien gegründet, große und kleine. In ihnen wirkten die Staatsbäcker. Die meisten wurden nach dem Landes-Angestelltentarif (LAT) bezahlt, die höhergestellten waren verbeamtet und hatten eine eigene Besoldungsordnung Bä, die von Bä1 (Oberbäcker) über Bä2 (Regierungsbäcker) und Bä3 (Oberregierungsbäcker) bis Bä4 (Ministerialbäcker) reichte.
Die Bäckereien gaben ihren Kuchen, ihr Brot und ihre Brötchen kostenlos an die Bürger ab; denn die Verfassung des Reichs sah ein "Recht auf Grundnahrung" für alle vor.
Allerdings konnten die Bäckereien bei einer Reihe von besonders begehrten Produkten (zum Beispiel bei Schwarzwälder Kirschtorte oder auch bei dem von Bauern gern zur Schweinefütterung eingesetzten Graubrot) die Nachfrage nicht befriedigen.
Es wurde deshalb ein Numerus clausus panium eingeführt. Wer die begehrten Kuchen- und Brotsorten regelmäßig beziehen wollte, der konnte sich bei einer Zentralstelle zur Vergabe von Brotrechten bewerben.
Diese vergab die Rechte nach einem Punktesystem, das unter anderem berücksichtigte, wie gesund sich der jeweilige Antragsteller ernährte und wie umweltbewußt er bei der Wahl seiner Nahrung war. Auch gab es einen Geschmackstest, der als standardisierter Multiple-Choice-Test von einem Institut entwickelt worden war. In jedem Land war ein großer Verwaltungsapparat aufgebaut worden, der den Numerus clausus panium umsetzte.
Die Bäckereien erhielten ihre Mittel aus dem Landeshaushalt und buken so viele Brötchen, Brote und Kuchen, wie diese Mittel es erlaubten, ohne daß man bei ihrem Einsatz sparen mußte. Gegen Ende des Rechnungsjahres waren sogar in mancher Bäckerei noch Restmittel übrig. Diese mußte man noch bis zum Jahresende (wie es im Bäckerjargon hieß) "verbacken", damit sie nicht verfielen. In die Rumkugeln tat man dann nicht den üblichen billigen Rum, sondern Importrum erster Qualität aus Jamaika. Auf die Salzstangen kam edles Meersalz; dergleichen.
Die Bäckereien hatten weitgehende Autonomie. War zum Beispiel eine Stelle neu zu besetzen, dann bildete die betreffende Bäckerei eine Berufungskommission, die sich monate-, manchmal jahrelang mit dem Werdegang aller Bewerber auseinandersetzte. Die besten zehn oder zwölf wurden dann zum Vorbacken eingeladen.
Dabei galten übrigens strenge Regeln, was die Frauenquote anging. Schon ein winziges Versehen (daß zum Beispiel eine Frau weniger zum Vorbacken eingeladen worden war, als die betreffende Landesverordnung das vorsah) konnte zur Ungültigkeit des Verfahrens führen. In manchen Fällen zogen sich dergestalt Verfahren über zwei, drei Jahre hin, bevor die Stelle beispielsweise eines Oberregierungsbäckers neu besetzt war.
Die verbeamteten Bäcker widmeten einen großen Teil ihrer Arbeitszeit solcher "Gremienarbeit". Viele gingen in ihr geradezu auf und taten kaum etwas anderes, als in den zahllosen Räten, Versammlungen, Kommissionen zu wirken, welche die Geschicke einer Großbäckerei lenkten.
Kurz, es war ein schönes Arbeiten. Nur die Kunden störten ein wenig. Aber die Schlangen vor den Läden sah man aus deren Inneren kaum, und Beschwerden gab es so gut wie nicht. Sollte ein Kunde doch einmal die Qualität der Backwaren beanstandet haben, dann wurden ihm die Bezugsrechte für die betreffende Bäckerei entzogen, und es war Ruhe.
Es war alles bestens. Bis ein Unheil über dieses schöne und wohlgeordnete Bäckereiwesen hereinbrach: Das Reich hatte mit anderen Staaten Verträge geschlossen, die vorsahen, daß auch diese ihre Backwaren in den Ländern des Reichs feilbieten durften. Und nun entdeckten die staunenden Untertanen, daß Brötchen und Brote und Kuchen ungleich besser schmecken konnten, als sie es bisher gekannt hatten.
