16. März 2022

Herr Musk twittert auf Russisch (und Ukrainisch)



(Netzfund)

"'Große wissenschaftliche Ausgabe?' (Oh, ich weiß schon, was die Brüder so nennen: wenn sie uns zu dem Kind noch die placenta servieren!" – Arno Schmidt, Brand’s Haide (1951)

Auch die Aufgabe des gewissenhaften Philologen, des Hieronymus im Gehäus der Letternwüsten, unterliegt, so kann es mitunter scheinen, einem zeitgeistlichen Paradigmenwechsel. Während die Aufgabe des „klassischen Philologen“ etwa darin bestand, die vom Namenspatron dieses Netztagebuchs genannten Opera omnia zusammenzustellen, zu erläutern und zu klären, was wohl Homer gemeint haben könnte, als er in der Ilias und der Odyssee vom „weinfarbenen Meer“ - οἶνοψ πόντος – sprach und warum er den Himmel an keiner Stelle „blau“ (auf altgriechisch: γαλανό) nennt. Stattdessen findet sich bei ihm das Epitheton ornans χάλκεος, „Bronze“ oder „bronzefarben.“ William Gladstone hat das 1858, lange bevor er das Amt des englischen Premierministers bekleidete, damit zu erklären versucht, „die ollen Griechen“ seien halt samt und sonders farbenblind gewesen.

Wie dem auch sei: mit dem Aussterben der klassischen humanistischen Bildung ist man, wenn man diese spezielle Narrenkappe trägt, froh, wenn einem die (post-)modernen Kommunikationsmittel die Gelegenheit bieten, mit seinem Füllhorn des nutzlosen Wissens eine kleine erläuternde Fußnote zu irgendeinem kryptischen, rätselhaften Wellenschlag liefern zu können, der ein kurzes Kräuseln an der Oberfläche der diversen Dorfteiche namens „Facebook,“ „Instagram“ oder „Twitter“ im „Global Village“ ausgelöst hat. Vier Monate, nachdem es an dieser Stelle hieß „Herr Musk twittert auf Chinesisch“ (Zettels Raum vom 4. November 2021) hat der reichste Mann der Welt gestern, am Montag, den 4. März 2022, wieder einmal Gelegenheit dazu geboten – und darüber hinaus das Urteil bestätigt, wonach es sich beim Firmenchef von SpaceX nach dem Ausschluß des vorherigen Champions Donald „Orange-Man-Bad“ Trump von Facebook und Twitter um den unangefochtenen König in dieser Disziplin handelt. Elon Musk hat gestern auf Twitter dem gegenwärtigen RL-Wiedergänger von Sauron im dunklen Turm von Barad-dûr im Lande Mordor – Wladimir Wladimirowitsch Putin in der Zitadelle (russisch Кремль) von Moskau im Lande der Rus‘ – das Angebot gemacht, den Konflikt um das im Westen gelegende Land Gondor ganz nach dem Vorbild der alten Heldenepen zu entscheiden: durch einen Kampf Mann gegen Mann, bzw. Recke gegen Recke. (Isengard, Heimstatt von Saurons Verbündetem und Vasallen Saruman in Tolkiens „sekundärem Kosmos“ entspräche in dieser Sicht der Weltlage Weißrussland und seinem Potentaten Lukaschenko).

I hereby challenge Владимир Путин to single combat

Stakes are Україна

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“Ich fordere hiermit Wladimir Putin zum Zweikampf heraus. Der Einsatz ist die Ukraine.“ (Man beachte, daß das „i“ in „Ukraine“ das in der dortigen Landessprache gebräuchliche „I“ mit einem Trema ist, das in der russischen Variante des kyrillischen Alphabets nicht verwendet wird.)



