23. August 2010

Marginalie: Blick hinter die Kulissen der Machtpolitik. Vincent Jauvert recherchiert über François Mitterand

Vincent Jauvert ist außenpolitischer Redakteur des französischen Nachrichtenmagazins Le Nouvel Observateur mit einer besonderen Neigung für's Geheime; ich habe immer einmal wieder über seine Recherchen und Analysen berichtet (siehe z.B. So hat er's gemacht; ZR vom 7. 5. 2008).

Jetzt hat Jauvert wieder einen Coup gelandet: Er ist nach Washington geflogen und hat in den dortigen Archiven nach bisher Geheimem aus der Geschichte der französisch-amerikanischen Beziehungen geforscht. Dazu schrieb er für den Nouvel Observateur zwei Artikel, die er gestern in seinem Blog ins Netz gestellt hat.

Darin finden sich zahlreiche Belege für den immer schon vermuteten, aber noch nie so direkt nachgewiesenen Machiavellismus von François Mitterand; des "Florentiners", wie man ihn deshalb genannt hat. Er war ein Zyniker der Macht, und er beherrschte das skrupellose Machtspiel in der besten - oder, wenn man will, schlimmsten - Tradition von Richelieu und Talleyrand.

Ein Beispiel:

Am 24. Juni 1981, einen Monat nachdem Mitterand Staatspräsident geworden war, schickte Präsident Reagan seinen Vize George Bush nach Paris, um herauszufinden, welchen Kurs die neue Regierung steuern werde.

Der Besuch ließ sich schlecht an, denn am Morgen desselben Tages war bekanntgegeben worden, daß der neuen Regierung vier Kommunisten angehören würden.

Wie sollte Bush - er war einmal Chef der CIA gewesen - reagieren? Seine Berater rieten zur größten Vorsicht; man wollte jeden Anschein einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs vermeiden. Bush würde das Thema erst einmal meiden.

Mitterand kam aber von sich aus darauf zu sprechen und enthüllte Bush seine Pläne mit den Kommunisten. Der Staatspräsident laut dem von Jauvert aufgefundenen Protokoll zu Bush:
Avoir des ministres communistes au gouvernement leur fait perdre leur originalité. Ils devraient donc être de moins en moins capables de rallier des voix au-delà [de leur électorat de base]. (...) Ils vont rester longtemps au gouvernement, se cramponnant à leur postes, et leur érosion sera grande.

Minister der Kommunisten im Kabinett zu haben, nimmt diesen ihre Originalität. Sie werden also immer weniger in der Lage sein, Stimmen [über ihre Stammwählerschaft] hinaus zu gewinnen. (...) Sie werden lange in der Regierung bleiben, sich in ihren Ämtern festkrallen, und sie werden eine große Erosion erfahren.
Und wie stand es mit militärischen Geheimnissen angesichts von vier Kommunisten im Kabinett?

Mitterand hatte zwar dem Kommunisten Charles Fiterman das Verkehrsministerium gegeben; damit waren die notorisch streikbereiten kommunistischen Eisenbahner ruhiggestellt. Aber zuvor hatte Mitterand diesem Ministerium alle militärisch relevanten Kompetenzen entzogen. Anders als seine Vorgänger war Fitermann nicht für die Ferngasleitungen der Nato zuständig; auch verweigerte man ihm den Einblick in die Mobilisierungspläne für die Eisenbahnen im Kriegsfall.

Bush war beruhigt und - so meldete es später der französische Botschafter in Washington nach Paris - "baff" (épaté) über so viel Machiavellismus.



Ein weiteres Beispiel, diesmal aus der Außenpolitik:

In den letzten Jahren der Regierung von Mitterands Vorgänger Giscard d'Estaing hatte es eine - so Jauvert - "ultrageheime" nukleare Zusammenarbeit zwischen Paris und Washington gegeben; die Amerikaner hatten Frankreich wesentlich beim Aufbau seiner force de frappe, seiner Atomstreitmacht, geholfen ("Operation Apollo"). Giscard informierte Mitterand erst am Tag der Amtsübergabe darüber.

Wie sollte Washington nun gegenüber einer Regierung verfahren, in der Kommunisten saßen? Die USA erklärten sich unter zwei Bedingungen zur Fortsetzung der Operation Apollo bereit: Erstens müßte Frankreich garantieren, daß auch weiter strikte Geheimhaltung gelte. Zweitens verlangten die Amerikaner, daß die Außenpolitik Frankreichs in den großen Linien auch weiterhin mit derjenigen der USA übereinstimmen werde.

Nachdem das Anfang Januar 1982 so vereinbart worden war, erfuhr die CIA, daß wenige Tage zuvor Frankreich ein Waffenlieferungs-Abkommen mit den sandinistischen Rebellen in Nicaragua geschlossen hatten.

In der US-Regierung schäumte man vor Wut: Ausgerechnet im Hinterhof der USA bewaffnete die französische Regierung deren Erzfeinde. Die nukleare Zusammenarbeit im Rahmen der Operation Apollo wurde sofort außer Kraft gesetzt. Im übrigen würde man abwarten, bis Mitterand nach Washington kommen und eine Erklärung für das Verhalten seiner Regierung liefern werde.

Mitterand ließ sich Zeit; erst am 12. März erschien er mit einer kleinen Delegation in Washington. Beim Arbeitsessen ging Präsident Reagan ohne lange Vorrede auf das Thema los: Die USA würden keine Kommunisten "südlich des Rio Grande" dulden. Entweder Frankreich mache den Waffenhandel rückgängig, oder die USA würden die Operation Apollo beenden.

Und wie reagierte Mitterand? Mit einem wirklich bemerkenswerten Zynismus. Er sagte Reagan, Verträge seien Verträge, und Frankreich müsse also die Waffen liefern. Weitere Lieferungen werde es nicht geben. Und was die jetzt vereinbarten anginge: Frankreich würde der CIA rechtzeitig Zeit und Ort der Waffenübergabe mitteilen. Die Amerikaner könnten dann alles zur Sabotage tun, was sie für richtig hielten.



Was die Kommunisten anging, funktionierte Mitterands Zynismus übrigens bestens. Bei den Wahlen im Juni 1981, also unmittelbar nach dem Amtsantritt Mitterands, hatten die Kommunisten noch 16,13 Prozent der Stimmen erreicht. Mitterand amtierte bis 1995. Bei den ersten auf das Ende seiner Amtszeit folgenden Wahlen, im Mai 1997, erhielten die Kommunisten noch 3,83 Prozent.



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