4. Mai 2010

Was demokratisch ist, muß nicht gut sein, was schlecht ist, nicht illegitim. Anmerkungen zu Rechtsstaatlichkeit und Toleranz. Ein Gastbeitrag von Dirk

Da versucht ein Vizepräsident des Bundestags, einst sogar dessen Präsident, einige unappetitliche Gestalten an der Ausübung eines Grundrechts zu hindern und lobt sich selbst und seine Mitstreiter - so zu lesen auf seiner Homepage - für diese "Courage". Da mußte vor zwei Jahren in Köln eine Demonstration der rechtspopulistischen Vereinigung "Pro Köln" aufgelöst worden - wegen Gewalt auf Seiten der Gegen(!)demonstranten. Der damalige Oberbürgermeister Fritz Schramma feierte das als einen "Sieg der demokratischen Kräfte dieser Stadt".

Wie kam Schramma darauf? Wie kommt Thierse auf die Idee, in der Missachtung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit eine "staatsbürgerliche Pflicht" zu sehen?

Offenbar werden die Begriffe "demokratisch" und "gut" gleichgesetzt. Was gut ist - moralisch gut, politisch richtig usw. -, das muss auch demokratisch sein, und was schlecht ist, so wie die Rechtsextremen und deren Demonstrationen, kann es nicht sein. So sieht es offenbar Thierse; so sehen es viele.

Dabei ist die Demokratie lediglich ein Verfahren und folglich an sich weder gut noch schlecht, was die politischen Inhalte angeht.

Etwas, das "schlecht" ist, kann demokratisch geboten sein, wie etwa Demonstrationsfreiheit für Rechtsextreme. Umgekehrt kann etwas, das demokratisch ist, durchaus zu schlechten Resultaten führen, im Extremfall zur Machtergreifung durch Extremisten. Demokratie allein ist kein Garant für "gute" Ergebnisse, was auch immer der moralische oder politische Maßstab dafür sein mag.

Genau aus diesem Grunde gibt es die Grundrechte, die dem Verfahren Schranken setzen. Diese geringzuschätzen offenbart ein fundamentales Unverständnis des Wesens unseres Staates, den zu schützen man vorgibt.



Die genannten beiden Beispiele sind allerdings nur besonders deutliche Anzeichen für ein grundsätzlicheres Phänomen: Offenbar unterscheiden viele Bürger und Politiker nur auf der moralischen Dimension, nur zwischen "gut" und "schlecht", und erwarten vom Staat, daß er sein Handeln daran orientiert: Was gut ist, das muss staatlich verordnet, mindestens aber subventioniert werden; seien es Kindertagesstätten oder Energiesparlampen. Und was schlecht ist, das gehört verboten - je nach Couleur Burka, Diskriminierung, Killerspiele, Rauchen oder Fast Food.

Manchmal vernimmt man zwar Zwischentöne, meist mit Verweis auf befürchtete Folgen für den Arbeitsmarkt. Was jedoch fast gänzlich fehlt, ist die zweite Dimension: Die Frage nach der Legitimität und Illegitimität von Handlungen. Was gut ist, ist nicht automatisch auch zulässig. Und umgekehrt: Was man schlecht findet, muss man nicht unbedingt mit Gewalt unterdrücken. Das ist die Idee der Toleranz.

In seiner ursprünglichen Bedeutung meint der Begriff der Toleranz nicht, dass man etwas akzeptiert oder gar gern hat, dass man für Offenheit, Vielfalt oder "Multikulti" ist. Toleranz bedeutet vielmehr, dass man etwas erduldet, dass man etwas erträgt. Folglich kann man nur etwas tolerieren, das einem Unbehagen bereitet. Tolerant gegenüber Ausländern kann im Grunde nur ein Rechtsextremer sein. Man findet etwas schlecht, verzichtet aber auf Gewaltanwendung, auch und insbesondere auf Staatsgewalt. Das ist Toleranz; der Ökonom Robin Hanson hat kürzlich in seinem Blog "Overcoming Bias" wieder einmal darauf aufmerksam gemacht.

Offenbar muß immer wieder darauf aufmerksam gemacht werden. Denn für eine solche differenzierte Sicht scheinen viele nicht zugänglich; jedenfalls taucht sie in der öffentlichen Diskussion höchstens am Rande auf. Wer für Solidarität ist, der müsse auch für jede sozialstaatliche Maßnahme sein; so wird es offenbar unterstellt. Und wenn Tourismus toll ist, warum ihn dann nicht gleich zum Menschenrecht erheben?

"Der Zweck heilige die Mittel" möchte man sagen; aber das wäre ungenau, denn das hieße ja, dass man sich über die Wahl der Mittel wenigstens Gedanken macht und sich bewusst ist, dass manche einer besonderen Rechtfertigung bedürfen. Das ist aber nicht der Fall.

Mit interessanten Konsequenzen. Denn wenn es nur gut und böse gibt, manche Wege aber zu unerwünschten Folgen führen können, dann müssen zur Vermeidung solcher Folgen diese Wege selbst für böse erklärt werden. Krieg, zum Beispiel, ist daher für viele schlecht per se, unter welchen Umständen auch immer.

Aufklärung ist also notwendig. Als Liberaler sollte man immer wieder klar machen, dass die Frage der Legitimität eine andere ist als die Frage, ob etwas wünschenswert ist oder nicht. Man kann das Ziel verurteilen und trotzdem die Legitimität des Strebens nach diesem Ziel bejahen. Man kann für das Ziel eintreten, ohne daraus abzuleiten, daß der Staat es anstreben müsse.

Man kann eine Demonstration, wie übrigens auch einen Moscheebau, bedauern und gleichzeitig hinnehmen. Ohne Schärfung des Sinns für diese zweite Dimension jedoch wird Freiheit mit Werte- und Profillosigkeit verwechselt. Liberale Programmatik scheitert dann bereits an einem Kommunikationsproblem.



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