26. Mai 2010

Die Absurdität des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, erläutert anhand des Falls des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt

Bis zum 18. August 2006 herrschte in Deutschland zwischen den Anbietern von Waren oder Dienstleistungen und ihren potentiellen Kunden Vertragsfreiheit. Der Kunde war frei, etwas zu kaufen oder es sein zu lassen. Er war frei, eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen oder nicht. Der Anbieter war frei darin, zu entscheiden, ob er jemandem eine Ware oder eine Dienstleistung verkaufen wollte. Niemand war gezwungen, etwas zu kaufen oder zu verkaufen.

Am 18. August 2006 aber trat es in Kraft, das AGG, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Seither ist in Deutschland die Vertragsfreiheit eingeschränkt. Genauer: Der Kunde kann weiter frei entscheiden, wessen Ware er kaufen und von wem er eine Dienstleistung in Anspruch nehmen will. Der Anbieter kann aber nicht mehr frei entscheiden, ob er jemandem eine Ware oder eine Dienstleistung verkauft.

Über dieses AGG ist erstaunlich wenig gestritten worden; es ist bemerkenswert selten vom Grundsatz her kritisiert worden. In diesem Blog allerdings schon; siehe zum Beispiel Allgemeine Gleichbehandlung; ZR vom 20. 6. 2006, Überraschung beim Feinkosthändler; ZR vom 27. 10. 2006, und Die Ossis sind nun doch kein Volksstamm; ZR vom 15. 4. 2010.

Der Titel des letztgenannten Artikels lautete in dem barocken Stil, den ich in Überschriften gern verwende, vollständig so: "Zettels Meckerecke: Die Ossis sind nun doch kein Volksstamm, hat heute ein Gericht entschieden. Die Absurdität des Allgemeinen Gleichbehandlungesetzes".

Über diese Absurdität gibt es Aktuelles zu berichten.



Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind ein Hotelier, und sie verabscheuen die Neonazis so, wie das beispielsweise ich tue. Würden Sie dann einen Neonazi als Mitarbeiter einstellen? Würden Sie an einen Neonazi ein Zimmer vermieten? Oder nur eines von beiden? Wenn ja, welches noch eher?

Man kann das verschieden beantworten. Vielleicht werden Sie sagen, auch ein Neonazi könne ja ein qualifizierter Mitarbeiter sein. Vielleicht werden Sie sagen, ein Hotelier hätte sich nicht um die politische Richtung seiner Gäste zu kümmern. Solange sie zahlen und das Zimmer nicht demolieren, sollten sie ihm recht sein.

Wie auch immer - einer Meinung werden Sie wahrscheinlich nicht sein: Daß sie gern einen Neonazi als Mitarbeiter einstellen würden, es aber strikt ablehnen, so jemanden als Gast zu beherbergen.

Ich vermute das deshalb, weil die beiden Meinungen "Ich möchte keinen Neonazi als Mitarbeiter haben" und "Ich möchte keinen Neonazi als Hotelgast haben" Ausdruck derselben Einstellung - einer demokratischen, antinazistischen Einstellung - sind. Sie markieren aber verschiedene Stärken dieser Einstellung.

Auf diesem Unterschied zwischen einer Einstellung und den verschiedenen Meinungen, die unterschiedliche Stärken dieser Einstellung ausdrücken, hat der amerikanisch-israelische Soziologe Louis Guttman eine Methode der Skalierung von Einstellungen aufgebaut.

Wer keinen Neonazi als Mitarbeiter haben möchte, der ist in einem bestimmten Grad antinazistisch eingestellt. Wer noch nicht einmal einen solchen Hotelgast haben möchte, der ist das in einem höheren Grad. Man kann also die Stärke von Einstellungen messen, indem man die Zustimmung zu solchen Meinungen erhebt.

Das war die Idee von Guttman. Die Logik seines Testverfahrens besteht darin, daß jemand, der in einem starken Maß eine bestimmte Einstellung hat, auch solchen Meinungen zustimmen wird, die Ausdruck eines schwächeren Ausmaßes derselben Einstellung sind. Umgekehrt ist das aber nicht der Fall.