Wenig später bekräftigte Musk seine Offerte mit zwei Folge-Tweets: „Вы согласны на этот бой? @KremlinRussia_E“ („Stimmen Sie dem Kampf zu?“) und: „I am absolutely serious.“



Bei vielen Kommentatoren im Weltnetz hat dies durchaus Unmut hervorgerufen: als unangemessene Frivolität angesichts des Blutzolls der barbarischen, tatsächlich stattfindenden Invasion der Ukraine und des faktischen Ratlosigkeit des Westens, mit welchen Mitteln man dem Krieg, der bis vor drei Wochen in dieser Form in Europa völlig undenkbar erschien, ein schnelles Ende bereiten kann. Auch meine Parallele zur Konstellation im „Herrn der Ringe“ kann man so ächten. Allerdings ist Tolkiens Fantasy-Epos von zahllosen seiner frühen Leser als eine Allegorie auf den Zweiten Weltkrieg, auf die Bedrohung durch den Faschismus und den opfervollen Sieg darüber gelesen worden – auch wenn sich sein Autor später vehement gegen eine solche Vereinnahmung gewehrt hat.

Es gibt aber noch ein anderes literarisches – und historisches – Echo, das in dieser Kurzbotschaft mitschwingt. Oder die zumindest dieser gelegentliche Chronist des Weltlauf hier als Beiklang ausmacht, ob zu Recht oder nicht. Daß Elon Musk ein leidenschaftlicher Leser der Art der spekulativen Literatur ist, die wir seit nun gut neunzig Jahren als Science Fiction kennen, dürfte bekannt sein. Die exzentrischen Namen, die die unbemannten Schiffe tragen, die als schwimmende Landeplattformen für die Startstufen der Falcon“-Raketen dienen, die seit Jahresbeginn im Wochentakt den Aufbau des Satellitennetzes Starlink vorantreiben – „Just Read the Instructions,“ „Of Course I Still Love You“ und „A Shortfall of Gravitas“ – verdanken sich den Raumkreuzern der „Kultur“ in Iain M. Banks (1954-2013) gleichnamigem Zyklus von Space-Opera-Romanen; genauer, dem zweiten Band „The Player of Games“ aus dem Jahr 1988.

Und ebenfalls in einem kleinen Werk aus diesem Genre dürften Leser dieses Genres der historischen Remineszenz begegnet sein: in Mike Resnicks Kurzgeschichte „Mwalimu in the Squared Circle,“ die zuerst in der März-Ausgabe 1933 im „Isaac Asimov’s Science Fiction Magazine“ erschien und im folgenden Jahr in Gardner Dozois‘ elften Band seiner jährlichen Blütenlese der besten Kurztexte des Genres, The Year’s Best Science Fiction, nachgedruckt wurde.



