31. Mai 2010

Es war richtig, daß Horst Köhler zurückgetreten ist

Politiker treten heutzutage in der Regel nur dann - und erst dann - zurück, wenn sie nicht mehr anders können. Das jüngste Beispiel ist der Minister Jung, der als Verteidigungsminister sein Ressort zu keinem Zeitpunkt im Griff gehabt hatte; zurückgetreten ist er, als er schon im sicheren Hafen des Arbeitsministeriums angekommen zu sein schien.

In diesen Tagen erleben wir zwei souveräne Rücktritte. Roland Koch hat Anfang vergangener Woche seinen Rücktritt angekündigt, ohne daß irgendwer oder irgend ein Umstand ihn dazu gezwungen hätte; "unbedrängt", wie man im Sport sagt (siehe Kochs Knaller; ZR vom 25. 5. 2010).

Und jetzt also Horst Köhler.

Koch hat sich für einen Politiker atypisch verhalten. Köhler ist kein Politiker; er ist nie ein Politiker gewesen. Er hat sich so verhalten, wie sich ein Ehrenmann verhält.

In dem telefonischen Interview, das schließlich zu seiner heutigen Entscheidung führte, hat Köhler - ich habe es hier kommentiert - das gesagt, was eine bare Selbst­verständ­lichkeit ist, nämlich "daß im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren".

Ja, selbstverständlich ist das so. Man kann nicht Militär einsetzen, ohne daß dies der Wahrung der eigenen Interessen dient. Das wäre unverantwortlich. Es wäre in hohem Maß unmoralisch.

Jeder deutsche Minister, der Kanzler und der Bundespräsident schwören mit dem Amtseid, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden. Deutsche Soldaten sterben zu lassen, ohne daß dies unseren Interessen dient, wäre eine gröbliche Verletzung ihres Amtseids.



Köhler aber hat mit dieser Äußerung eine Meute geweckt.

Keinem Bundespräsidenten seit Theodor Heuß ist jemals von Kommentatoren, die ernst zu nehmen sind, vorgeworfen worden, er hätte es an Treue zum Grundgesetz fehlen lassen. Der "bedeutendste juristische Theoretiker der Neuen Linken" aber, der Staatsrechtler Ulrich K. Preuß, hat das explizit getan.

Die Meute ist über den Präsidenten hergefallen; bis hin zu Äußerungen wie derjenigen des stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion der Grünen im Bundestag, Frithjof Schmidt:
Man weiß nicht, was schlimmer wäre: ein Bundespräsident, der das wirklich so sieht, oder einer, der sich über die Zusammenhänge so in Unkenntnis befindet.
Köhler hatte nichts gesagt, was einen gerechtfertigten Grund zur Beanstandung gegeben hätte. Aber selbst dann, wenn er etwas Problematisches gesagt hätte, wäre ihm in einer funktionierenden Demokratie mit derjenigen Zurückhaltung zu widersprechen gewesen, die das Amt verlangt.

Nichts davon. Die Meute - die linke Meute - hat sich so benommen, als fehle ihr jeder Respekt für die Institutionen dieses demokratischen Rechtsstaats; was ja vermutlich auch der Fall ist.

Und es fehlte an Widerspruch. Selten war die linke Meinungsdominanz in Deutschland so offensichtlich wie in dieser Debatte. Selbst Rupert Polenz, außenpolitischer Experte der CDU, brachte nicht mehr zustande als ein "Verständnis für die nach Angaben des Senders zahlreichen Zuschriften empörter Zuhörer. 'Ich glaube, der Bundespräsident hat sich hier etwas missverständlich ausgedrückt.'"



Nein, er hat sich klar ausgedrückt, der Bundespräsident Köhler. Er hat das gesagt, was in jedem Staat der Welt - außer eben unserem - eine Selbstverständlichkeit ist: Daß man nicht die eigenen Soldaten sterben lassen darf, wenn der betreffende militärische Einsatz nicht den Interessen der Nation dient.

Der Bundespräsident hat in den vergangenen Tagen gesehen, wie er damit die Angriffe der vereinigten Linken auf sich zog; und er hat gesehen, daß die Liberalen und Konservativen keinen Finger rührten, ihn zu verteidigen.

Der Bundespräsident hat in diesen letzten Tagen verfolgen können, wie man ihn behandelte, als sei er ein beliebiger Politiker und nicht das Oberhaupt unseres Staats. Und es gab keinen - es gab so gut wie keinen - Widerspruch.

Sein Rücktritt wird vielleicht - das mag seine Hoffnung sein - die dringend notwendige Debatte über den Respekt vor unseren demokratischen Institutionen anstoßen; und vielleicht auch die nicht minder notwendige Debatte darüber, wozu wir eigentlich unsere Soldaten ins Feuer schicken.

Ich fürchte allerdings, daß Horst Köhler auch darin enttäuscht werden wird. Ich fürchte, daß die Debatte der kommenden Tage sich um die Frage zentrieren wird, wer denn nun mit wem kungeln wird, um wen zu seinem Nachfolger zu machen.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: IMF; in der Public Domain.