Die Stabilität des Bäckereiwesens war in Gefahr. Was tun?
In den Ländern wurde zunächst Mannigfaches ausprobiert.
Zum Beispiel wurde an jeder Bäckerei eine Qualitätskommission gegründet. Diese Kommissionen neigten allerdings dazu, alle bei ihnen gebackenen Waren mit dem Prädikat "vorzüglich" zu bewerten.
Dann wurde eingeführt, daß verbeamtete Bäcker, die besonders gut buken, eine Gehaltszulage bekommen konnten. Da man mit Kommissionen schlechte Erfahrungen gemacht hatte, sollten diesmal die Kunden die Qualität beurteilen. Hierzu wurde an jeder Bäckerei eine Kommission ins Leben gerufen, die einen entsprechenden Fragebogen ausarbeitete. Allerdings beteiligte sich kaum ein Kunde an dieser Befragung, weil die Beantwortung der bis zu 73 Fragen im Schnitt mehr als eine Stunde dauerte.
Schließlich sahen die Landesherren ein, daß sie landesweit etwas unternehmen mußten. Sie gründeten sogenannte Exzellenzinitiativen, mit deren Hilfe für die Bäckereien ein Anreiz geschaffen werden sollte, die Qualität ihrer Backwaren zu steigern.
Es waren Anträge zu stellen, die in jeder der Bäckereien in monatelanger Arbeit von zahlreichen Kommissionen erarbeitet wurden. Eine Kuchenkommision war zum Beispiel für die Präsentation des Kuchens in dem Antrag zuständig; andere erarbeiteten die Teile für Brot und Brötchen. Wieder andere waren beauftragt, die Sauberkeit der Backstube und der Toiletten herauszuarbeiten. Das alles floß in die Anträge ein, die nicht selten einen Umfang von mehreren hundert Seiten hatten.
Auf Landes- und Reichsebene gab es wiederum viele Kommissionen, deren Mitglieder das alles lesen und bewerten mußten. Manchmal unternahmen sie auch Dienstreisen, um die eine oder andere Bäckerei vor Ort zu prüfen, sogenannte "Begehungen". Viele Gutachten wurden geschrieben.
Das Ergebnis war, daß bestimmte Bäckereien sich fortan "Exzellenzbäckereien" nennen durften, im Volksmund meist "Elitebäckereien" genannt. Daß die Kuchen dort besser schmeckten, fanden die meisten Kunden zwar nicht; aber auf der Erdbeertorte glänzte nun ein sattes Rot. Die Brötchen hatte man dadurch höherwertig gemacht, daß jedem von Hand ein kleines lachendes Gesicht in die Oberfläche geritzt wurde.
Fortan wurde ständig geprüft, ob die Exzellenzbäckereien ihres Titels auch weiterhin würdig waren. Dafür gab es viele Kommissionen, und es wurden viele Gutachten geschrieben. Auch gab es in den Bäckereien, die den Titel ebenfalls haben wollten, viele Kommissionen, die Anträge schrieben. Diese wurden wiederum Kommissionen zugeleitet und begutachtet. Ein immer größerer Teil des Bäckereiwesens bestand bald aus gelernten Bäckern, die nicht mehr buken, sondern Anträges schrieben, sie lasen, sie begutachteten.
Eines Tages nun kamen Reisende aus einem fernen Land jenseits des Großen Teichs in das Reich und sahen das alles und staunten. Gefragt, was sie denn wundere, antworteten sie: Bei uns funktioniert das einfacher. Jeder Bäcker versucht das beste Brot, die besten Brötchen und den besten Kuchen zu backen, weil sonst die Kunden bei der Konkurrenz kaufen.
"Was?", schallte es ihnen da entgegen, "ihr seid so rückschrittlich, daß bei Euch die Menschen für Brot, Brötchen und Kuchen bezahlen müssen!?".
