Man kann nur staunen über das Ausmaß an fast schon sträflicher Naivität oder auch nur schlichter Ignoranz, das viele Beurteiler der Syrien-Krise an den Tag legen (...) Folgt man der Darstellung des Konflikts in weiten Teilen der westlichen Welt, dann scheint es sich lediglich um die Frage zu handeln, ob es gelingt, die syrische Bevölkerung von einem blutigen Diktator zu befreien. Vor allem in Deutschland scheint die Unkenntnis, mit der diese Auseinandersetzung derzeit diskutiert wird, grenzenlos zu sein (...)
Kommentar: Wenn Sie die Serie Aufruhr in Arabien verfolgt haben, dann wissen Sie, wie nur allzu richtig Kraus' Diagnose ist.
Die deutschen Medien vermitteln überwiegend dieses Bild; nicht nur in Bezug auf Syrien: In Arabien herrschten bis Ende 2010 "Tyrannen" oder "Diktatoren". Dann begann, zuerst in Tunesien, "das Volk" sich gegen sie zu erheben, danach auch in anderen Ländern. Und nun hoffen wir alle, daß das Volk überall gewinnt und eine Demokratie errichtet.
So dürfte man noch nicht einmal Kindern die Welt erklären. Auch sie haben ein Recht darauf, zutreffend, wenn auch auf eine für sie verständliche Weise, informiert zu werden. An dem Bild der Entwicklung in Arabien, das Sie den deutschen Medien in der Regel entnehmen können, ist aber so ziemlich alles falsch und schief:
Stattdessen bedient man uns mit dem Klischee von den bösen Tyrannen und den guten Freiheitskämpfern (siehe Christen in Syrien und "radikalislamische Freiheitskämpfer"; ZR vom 24. 7. 2012). Statt die Ziele der beteiligten Akteure innerhalb und außerhalb des jeweiligen Landes zu analysieren, wird ausführlich erörtert, wer nun welches Massaker zu verantworten habe.
Warum ist das so?
Die zynische Antwort lautet: Die Journalisten verkaufen den Konsumenten das, was sie haben wollen. Die Leser von "Spiegel-Online", die Zuschauer der "Tagesschau" sind nicht an politischen Hintergründen interessiert, sondern sie wollen ihre Klischees bestätigt sehen: In der Politik steht immer Gut gegen Böse; und wir müssen den Guten helfen und die Bösen bestrafen.
Die Bösen sind jetzt die Führer des Arabischen Sozialismus. Vor zehn Jahren war es noch Präsident Bush, der einen dieser Führer, den Stalin-Bewunderer Saddam Hussein, stürzte. Die Zuordnung der Rollen wechselt; aber Gut gegen Böse muß es sein. Der Konsument mit seinem naiven Weltverständnis will es nicht anders.
Diese zynische Antwort ist vielleicht nicht falsch; aber sie ist wohl nicht die vollständige Antwort. Zwei weitere Faktoren dürften hinzukommen:
Erstens das, was Kraus "sträfliche Naivität" und "schlichte Ignoranz" nennt. Deutsche Journalisten denken selten in geostrategischen Kategorien; überhaupt in Machtkategorien. Sie sehen und beschreiben das, was sozusagen sinnlich zu erfassen ist - das "Volk" auf der Straße, blutige Massaker, pathetische Deklarationen der Akteure; wie beispielsweise die von Präsident Obama (siehe Der schönste Militärputsch, den es je gab? Mubarak, Obama und Mohamed Hussein Tantawi; ZR vom 12. 2. 2011).
Diese Konzentration auf das konkrete Geschehen, das man filmen, das man anschaulich beschreiben kann, mag wiederum teils den Erwartungen der Konsumenten geschuldet sein; wohl aber auch fehlenden analytischen Fähigkeiten der Journalisten. Wenn Sie den Artikel von Kraus und dazu einige der Analysen von Stratfor gelesen habe, über die ich regelmäßig in der Serie berichte, dann haben Sie mehr verstanden, als wenn Sie täglich "Spiegel-Online" studieren und die Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen verfolgen.
