12. Juli 2012

Marginalie: Die Naivität der Piraten. Ein Vater Staat, ganz wie Papa zu Hause

Als ich kürzlich wegen eines anderen Artikels ein Heft des "Spiegel" von Anfang Mai wieder in die Hand nahm, bin ich auf eine Gesprächs­passage gestoßen, die in wenigen Sätzen das erhellt, was die Piratenpartei kennzeichnet; ihre Naivität, ihre Widersprüchlichkeit:
SPIEGEL: Sind die Piraten für einen Sozialstaat oder für einen Nachtwächterstaat nach liberalem Muster – also einen Staat, der nur das Nötigste regelt und den Rest dem freien Spiel der Kräfte überlässt?

Reinhardt: Die Piraten sind für eine hohe Staatsquote, in der die staatlichen Ausgaben dazu benutzt werden, auch die finanziellen Teilhabemöglichkeiten der Bürger zu gewährleisten – etwa ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber es geht uns nicht darum, dass der Staat irgendwie lenkt und dirigiert und sagt, da muss jetzt aber dieser wirtschaftliche Akzent gesetzt werden und hier der. ("Spiegel"-Streitgespräch zwischen dem Grünen-Politker Jan Philipp Albrecht und dem Piraten-Politiker Fabio Reinhardt; "Spiegel" 19/2012 vom 7. 5. 2012, S. 34).
Da haben wir es, das Piraten-Schlaraffenland: Sie wollen einen starken Staat, der schwach ist. Er soll seine Bürger umsorgen, aber ihnen nichts vorschreiben. Einen mild-freigiebigen Vater Staat malen sie sich aus; ganz so, wie es mancher Sohn wohlhabender, indolent-liberaler Eltern zu Hause erlebt haben mag (siehe Falls Sie als Liberaler erwägen, die "Piratenpartei Deutschland" zu wählen, dann lesen Sie bitte dies; ZR vom 4. 12. 2011).

Nur gibt es einen derartigen Wunderstaat nirgends auf der Welt, und es kann ihn auch nicht geben. Denn, anders als vielleicht in einem wohlhabend-liberalen Zuhause, geht es in der Politik um Macht; geht es in der Gesellschaft um Verteilungskämpfe.

Wo soll denn das Geld beim Staat herkommen, das die von den Piraten angestrebte "hohe Staatsquote" zur Folge hat? Der Staat muß es logischerweise seinen Bürgern wegnehmen.

Er muß damit massiv in deren Leben eingreifen; in das der Privatleute ebenso wie in dasjenige der Wirtschaftssubjekte. Er muß die Privaten hoch besteuern und also Gesellschafts­politik betreiben. Er muß die Wirtschaft hoch besteuern und lenkt sie damit, indem er entscheidet, was jeweils wie hoch besteuert wird.

Das Geld, das der Staat - wie sich das die Piraten erträumen - freundlich über seine Bürger ausschüttet, fällt anders als Manna nicht vom Himmel. Die Staatsmacht muß es sich nehmen; und dazu muß dieser mächtige Staat die Daumenschrauben ansetzen. Ein Staat, der seinen Bürgern einen Großteil ihres Gelds wegnimmt, ohne dabei "irgendwie zu lenken und zu dirigieren", kann so wenig existieren, wie es schwarze Pferde gibt, die weiße Schimmel sind, oder wie ein Wagen blitzeschnelle langsam um die Ecke fahren kann.

"Wir wollen, daß der Staat sich aus dem Privatleben der Bürger heraushält", sagt Reinhardt in dem Gespräch. Mit einer hohen Staatsquote ist das so wenig vereinbar, wie ein Milchbauer, der von seinen Kühen eine Milchleistung von 50 kg/Tag verlangt, sich aus deren Privatleben heraushalten kann.­
Zettel



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