27. Mai 2010

Kurioses, kurz kommentiert: Günter Wallraff wurde Opfer eines Fakes. Darf man da lachen?

Nein, eigentlich darf man natürlich nicht lachen, wenn jemand Opfer einer Straftat wurde; eines Raubs am hellichten Tag in diesem Fall, auf sozusagen offener Szene.

Aber ich mußte lachen, als ich die Episode erst in der FAZ beschrieben gelesen habe und dann, ausführlicher, in El País, dem spanischen Pendant zur FAZ.

Also, da saß am vergangenen Samstag dieser Meister des Trügens und Täuschens - laut El País "uno de los grandes del periodismo de infiltración en las más deleznables cloacas de Europa"; einer der Großen des Einschleich-Journalismus in den dürftigsten Kloaken Europas - in Barcelona auf der Terrasse des Park Hotel Barcelona in der Calle Marqués de Argentera; drei Sterne, Zimmerpreise um die 100 Euro pro Nacht.

Er saß da zusammen mit seinem spanischen Übersetzer, um über ein Buch zu reden, dessen spanische Ausgabe demnächst im Verlag Anagrama erscheinen soll.

Dann spielte sich der Fake ab: Jemand stolperte theatralisch über einen Stuhl, es gab ein kleines Spektakel, alles blickte dorthin; und als die Unruhe sich wieder gelegt hatte, war die Tasche weg, die Wallraff unter seinen Tisch gestellt hatte. Also ein klassischer Trick. Der berufsmäßige Faker Wallraff war auf einen Fake hereingefallen

Das finde ich lustig. Ich kann diese Schadenfreude damit rechtfertigen, daß, evolutionsbiologisch gesehen, das Lachen wohl zuerst eine Reaktion auf ein Mißgeschick gewesen sein dürfte, das einem anderen widerfährt (siehe Chaplin, Schmidt, Borat. Bemerkungen zum Lachen und zum Humor; ZR vom 9. 12. 2006). Aber ich will gern einräumen, daß meine Reaktion auch durch die tiefe Abneigung motiviert ist, die ich gegen Wallraffs Art von windigem Journalismus empfinde; siehe Wallraff der Lügner, zum zweiten; ZR vom 19. 10. 2009.



Das ist aber noch nicht die ganze Geschichte. Das Kuriose kommt noch, und es paßt zu Wallraff. Im Artikel von El País steht im wesentlichen das, was ich berichtet habe. Der Autor des Artikels in der FAZ, Paul Ingendaay, hat aber offensichtlich von Günter Wallraff weitere Informationen erhalten. Oder vielmehr: Er hat sich Wallraffs Lamento anhören dürfen:
Der Verlust ist für Wallraff eine Katastrophe. All die Leute, die ihn schriftlich um Hilfe gebeten haben: Ihre Briefe sind weg. "Ich warte darauf", sagt er, "dass sie sich irgendwann wieder enttäuscht oder erzürnt an mich wenden." (...)

Jetzt also heißt es: warten. Vielleicht liest ein Straßendieb Zeitung. Vielleicht sogar diese Zeitung, man will es nicht ausschließen.
Nein, das wollen wir doch ganz gewiß nicht ausschließen, daß man in Kreisen der Trickdiebe von Barcelona die FAZ liest.

Und wenn nicht die FAZ - ganz bestimmt liest man dort "Zettels Raum". Also hier mein Aufruf:

Habt ein Herz für die Mühseligen und Beladenen, ihr Diebe von Barcelona! So hartherzig könnt ihr doch nicht sein, diesen guten Menschen Wallraff daran zu hindern, auch weiter Gutes zu tun. Gebt ihm die Bittbriefe zurück.

Und bedenkt doch auch, was Wallraff dem Autor Ingendaay auch noch anvertraut hat: "Ich war mit dieser Tasche regelrecht verwachsen".



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