21. Juli 2012

Beschneidung und kein Ende. Geht es denn nicht ein wenig pragmatischer? Muß die Aussteigernation nun auch noch zur Vorhautschutznation werden?

Eigentlich hatte ich gedacht, das Thema sei erledigt: Deutschland wird sich nicht zum Gespött der Welt machen, indem es als einziges Land auf diesem Erdenrund die Beschneidung verbietet; wir werden nicht zur "Komikernation" (so die Kanzlerin) werden wollen.

Ein Kölner Gericht hatte ein Urteil gefällt, das juristisch vermutlich korrekt war und auf eine Gesetzeslücke aufmerksam machte; auch auf einen Wertekonflikt, über den man durchaus streiten kann (siehe Religiöse Beschneidung erlauben oder verbieten?; ZR vom 27. 6. 2012). Der Bundestag ist nun aber bereit, diese Gesetzeslücke zu schließen, und er hat am vergangenen Donnerstag mit breiter Mehrheit eine entsprechende Erklärung verabschiedet.

Ist damit eigentlich nicht alles geklärt, alles gesagt? Man sollte es meinen. Aber es ist nicht so.

Bei "Zeit-Online" findet man derzeit unter der Überschrift "Meistkommentiert":
  • 1.BUNDESTAG Abgeordnete fordern Schutz von religiösen Beschneidungen (708 Kommentare)

  • 2.BECK "Auch der Atheismus kann fundamen­tali­stische Züge annehmen" (407 Kommentare)

  • 3.BESCHNEIDUNG Wie es zu dem Beschneidungs-Urteil kam (325 Kommentare)
  • Auch das zweitplazierte Interview mit Volker Beck befaßt sich, wie die Artikel an erster und an dritter Stelle, mit diesem Thema; nämlich mit Becks "vehemente[m] Einsatz für die Beschneidung".

    Ja nun, Volker Beck. Was immer er sagt, unter "vehementem Einsatz" tut er es nicht, dieser gestandene Politprofi, der wie kein Anderer im Bundestag den Naiven, den Empörten, den immer irgendwie Betroffenen zu geben vermag.

    "Ich erschrecke mich da oft", gibt er im Gespräch mit Mariam Lau zu Protokoll. Mal erschreckt er sich, mal empört er sich. Eine rationale Argumentation habe ich von diesem Mann noch nicht gehört oder gelesen. Im jetzigen Fall ist er dafür, die Beschneidung rechtlich zu erlauben. Vehement, wie anders.

    Aber auch eine eigentlich klar denkende Autorin hat sich zu Wort gemeldet, Bettina Röhl.

    Sie legt sich ins Zeug, fast wie auf der anderen Seite Beck. Und während ich von Beck nichts Anderes erwartet hatte, bin ich über Röhls Kommentar einigermaßen konsterniert.

    Bettina Röhl tut es nicht unter dem Grundgesetz:
    Die Frage ist, ob das Grundgesetz dem Kinderschutz Vorrang vor Elternrecht und Religionsfreiheit einräumt. Wenn es so sein sollte, wofür vieles spricht, dass eine religiöse Beschneidung von Kindern in Deutschland vom Grundgesetz verboten ist, dann stünden sich in diesem laizistischen Staat Recht und Religion in dieser Frage unversöhnlich gegenüber.
    Ja, wenn. Aber wer will denn entscheiden, was in diesem Fall der Kinderschutz gebietet? Gebietet er nicht vielleicht, daß ein Kind so aufwachsen darf wie die anderen Kinder in seiner Religionsgemeinschaft? Daß es nicht dadurch stigmatisiert wird, daß es das nun einmal übliche Merkmal der Zugehörigkeit nicht an sich trägt?

    Gebietet, um ein anderes Beispiel zu nehmen, der Kinderschutz, daß ein Kind geimpft werden darf - auch das ja ein (mitunter tödlicher) Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, oder verbietet er das?

    Wann sollte denn überhaupt der Staat das Recht haben, in das Erziehungsverhalten der Eltern im Namen des "Kinderschutzes" einzugreifen? Wann - und warum eigentlich? - weiß der Staat besser als die Eltern, was dem Kind guttut; dem Kind, das immerhin von seinen Eltern aufgezogen wird, und nicht vom Jugendamt?



    Wie ich es in meinem ersten Artikel zu diesem Thema geschrieben habe: Ich habe zu diesem Kölner Urteil keine Meinung.

    Ich würde mir wünschen, daß Juden und daß Moslems aufgeklärt genug sind, um auf die archaische Sitte eines körperlichen Eingriffs zum Zeichen der Religionszugehörigkeit zu verzichten. Aber ich sehe nicht, wie der Staat befugt sein sollte, seine Bürger zur Vernunft zu erziehen. Es gibt nun einmal archaisches Denken.

    Soweit ich das beurteilen kann, hat das Kölner Landgericht die gegebene Rechtslage korrekt interpretiert. Diese kann der Bundestag ändern; und offenbar wird er es tun. Dann ist das eben die neue Gesetzeslage.

    Der Fall ist Anlaß, über Mancherlei nachzudenken - über das Elternrecht und dessen Grenzen; über Religionsfreiheit und deren Grenzen; auch allgemein darüber, wann überhaupt der Staat das Recht haben sollte, ins Leben der Bürger hineinzuregieren.

    Aber für Ereiferung, für Vehemenz, für Stellungnahmen wie die von Beck und Röhl, die gleichermaßen kein Verständnis für die Gegenposition erkennen lassen, taugt dieses Thema überhaupt nicht.

    Wenn der Bundestag jetzt die Gesetzeslage der gängigen Praxis anpaßt, dann handelt er pragmatisch, also vernünftig.

    Wir Deutschen, die wir gerade eben durch die "Energiewende" das weltweite Allein­stellungs­merkmal einer Nation von versponnenen Ideologen erworben haben, brauchen ja nicht schon wieder ein Thema, bei dem wir uns gegen den Rest der Welt entscheiden.
    ­
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Die Beschneidung Jesu. Gemälde von Avelar Rebelo (1651).