Weiterführende Literatur finden Sie aktuell zum Beispiel hier:
Im Lauf der Jahrhunderte hatten die Landesherren viele Bäckereien gegründet, große und kleine. In ihnen wirkten die Staatsbäcker. Die meisten wurden nach dem Landes-Angestelltentarif (LAT) bezahlt, die höhergestellten waren verbeamtet und hatten eine eigene Besoldungsordnung Bä, die von Bä1 (Oberbäcker) über Bä2 (Regierungsbäcker) und Bä3 (Oberregierungsbäcker) bis Bä4 (Ministerialbäcker) reichte.
Die Bäckereien gaben ihren Kuchen, ihr Brot und ihre Brötchen kostenlos an die Bürger ab; denn die Verfassung des Reichs sah ein "Recht auf Grundnahrung" für alle vor.
Allerdings konnten die Bäckereien bei einer Reihe von besonders begehrten Produkten (zum Beispiel bei Schwarzwälder Kirschtorte oder auch bei dem von Bauern gern zur Schweinefütterung eingesetzten Graubrot) die Nachfrage nicht befriedigen.
Es wurde deshalb ein Numerus clausus panium eingeführt. Wer die begehrten Kuchen- und Brotsorten regelmäßig beziehen wollte, der konnte sich bei einer Zentralstelle zur Vergabe von Brotrechten bewerben.
Diese vergab die Rechte nach einem Punktesystem, das unter anderem berücksichtigte, wie gesund sich der jeweilige Antragsteller ernährte und wie umweltbewußt er bei der Wahl seiner Nahrung war. Auch gab es einen Geschmackstest, der als standardisierter Multiple-Choice-Test von einem Institut entwickelt worden war. In jedem Land war ein großer Verwaltungsapparat aufgebaut worden, der den Numerus clausus panium umsetzte.
Die Bäckereien erhielten ihre Mittel aus dem Landeshaushalt und buken so viele Brötchen, Brote und Kuchen, wie diese Mittel es erlaubten, ohne daß man bei ihrem Einsatz sparen mußte. Gegen Ende des Rechnungsjahres waren sogar in mancher Bäckerei noch Restmittel übrig. Diese mußte man noch bis zum Jahresende (wie es im Bäckerjargon hieß) "verbacken", damit sie nicht verfielen. In die Rumkugeln tat man dann nicht den üblichen billigen Rum, sondern Importrum erster Qualität aus Jamaika. Auf die Salzstangen kam edles Meersalz; dergleichen.
Die Bäckereien hatten weitgehende Autonomie. War zum Beispiel eine Stelle neu zu besetzen, dann bildete die betreffende Bäckerei eine Berufungskommission, die sich monate-, manchmal jahrelang mit dem Werdegang aller Bewerber auseinandersetzte. Die besten zehn oder zwölf wurden dann zum Vorbacken eingeladen.
Dabei galten übrigens strenge Regeln, was die Frauenquote anging. Schon ein winziges Versehen (daß zum Beispiel eine Frau weniger zum Vorbacken eingeladen worden war, als die betreffende Landesverordnung das vorsah) konnte zur Ungültigkeit des Verfahrens führen. In manchen Fällen zogen sich dergestalt Verfahren über zwei, drei Jahre hin, bevor die Stelle beispielsweise eines Oberregierungsbäckers neu besetzt war.
Die verbeamteten Bäcker widmeten einen großen Teil ihrer Arbeitszeit solcher "Gremienarbeit". Viele gingen in ihr geradezu auf und taten kaum etwas anderes, als in den zahllosen Räten, Versammlungen, Kommissionen zu wirken, welche die Geschicke einer Großbäckerei lenkten.
Kurz, es war ein schönes Arbeiten. Nur die Kunden störten ein wenig. Aber die Schlangen vor den Läden sah man aus deren Inneren kaum, und Beschwerden gab es so gut wie nicht. Sollte ein Kunde doch einmal die Qualität der Backwaren beanstandet haben, dann wurden ihm die Bezugsrechte für die betreffende Bäckerei entzogen, und es war Ruhe.
Es war alles bestens. Bis ein Unheil über dieses schöne und wohlgeordnete Bäckereiwesen hereinbrach: Das Reich hatte mit anderen Staaten Verträge geschlossen, die vorsahen, daß auch diese ihre Backwaren in den Ländern des Reichs feilbieten durften. Und nun entdeckten die staunenden Untertanen, daß Brötchen und Brote und Kuchen ungleich besser schmecken konnten, als sie es bisher gekannt hatten.
