11. Mai 2010

Nach der Wahl in NRW (2): Die vielen Väter der Niederlage. Eine Wahlanalyse

Der Erfolg hat viele Väter, die Niederlage ist Waise, sagt der Volksmund.

Bei den Wahlen in NRW traf das noch nicht einmal für jene fehlende Bereitschaft zu, sich zur Verantwortung für eine Niederlage zu bekennen, auf die diese Volksweisheit gemünzt ist. Im Land selbst hat Jürgen Rüttgers die Verantwortung für die Niederlage übernommen: in Berlin hat mit der Offenheit, die sie auszeichnet, die Kanzlerin erklärt: "Wir haben den Wahlkämpfern in NRW keinen Rückenwind gegeben, sondern Gegenwind".

Betrachtet man nicht, wer Verantwortung übernimmt, sondern wo Ursachen liegen, dann ist erst recht offensichtlich, daß diese Niederlage der schwarzgelben Koalition in NRW viele "Väter", d.h. viele Gründe hat. Sie liegen unterschiedlich weit in der Vergangenheit. Ich beginne mit den jüngsten und gehe dann chronologisch zurück:


1. Die Griechenlandkrise. Auf ihren Einfluß bin ich schon in zwei früheren Artikeln eingegangen (Die Wahlen in NRW als "Volksabstimmung über Griechenland"; ZR vom 9. 5. 2010 und Die Stunde der Wahrheit lag vor dem Wahlsonntag; ZR vom 10. 5. 2010). Daß sich dieser Faktor noch in den Tagen unmittelbar vor der Wahl ausgewirkt hat, zeigt der Vergleich der Umfragedaten aus den letzten Tagen vor der Wahl mit deren Ergebnis. Vor allem die CDU schnitt schlechter ab, als es alle Institute vor der Wahl gemessen hatten.


2. Der Wahlkampf. Noch im März lag Schwarzgelb deutlich vor Rotgrün. Der Wahlkampf war eine Aufholjagd, wie Hannelore Kraft am Wahlabend nicht ohne Recht befand. Dazu trugen verschiedene Faktoren bei:

Zum einen war Jürgen Rüttgers zwar ein ausgezeichneter Ministerpräsident, aber er ist ein schlechter Wahlkämpfer. Diesem melancholischen Mann mit dem meist traurigen Blick fehlte die Fähigkeit, seine Partei zu motivieren; vor allem dann, als es eng zu werden begann. Und eng wurde es, als die SPD und ihre Unterstützer mit allen Tricks und Fouls arbeiteten.

Dazu gehörten Indiskretionen aus dem Regierungsapparat, die offenbar auf "abgegriffenen", also unberechtigt eingesehenen Emails basierten, ebenso wie die künstlich erzeugte "Affäre" am Beginn des Wahlkampfs, bei der gegen Rüttgers die absurde Anschuldigung erhoben wurde, er sei "käuflich", nur weil Spendern der CDU Gespräche mit ihm in Aussicht gestellt worden waren. In den USA würde man über einen solchen "Vorwurf" lachen (siehe Aber der Barack, der läßt sie nicht verkommen; ZR vom 29. 10. 2009).

Damit war die CDU von vornherein in der Defensive, aus der sie während des gesamten Wahlkampfs nicht herauskam. Die massive Unterstützung der Linksparteien durch viele Medien tat ein übriges. Weitere "Affären" wurden aus dem Hut gezaubert, wie eine angebliche "Dienstwagen-Affäre".

Die FDP, die ebenfalls in der schwarzgelben Regierung ausgezeichnete Arbeit geleistet hatte - man denke nur an die Reform der Hochschulen -, konnte mit ihrem ruhigen und sachlichen Spitzenkandidaten, dem Professor Andreas Pinkwart, den Wahlkampf ebenfalls nicht mit dem Schwung erfüllen, der erforderlich gewesen wäre, um diesen Attacken erfolgreich zu begegnen. Zu keinem Zeitpunkt gelang es den beiden Koalitionsparteien, im Wahlkampf die Themen zu setzen.


