30. Juli 2012

Zitat des Tages: "Eindruck einer Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit". Das Kleingedruckte im ESM-Vertragsentwurf.

Begrenzt der Vertrag die Haftung Deutschlands auf 190 Milliarden Euro? Der Bundesfinanzminister wird nicht müde, diese Belastungsobergrenze zu betonen, doch findet sie im Vertrag keine Stütze. (...) Aufgrund der Nachschusspflicht kann die Belastung Deutschlands auf 700 Milliarden Euro steigen; aufgrund eines erhöhten Ausgabekurses auch weit darüber hinaus. (...)

Weitere Punkte verstärken den Eindruck einer Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit, etwa die seit Wochen diskutierte Frage, ob der ESM eine Banklizenz erhalten solle. Artikel 32 Absatz 9 befreit den ESM von jeder Zulassungs- und Lizenzierungspflicht als Kreditinstitut. Eine Banklizenz ist überflüssig.
Kernsätze eines Artikels von Stefan Homburg in der gestrigen F.A.S. erschienen ist.

Kommentar: Was Homburg beschreibt, der als Professor für Öffentliche Finanzen an der Leibniz-Universität Hannover Spezialist für dieses Thema ist, das liest sich wie ein Horror-Szenario. Er bezweifelt, daß die Bundesregierung und Abgeordnete des Bundestags die Konsequenzen dieses ESM-Vertrags, sollte er geschlossen werden, überhaupt überblicken. Wie ist so etwas möglich? Homburg:
Zum Teil mag das darauf beruhen, dass der ESM-Vertrag von angelsächsischen Wirtschaftskanzleien geschrieben wurde und an das Kleingedruckte mancher Finanzprodukte erinnert: Hingucker wie das Stamm­kapital von 700 Milliarden Euro sind tatsächlich fettgedruckt, während sich die folgenreichsten Bestimmungen in nachgeordneten Absätzen finden.
Ich empfehle Ihnen sehr, den Artikel zu lesen. Er ergänzt das, was ich Ihnen schon früher empfohlen haben, wenn Sie sich ein Bild von den Ursachen und vom Ausmaß der jetzigen Krise machen wollen:
  • Volkswirtschaft, verständlich erklärt: Hans-Werner Sinn zur Eurokrise; ZR vom 7. 7. 2012

  • "Dieses Recht wurde grob mißachtet". Zur EU-Krise eine glänzende Analyse von Paul Kirchhof. Allerdings ...; ZR vom 14. 7. 2012

  • "Wie Goethes Zauberlehrling". Thilo Sarrazin erklärt die Euro-Krise. Und nennt einen schlitzohrigen Ausweg ...; ZR vom 17. 7. 2012
  • Als Service nicht nur für den Leser, sondern vielleicht ja auch für manchen Beamten des Finanzministeriums und Abgeordneten des Deutschen Bundestags enthält der Artikel den Vertragsentwurf im Wortlaut in einer interaktiven Version:

    Die kritischen Passagen sind gelb markiert. Durch Klicken auf den markierten Bereich kommen Sie zu Homburgs jeweiligen Erläuterungen. Man kann nur hoffen, daß wenigstens einige der vielbeschäftigten Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die zum eigenen intensiven Studiums des Entwurfs vielleicht keine Zeit haben, von diesem Angebot Gebrauch machen.

    Wenn auch vielleicht mancher Abgeordnete und mancher Ministeriale die möglichen Auswirkungen dieses Vertrags noch nicht überblickt - die Rating-Agentur Moody's tut es. Nachdem ich Homburgs Artikel gelesen und mir den Vertrag angesehen habe, wundert es mich überhaupt nicht mehr, daß sie in der vergangenen Woche den Ausblick für Deutschlands Kredit­würdigkeit auf negativ gesetzt hat.

    Offenbar liest man dort auch das Kleingedruckte. Und versteht es; mit den Tricks angelsächsischer Wirtschafts­kanzleien dürfte man sich bei Moody's bestens auskennen.



    Deutschland könnte sich, wenn die Professoren Homburg, Sinn und Kirchhof sowie der sein Berufsleben lang mit öffentlichen Finanzen befaßte Thilo Sarrazin Recht haben, demnächst in der Situation des Retters wiederfinden, der einen Ertrinkenden aus dem Wasser zu ziehen trachtet und bei dieser Aktion selbst ertrinkt.­
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Erling Plaethe.