Beziehen wir das nun auf das AGG. Lesen Sie bitte einmal diese beiden Paragraphen des Gesetzes, und zwar - bitte! - sorgfältig:
§ 1 Ziel des Gesetzes

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.


§ 19 Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot

(1) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die
1. typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen oder

2. eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben,
ist unzulässig.
Haben Sie sorgfältig gelesen? Dann haben Sie gemerkt, daß im Paragraphen 19 wörtlich dieselben Gründe für eine Benachteiligung genannt werden wie im ersten Paragraphen - fast. Denn es fehlt "Weltanschauung".

Und damit sind wir beim Fall Udo Voigt.

Der erste Paragraph des AGG nennt die Merkmale für eine Diskriminierung, wie sie ohne Abstriche im Arbeitsrecht gelten. Der Paragraph 19 bezieht sich hingegen auf das, was die Juristen "Schuldverhältnisse" nennen und was wir anderen als das Abschließen beispielsweise eines Kauf- oder eines Beherbergungsvertrags bezeichnen würden.

Um einen Beherbergungsvertrag geht es im Fall Udo Voigt. Wie man zum Beispiel bei "Spiegel-Online" oder in der taz lesen kann, wollte der Vorsitzende der NPD gern Gast im Wellness-Hotel "Esplanade" in Bad Saarow sein. Das aber lehnte dessen Direktor Heinz Baumeister ab, weil er einen Rechtsextremen nicht beherbergen wollte. Jetzt hat Voigt geklagt und sich dabei auf das AGG bezogen.



Voigt hat in diesem Prozeß schlechte Karten. So schlechte, daß man sich fragt, warum er überhaupt klagt. Vermutlich rechnet er nicht damit, den Prozeß zu gewinnen, sondern erwartet sich von ihm nur Publicity.

Denn die Rechtslage gemäß AGG ist eindeutig: Allgemein - erster Paragraph des AGG - ist eine Benachteiligung wegen der Weltanschauung verboten. Aber wenn es um "Schuldverhältnisse" geht, also beispielsweise einen Beherbungsvertrag, ist sie erlaubt.

Ein Hotelier darf also keinen Bewerber, der bei ihm gern Empfangschef werden möchte, mit Hinweis darauf ablehnen, daß der Betreffende ein bekannter Neonazi sei. Tut er das, dann wird der Benachteiligte ihn verklagen, und er wird den Prozeß gewinnen und Schadenersatz erhalten.

Der Hotelier darf aber denselben Herrn, wenn er bei ihm gern eine Übernachtung buchen möchte, mit Hinweis auf dessen Betätigung als Neonazi ablehnen. Denn bei der Beherbergung von Hotelgästen darf man zwar nicht nach Rasse, Geschlecht oder sexueller Identität diskriminieren. Auch nicht nach Religion. Wohl aber - anders als im Arbeitsrecht - nach Weltanschauung.

So absurd ist es. So gegen jede Logik ist dieses AGG formuliert.

Als ich das nachlas, dachte ich zuerst an einen Fehler in dem Text, den ich benutzte, und erwog sogar, daß im Gesetzgebungsverfahren vielleicht schlicht das Wort "Weltanschauung", das im Paragraphen 1 steht, bei der Übernahme der Passage in den Paragraphen 19 vergessen worden war. Auch Gesetzgeber sind Irrtümern unterworfen.

Aber weit gefehlt. Das Jura-Forum liefert die Aufklärung:
Bei den im Zivilrechtsverkehr aufgenommenen Antidiskriminierungsmerkmalen wurden bis auf das Merkmal "Weltanschauung" alle in § 1 AGG aufgeführten Diskriminierungsgründe übernommen. Das Merkmal der Weltanschauung wurde zur Vermeidung eines Rechtsmißbrauchs durch rechtsradikale Personen herausgenommen.
Mit anderen Worten: Würde man auch im Zivilrechtsverkehr eine Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung verbieten, dann könnten Rechtsradikale davon Gebrauch machen. Und das wäre dann - meint offenbar der Gesetzgeber - ein Mißbrauch. Weil es ja Rechtsextreme wären, die davon Gebrauch machen würden.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Titelvignette wurde vom Autor NavBack unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic License freigegeben.