23. Juli 2012

Marginalie: Wie warm waren die letzten Sommer? Wie kalt die letzten Winter? Das hängt von der politischen Einstellung ab. Jedenfalls in den USA

Anders als in Deutschland gehört es in den USA nicht zum vorgeblichen Allgemeinwissen, daß es eine menschen­gemachte globale Erwärmung (anthropogenic climate change, ACC) gibt. Manche Amerikaner halten das für sicher, andere nur für wahrscheinlich. Viele sehen keinen hinreichenden Grund, daran zu glauben.

Die Prozentwerte für diese einzelnen Gruppen, wie sie von den Demoskopen ermittelt wurden, schwanken je nach der genauen Formulierung der Frage. Pew Research ermittelte beispielsweise im Jahr 2011, daß nur 38 Prozent der Befragten der Thesen vom ACC zustimmten. Allerdings waren insgesamt 63 Prozent der Meinung, es sei in den letzten Jahren wärmer geworden; jedoch führten das 24 Prozent auf natürliche oder unbekannte Ursachen zurück.

In einer Umfrage von Gallup aus dem Jahr 2010 äußerten 48 Prozent die Meinung, die Bedeutung einer globalen Erwärmung werde "weit übertrieben" (greatly exaggerated). Ich habe diese und andere Umfragen damals ausführlich in einem Artikel dargestellt, der sich mit der nachgerade skandalös verfälschenden Berichterstattung von "Spiegel-Online" zu diesem Thema befaßte: Welche Meinung haben die Amerikaner zur "globalen Erwärmung"? Vertrauen Sie nicht "Spiegel-Online". Sie werden desinformiert; ZR vom 11. 6. 2010.

Wie man vermuten kann, ist die Haltung zur Frage einer globalen Erwärmung abhängig von der allgemeinen politischen Einstellung. In einer Gallup-Umfrage vom März dieses Jahres sagten 67 der befragten Republikaner, die Meldungen über eine globale Erwärmung seien "übertrieben", aber nur 20 Prozent der Demokraten.



Soweit ist das so, wie man es erwarten würde: Die Theorie der ACC wird hauptsächlich von Linken und Grünen vertreten, die ohnehin zum Alarmismus neigen. Konservative, in ihrer Mehrzahl skeptisch, sind weit weniger überzeugt. Die einen wie die anderen sind auf Daten angewiesen, die sie in der Regel nicht nachprüfen können; und auf Theorien, die sie nicht wissenschaftlich beurteilen können. Also urteilt man nach allgemeiner politischer Einstellung.

Wie aber steht es, wenn es nicht um solche sich der eigenen Erfahrung entziehende Aussagen geht, sondern um das, was man selbst erlebt hat? Wie warm oder wie kalt es in den vergangenen Jahren am eigenen Wohnort war - das sollte man nach Erfahrung, also objektiv beurteilen können; unabhängig davon, wo man politisch steht.

Aber es ist nicht so.

Ebenfalls im März 2012 fragte Gallup, wie die Temperaturen am eigenen Wohnsitz im vergangenen Winter gewesen seien - kälter als üblich, wie üblich, oder wärmer als üblich?

Dies war auf dem nordamerikanischen Kontinent ein milder Winter gewesen. Von den Republikanern sahen 22 Prozent ihn als "wie üblich", von den Demokraten aber nur 12 Prozent. 84 Prozent der Demokraten nannten ihn "wärmer als üblich", aber nur 73 Prozent der Republikaner.

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß Demokraten im Schnitt in Gegenden der USA wohnen, in denen der Winter 2011/2012 besonders mild ausfiel, und Republikaner eher in Regionen, in denen das nicht der Fall war. Also muß man wohl schließen, daß selbst die Wahrnehmung dessen, was buchstäblich vor der eigenen Haustür passiert, von der politischen Haltung abhängig ist. Die gefühlte Kälte oder Wärme draußen vor der Tür - jedenfalls die Erinnerung daran - wird, so scheint es, mit davon bestimmt, ob man Republikaner oder Demokrat ist.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine kürzlich erschienene wissenschaftliche Untersuchung von Kevin Goebbert und Mitautoren, deren Ergebnisse man vergangene Woche in ars technica lesen konnte:

Die Autoren analysierten 8000 Antworten zum Wetter aus Umfragen aus den Jahren 2008 bis 2011 und verglichen sie mit den tatsächlichen Wetterdaten. Aufgeschlüsselt wurden die Ergebnisse auch in Bezug auf die politische Einstellung der Befragten.

Fragte man nach Überschwemmungen und Dürreperioden, dann stimmten die Antworten gut mit dem tatsächlichen Wetter in der jeweiligen Region überein. Ganz anders fielen die Antworten bei den Temperaturen aus:

Hier korrelierten die Antworten überhaupt nicht damit, wie sich die tatsächlichen Temperaturen in der betreffenden Gegend entwickelt hatten. Ob jemand meinte, daß die Temperatur in den letzten Jahren angestiegen sei, hatte keinen Zusammenhang damit, ob das an seinem Wohnort der Fall gewesen war.

Wohl aber zeigte sich ein statistischer Zusammenhang mit der politischen Einstellung. Befragte mit einer konservativen (individualistischen) Einstellung äußerten eher die Meinung, in ihrer Gegend hätten sich die Temperaturen in den letzten Jahren nicht verändert. Menschen mit einer linken (egalitären) Einstellungen berichteten eher über eine Erwärmung an ihrem Wohnort. Diese Trends bestanden völlig unabhängig davon, ob es in der jeweiligen Region tatsächlich wärmer geworden war oder nicht.

In Deutschland wird man eine solche Untersuchung nicht vornehmen können; denn Menschen, die Zweifel an der ACC haben, sind hier ja, anders als in den USA, eine kleine Minderheit.

Aber machen Sie vielleicht einmal folgenden Test (ich habe ihn kürzlich gemacht): Fragen Sie Ihre Bekannten, wie der letzte Winter in Deutschland war. Wieviele derer, die Sie fragen, antworten korrekt, daß dies in seiner zweiten Hälfte einer der kältesten Winter der letzten Jahrzehnte war, mit dem stärksten Kälteeinbruch seit 1986, mit hunderten von Kältetoten in Europa? ­
Zettel



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