Die Stabilität des Bäckereiwesens war in Gefahr. Was tun?
In den Ländern wurde zunächst Mannigfaches ausprobiert.
Zum Beispiel wurde an jeder Bäckerei eine Qualitätskommission gegründet. Diese Kommissionen neigten allerdings dazu, alle bei ihnen gebackenen Waren mit dem Prädikat "vorzüglich" zu bewerten.
Dann wurde eingeführt, daß verbeamtete Bäcker, die besonders gut buken, eine Gehaltszulage bekommen konnten. Da man mit Kommissionen schlechte Erfahrungen gemacht hatte, sollten diesmal die Kunden die Qualität beurteilen. Hierzu wurde an jeder Bäckerei eine Kommission ins Leben gerufen, die einen entsprechenden Fragebogen ausarbeitete. Allerdings beteiligte sich kaum ein Kunde an dieser Befragung, weil die Beantwortung der bis zu 73 Fragen im Schnitt mehr als eine Stunde dauerte.
Schließlich sahen die Landesherren ein, daß sie landesweit etwas unternehmen mußten. Sie gründeten sogenannte Exzellenzinitiativen, mit deren Hilfe für die Bäckereien ein Anreiz geschaffen werden sollte, die Qualität ihrer Backwaren zu steigern.
Es waren Anträge zu stellen, die in jeder der Bäckereien in monatelanger Arbeit von zahlreichen Kommissionen erarbeitet wurden. Eine Kuchenkommision war zum Beispiel für die Präsentation des Kuchens in dem Antrag zuständig; andere erarbeiteten die Teile für Brot und Brötchen. Wieder andere waren beauftragt, die Sauberkeit der Backstube und der Toiletten herauszuarbeiten. Das alles floß in die Anträge ein, die nicht selten einen Umfang von mehreren hundert Seiten hatten.
Auf Landes- und Reichsebene gab es wiederum viele Kommissionen, deren Mitglieder das alles lesen und bewerten mußten. Manchmal unternahmen sie auch Dienstreisen, um die eine oder andere Bäckerei vor Ort zu prüfen, sogenannte "Begehungen". Viele Gutachten wurden geschrieben.
Das Ergebnis war, daß bestimmte Bäckereien sich fortan "Exzellenzbäckereien" nennen durften, im Volksmund meist "Elitebäckereien" genannt. Daß die Kuchen dort besser schmeckten, fanden die meisten Kunden zwar nicht; aber auf der Erdbeertorte glänzte nun ein sattes Rot. Die Brötchen hatte man dadurch höherwertig gemacht, daß jedem von Hand ein kleines lachendes Gesicht in die Oberfläche geritzt wurde.
Fortan wurde ständig geprüft, ob die Exzellenzbäckereien ihres Titels auch weiterhin würdig waren. Dafür gab es viele Kommissionen, und es wurden viele Gutachten geschrieben. Auch gab es in den Bäckereien, die den Titel ebenfalls haben wollten, viele Kommissionen, die Anträge schrieben. Diese wurden wiederum Kommissionen zugeleitet und begutachtet. Ein immer größerer Teil des Bäckereiwesens bestand bald aus gelernten Bäckern, die nicht mehr buken, sondern Anträges schrieben, sie lasen, sie begutachteten.
Eines Tages nun kamen Reisende aus einem fernen Land jenseits des Großen Teichs in das Reich und sahen das alles und staunten. Gefragt, was sie denn wundere, antworteten sie: Bei uns funktioniert das einfacher. Jeder Bäcker versucht das beste Brot, die besten Brötchen und den besten Kuchen zu backen, weil sonst die Kunden bei der Konkurrenz kaufen.
"Was?", schallte es ihnen da entgegen, "ihr seid so rückschrittlich, daß bei Euch die Menschen für Brot, Brötchen und Kuchen bezahlen müssen!?".
Weiterführende Literatur finden Sie aktuell zum Beispiel hier:
Exzellenzinitiative - Deutschland hat fünf neue Elite-Unis; "Zeit-Online" vom 15. 6. 2012 Unis jenseits der Exzellenz - Auffallen um jeden Preis; "Der Tagesspiegel" vom 29. 6. 2012
Zettel
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