Der andere Punkt ist die Art von Analyse, zu der deutsche Journalisten neigen, wenn sie sich denn auf die analytische Ebene begeben. Viele haben eine linke Grundhaltung, aus der heraus sie die Innenpolitik anderer Länder unter dem Gesichtspunkt von "Herrschenden" und "Volk" sehen, die Außenpolitik als bestimmt durch das Bemühen des "imperialistischen" Westens, sich die Ressourcen anderer Länder anzueignen. Ein Musterbeispiel war die Berichterstattung zum Irakkrieg unter dem Leitgedanken "Blut für Öl" (siehe "Blut für Öl" - Sie erinnern sich?; ZR vom 12. 10. 2010).
Unterfüttert wird diese Haltung durch ein, sagen wir, empathisches Verständnis von Politik; speziell der Außenpolitik des Westens. Ihre Aufgabe wird nicht darin gesehen, die eigenen Interessen zu fördern, sondern das Leid in der Welt zu mindern.
Wenn Sie sich ein aktuelles Beispiel für diesen Journalismus, diese Paarung von mangelnder Analyse und Empathie, ansehen wollen, dann empfehle ich Ihnen den Artikel des stellvertretenden Chefredakteurs Bernd Ulrich in der aktuellen "Zeit". Er befaßt sich mit der Frage, ob der Westen in Syrien militärisch intervenieren sollte, und bringt es fertig, dabei mit keinem Wort auf die Interessen des Westens und auf die Machtverhältnisse im Nahen Osten einzugehen.
Hans-Christof Kraus, Professor für Neuere und Neueste Geschichte, in der FAZ über die Berichterstattung zu Syrien.
Kommentar: Wenn Sie die Serie Aufruhr in Arabien verfolgt haben, dann wissen Sie, wie nur allzu richtig Kraus' Diagnose ist.
Die deutschen Medien vermitteln überwiegend dieses Bild; nicht nur in Bezug auf Syrien: In Arabien herrschten bis Ende 2010 "Tyrannen" oder "Diktatoren". Dann begann, zuerst in Tunesien, "das Volk" sich gegen sie zu erheben, danach auch in anderen Ländern. Und nun hoffen wir alle, daß das Volk überall gewinnt und eine Demokratie errichtet.
So dürfte man noch nicht einmal Kindern die Welt erklären. Auch sie haben ein Recht darauf, zutreffend, wenn auch auf eine für sie verständliche Weise, informiert zu werden. An dem Bild der Entwicklung in Arabien, das Sie den deutschen Medien in der Regel entnehmen können, ist aber so ziemlich alles falsch und schief:
Dies zu analysieren wäre die Aufgabe kompetenter Journalisten; wobei die Folgen der einen oder anderen möglichen Entwicklung, beispielsweise auch für die Sicherheit Israels, in den Blick zu nehmen wären.Die in Tunesien, Libyen und Ägypten, demnächst vielleicht in Syrien gestürzten Regimes waren nicht die Herrschaft von Tyrannen, sondern dort herrschte der Arabische Sozialismus; wenn auch in unterschiedlichen Varianten - in Tunesien und Ägypten in Form bürokratisch-militärischer Regimes, die das Herrschaftssystem des sowjetischen Sozialismus perpetuierten, ohne daß dessen ideologische Inhalte noch eine Rolle spielten; in Libyen in Form der Gaddafi-Ideologie, die Marxismus und Islam zusammenbringen sollte.
Auch Syrien wird bis heute von der sozialistischen Ba'ath-Partei mit einem System nach sowjetischem Muster regiert. Alle diese Länder zeigen und zeigten das Sozialismus-typische Bild einer Verbindung von Repression und Armut.Der Aufruhr gegen diese Regimes wurde und wird nicht von Kräften getragen, die eine Demokratie nach westlichem Vorbild anstreben, sondern von Islamisten unterschiedlicher Spielarten - von der vergleichsweise moderaten Ennahda in Tunesien über die Moslembrüder in Ägypten bis hin zu den Salafisten und militanten Dschihadisten. Die Veränderungen in Arabien berühren die Interessen zahlreicher Staaten - der USA, Rußlands, der Türkei, des Iran; teilweise auch europäischer Staaten wie Frankreich und England. Folglich versuchen sie Einfluß auf den Gang der Ereignisse zu nehmen; von propagandistischer Unterstützung über die Lieferung von Waffen bis hin zum militärischen Eingreifen, wie im Fall Libyen und demnächst möglicherweise in Syrien (siehe Assads Chemiewaffen: Wann würde der Westen intervenieren?; ZR vom 25. 7. 2012).