3. Die "Anderen Parteien". Beim Vergleich zwischen den Umfragedaten und dem Wahlergebnis fällt auf, daß der Anteil der "Anderen" von fast allen Instituten unterschätzt worden war. Mit einer Ausnahme (FG Wahlen am 30. April) lagen die gemessenen Werte zwischen 3 und 5 Prozent; tatsächlich wurden es 6,5 Prozent. Die meisten dieser Stimmen entfielen auf "Pro Köln" und die "Piraten" mit zusammen knapp 3 Prozent; gefolgt von Parteien, die fast alle eher dem bürgerlichen bis rechtsextremen als dem linken Lager zuzurechnen sind.

Mit anderen Worten: Das linke Lager konnte dank der Existenz der Partei "Die Linke" nahezu alle linken Stimmen bündeln, bis weit in den extremen Bereich hinein. Auf der Gegenseite gab es nichts Vergleichbares. Diese Asymmetrie ist ein struktureller Vorteil der Linken, den sie inzwischen bei allen Wahlen hat; jetzt in NRW trat er zu den anderen Faktoren hinzu und verstärkte ihre Wirkung.


4. Das Erscheinungsbild der Koalition in Berlin. Seinen Einfluß hat die Kanzlerin, wie eingangs zitiert, offen zugegeben. Es ist hier nicht der Ort, seine Ursachen zu diskutieren. Ich habe das in den vergangenen Monaten immer wieder getan; siehe zum Beispiel FDP zurück ins Glied; ZR vom 4. 1. 2010; Die schwarzgelben Lemminge; ZR vom 3. 2. 2010 und Zur Strategie und Taktik der FDP; ZR vom 6. 2. 2010.

Im Kern scheint mir das Problem darin zu bestehen, daß die Union nicht das durch den Wahlausgang entstandene große Gewicht der FDP in der Koalition akzeptieren wollte; daß die FDP andererseits aber zu hohe Erwartungen in das gehabt hatte, was in dieser Regierung durchsetzbar sein würde. Man hatte seit 1998 nicht mehr gemeinsam im Bund regiert; man war nicht aufeinander eingespielt. Der Versuch, das Kräfteverhältnis auszutarieren, geriet zu einem Dauerstreit; jedenfalls wurde es so in der Öffentlichkeit wahrgenommen.


5. Das Ergebnis der Wahlen vor fünf Jahren. Am 22. Mai 2005 lag die Regierung Schröder in ihren letzten Zuckungen; kurz nach diesen Wahlen warf Schröder das Handtuch und kündigte den Versuch an, Neuwahlen im Bund zu erreichen.

Daß sich der damalige Erfolg von Schwarzgelb bei den jetzigen Wahlen nicht wiederholen würde, war also abzusehen gewesen. Aber es ist auch nicht so, daß bei den jetzigen Wahlen NRW zur Normalität einer von der SPD geführten Regierung zurückgekehrt wäre.

NRW ist keineswegs das "Stammland der SPD". Sein erster gewählter Ministerpräsident war der Christdemokrat Karl Arnold, und von 1958 bis 1966 regierte der Christdemokrat Franz Meyers; zuerst mit absoluter Mehrheit und später in einer Koalition mit der FDP. Nordrhein-Westfalen ist eben nicht nur das Ruhrgebiet; es gehören auch das katholisch geprägte Rheinland, das katholische Münsterland, die Gegend des einstigen Fürstbistums Paderborn, das Sauerland dazu.

Noch Anfang des Jahres sprach viel dafür, daß auch diese erneute christlich-liberale Koaltion wieder mindestens zwei Legislaturperioden in der Verantwortung bleiben würde. Rüttgers hätte auch in dieser Hinsicht der Nachfolger von Meyers werden können. Die anderen Faktoren haben das verhindert.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen drei Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Bundesarchiv; unter Creative Commons Attribution ShareAlike 3.0 Germany License (CC-BY-SA) freigegeben; bearbeitet.