Resnick, im März 1942 geboren und im Januar 2020 gestorben, hatte sich nach zwei kurzen Taschenbuchveröffentlichungen zum Thema „Schwert-und-Magie“ Ende der sechziger Jahre zunächst einmal als Züchter von Rassehunden einen soliden Wohlstand erarbeitet, bevor er Mitte der achtziger Jahre zum Genre zurückkehrte und zahlreiche Romane veröffentlichte, die, zumeist ohne großen literarischen Anspruch, gekonnt Versatzstücke der klassischen Abenteuerliteratur, des „Hard-Boiled“-Krimis und des galaktischen Abenteuers miteinander verwoben, oft ironisch augenzwinkernd und oft, ohne das Genre als anspruchslose Unterhaltungsliteratur „dekonstruieren“ zu wollen, die Klischees brutal auf den Kopf stellend. Besonderem Gewicht kam dabei der Faszination des Autors für Afrika, besonders das Afrika der Zeit nach der Entkolonialisierung zu, das Resnick seit den siebziger Jahren fast jedes Jahr besucht hatte und über dessen dunkle Seiten und hemmende Traditionen er sich keine Illusionen machte. In Romanen wie „Ivory“ (1988) oder die drei Bände der „Oracle“-Trilogy („Oracle,“ „Soothsayer“ und „Prophet“ – ab 1991) oder der mit den beiden höchsten Genre-Auszeichnungen – dem Hugo und dem Nebula Award - bedachten Novelle „Seven Views of Olduvai Gorge“ (1994) – machte Resnick das Panorama Afrikas von der Wiege der Menschheit bis zu einer durchtechnifizierten Vision kommender Jahrhunderte „zu seinem eigenen Thema.“ Zu wirklich kontroversen Reaktionen führte dann, ab Ende der 1980er, der Zyklus der Kurzerzählungen der „Kirinyaga“-Serie, in der es um die Gestalt des traditionellen Medizinmanns und Stammeshäuptlings Koriba geht, der in der künstlichen Veldt-Landschaft einer Raumstation die „traditionelle Lebensweise“ seines Kikuju-Stammes zu bewahren sucht, indem er rigoros jeden Einbruch der technologischen Moderne ausmerzt, die Stammesmitglieder bewußt in Unkenntnis darüber läßt, daß sie im Grunde eine „Völkerschau“ darstellen, mißgebildete Neugeborene tötet, sich an Omen orientiert und sich am Ende doch eingestehen muß, daß sein Streben nichts als genau das Elend und Leiden verursacht hat, das er in der „fremden Moderne“ gefürchtet hat und durch das blinde Hochhalten der „heiligen Tradition“ vermeiden wollte. Da die Figur des Koriba so angelegt ist, daß er seine Grausamkeiten mit dem besten Gewissen der Welt verübt, sah sich Resnick heftiger Kritik von Seiten düpierter Leser ausgesetzt: nein, dessen Weltsicht sei nicht die seine, er stünde nicht auf der Seite von Aberglauben und Ignoranz: „Guys – my name is not Koriba!“



Und vor diesem afrikanischen Hintergrund spielt auch die erwähnte „Mwalimu in the Squared Circle“ – in der Resnick einen möglichen alternativen Geschichtsverlauf schildert, den die amerikanischen Reporter Dan Wooding und Ray Barnett in ihrem Buch „Ghosts of Kampala“ von 1980 schildern, die in den beiden Jahren zuvor als Augenzeugen den Ausbruch und den Verlauf des Krieges zwischen Uganda unter Präsident Idi Amin und Tansania unter Julius Nyerere miterlebt hatten. Der Konflikt, der im Oktober 1978 zu einem offenen Krieg wurde, führte dazu, daß Amin ein halbes Jahr später gestürzt wurde und die letzten 24 folgenden Jahre bis zu seinem Tod im Oktober 2003 im Exil in Saudi-Arabien verbachte. Das Zitat aus „Ghosts of Kamapala,“ das Resnick seiner Erzählung voranstellte, lautet:

Als die tansanischen Kräfte mit ihrem Gegenangriff begannen, machte Amin einen irrsinnigen Vorschlag, um den Konflikt zu beenden. Er erklärte, daß die Angelegenheit im Boxring geklärt werden sollte. ‚Ich halte mich fit, damit ich Präsident Nyerere im Boxring herausfordern kann und daß wir das dort austragen können, du unsere Soldaten nicht ihr Leben auf dem Schlachtfeld verlieren müssen.‘ Amin fügte hinzu, daß Mohammed Ali der ideale Schiedsrichter für den Kampf sein würde, und daß er, Amin, als ehemaliger Schwergewichtsmeister von Uganda, den kleineren, weißhaarigen Nyerere ein Handicap anbieten würde, indem er sich einen Arm auf dem Rücken fesseln lassen und mit Gewichten an den Füßen antreten würde.“




(In besseren Zeiten: Idi Amin und Julius Nyerere 1978)