Stattdessen bedient man uns mit dem Klischee von den bösen Tyrannen und den guten Freiheitskämpfern (siehe Christen in Syrien und "radikalislamische Freiheitskämpfer"; ZR vom 24. 7. 2012). Statt die Ziele der beteiligten Akteure innerhalb und außerhalb des jeweiligen Landes zu analysieren, wird ausführlich erörtert, wer nun welches Massaker zu verantworten habe.
Warum ist das so?
Die zynische Antwort lautet: Die Journalisten verkaufen den Konsumenten das, was sie haben wollen. Die Leser von "Spiegel-Online", die Zuschauer der "Tagesschau" sind nicht an politischen Hintergründen interessiert, sondern sie wollen ihre Klischees bestätigt sehen: In der Politik steht immer Gut gegen Böse; und wir müssen den Guten helfen und die Bösen bestrafen.
Die Bösen sind jetzt die Führer des Arabischen Sozialismus. Vor zehn Jahren war es noch Präsident Bush, der einen dieser Führer, den Stalin-Bewunderer Saddam Hussein, stürzte. Die Zuordnung der Rollen wechselt; aber Gut gegen Böse muß es sein. Der Konsument mit seinem naiven Weltverständnis will es nicht anders.
Diese zynische Antwort ist vielleicht nicht falsch; aber sie ist wohl nicht die vollständige Antwort. Zwei weitere Faktoren dürften hinzukommen:
Erstens das, was Kraus "sträfliche Naivität" und "schlichte Ignoranz" nennt. Deutsche Journalisten denken selten in geostrategischen Kategorien; überhaupt in Machtkategorien. Sie sehen und beschreiben das, was sozusagen sinnlich zu erfassen ist - das "Volk" auf der Straße, blutige Massaker, pathetische Deklarationen der Akteure; wie beispielsweise die von Präsident Obama (siehe Der schönste Militärputsch, den es je gab? Mubarak, Obama und Mohamed Hussein Tantawi; ZR vom 12. 2. 2011).
Diese Konzentration auf das konkrete Geschehen, das man filmen, das man anschaulich beschreiben kann, mag wiederum teils den Erwartungen der Konsumenten geschuldet sein; wohl aber auch fehlenden analytischen Fähigkeiten der Journalisten. Wenn Sie den Artikel von Kraus und dazu einige der Analysen von Stratfor gelesen habe, über die ich regelmäßig in der Serie berichte, dann haben Sie mehr verstanden, als wenn Sie täglich "Spiegel-Online" studieren und die Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen verfolgen.
Der andere Punkt ist die Art von Analyse, zu der deutsche Journalisten neigen, wenn sie sich denn auf die analytische Ebene begeben. Viele haben eine linke Grundhaltung, aus der heraus sie die Innenpolitik anderer Länder unter dem Gesichtspunkt von "Herrschenden" und "Volk" sehen, die Außenpolitik als bestimmt durch das Bemühen des "imperialistischen" Westens, sich die Ressourcen anderer Länder anzueignen. Ein Musterbeispiel war die Berichterstattung zum Irakkrieg unter dem Leitgedanken "Blut für Öl" (siehe "Blut für Öl" - Sie erinnern sich?; ZR vom 12. 10. 2010).
Unterfüttert wird diese Haltung durch ein, sagen wir, empathisches Verständnis von Politik; speziell der Außenpolitik des Westens. Ihre Aufgabe wird nicht darin gesehen, die eigenen Interessen zu fördern, sondern das Leid in der Welt zu mindern.
Wenn Sie sich ein aktuelles Beispiel für diesen Journalismus, diese Paarung von mangelnder Analyse und Empathie, ansehen wollen, dann empfehle ich Ihnen den Artikel des stellvertretenden Chefredakteurs Bernd Ulrich in der aktuellen "Zeit". Er befaßt sich mit der Frage, ob der Westen in Syrien militärisch intervenieren sollte, und bringt es fertig, dabei mit keinem Wort auf die Interessen des Westens und auf die Machtverhältnisse im Nahen Osten einzugehen.
Zettel
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