Auf den sechzehn Seiten seiner Erzählung schildert Resnick, wie es dem damals 58-jährigen Nyerere, dessen Ehrenname „Mwalimu“ im Swahili „Lehrer“ (im Sinne von „…der Nation“) bedeutet, nach der Annahme dieser Herausforderung ergeht – wie er sich sicher ist, daß er den Kampf gegen den fast einen Zentner schwereren Gegner nicht lebend überstehen wird, aber bereit ist, sein Leben für sein Land – oder das seiner Soldaten – hinzugeben. „,Als ich zum ersten Mal die Episode gelesen habe, war mir klar, daß ich eine Erzählung schreiben mußte, in der Amins alberner Vorschlag tatsächlich angenommen wurde,“ schreibt Resnick im Nachwort zum Abdruck der Geschichte in der Anthologie „Alternate Warrior“ von 1993, für die der Text ursprünglich verfaßt wurde. „Bei der ersten Fassung hatte ich vorgehabt, die Sache als groteske Slapstickkömodie durchzuspielen – bis mir beim Schreiben auffiel, daß hier viel ernstere und tiefergehende Fragen anklangen.“ (Der vollständige Text der Erzählung kann hier nachgelesen werden.)

Amins Erwähnung von Muhammad Ali als idealem Ringrichter zeigt, welches Match ihm hier als Inspiration gedient hat: das legendäre „Rumble in the Jungle“ in Kinshasa fünf Jahre vorher, in dem der frühere Cassius Clay und frühere Weltmeister im Schwergewicht seinen Titel gegen den amtierenden World Champion George Foreman wieder gewann, nachdem er ihm sieben Jahre zuvor aberkannt worden war. Es war nicht nur die erste in Afrika ausgetragene Sportveranstaltung, die die Aufmerksamkeit der gesamten Welt auf sich zog; es war auch der erste Bruch mit der seit 100 Jahren geltenden eisernen Regel „They Never Come Back.“

(Der kleine Pedant präzisiert, daß im Verlauf der Krieges zwischen Tansania und Uganda auf ugandischer Seite gut 400 Soldaten und 1500 Zivilisten den Tod fanden sowie 600 Soldaten der 1500 Mann des Expeditionskorps, das Gaddafi aus Libyen zur Verstärkung entsandt hatte; auf tansanischer Seite 1000 Soldaten und 500 Zivilisten. Der Krieg war nach sich stetig steigernden Verletzungen des jeweiligen Luftraums ab dem 12. Oktober am 2. November mit der Kriegserklärung Tansanias an Uganda in die heiße Phase eingetreten und ein Bataillon 15 km weite auf ugandisches Staatsgebiet vorgestoßen war; Amins „Vorschlag“ erfolgte am 5. November 1978 im ugandischen Staatsrundfunk.)

Nein, natürlich werden Владимир Владимирович und Herr Musk nicht ihre Kräfte im „eckigen Ring“ messen. Aber man darf daran erinnern, daß auch hinter solchen vermeintlich schalen Scherzen mitunter mehr verborgen liegt, als es auf den ersten Blick scheint. Und ob es Herrn Musk zusteht, sich derlei zu erlauben? Dazu sollte man sich daran erinnern, daß der stellvertretende Ministerpräsident der Ukraine, Mychaijlo Fedorow, am 26. Februar, am dritten Tag der russischen Invasion, in einem Tweet an Elon Musk die Bitte richtete:



@elonmusk, while you try to colonize Mars — Russia try to occupy Ukraine! While your rockets successfully land from space — Russian rockets attack Ukrainian civil people! We ask you to provide Ukraine with Starlink stations and to address sane Russians to stand.


und die Antwort Musks, keine 10 Stunden später, lautete:



Starlink service is now active in Ukraine. More terminals en route.


Die erste Lieferung der Antennenschüsseln für die Starlink-Satellitensignale traf zwei Tage später, am 28. Februar, in der Ukraine ein.



Wer so, „auf einen Knopfdruck,“ die Kommunikationstruktur eine angegriffenen Staates sichert und damit mehr bewirkt als alle Talkshowrunden, Hashtags und blauweiße Flaggen im Avatar, dem steht dieses Recht allemal zu.

PS.



U.E.

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