31. Mai 2010

Ein "Hilfskonvoi" für Gaza. Israelfeindliche Berichterstattung. Nein, neu ist daran nichts

Heute stürmte die israelische Marine einen Konvoi von sechs Schiffen, die mit der erklärten Absicht auf den Gazastreifen zusteuerten, die israelische Blockade zu durchbrechen. Dabei kamen etwa fünfzehn Besatzungsmitglieder oder Passagiere der Blockadebrecher ums Leben; weitere dreißig Personen - darunter sieben israelische Soldaten - wurden teils schwer verletzt.

Die Reaktionen? Wie nicht anders zu erwarten. Frankreichs Präsident Sarkozy bezeichnete Israels Vorgehen als "unverhältnismäßig". Die Türkei, unter deren Flagge einige der aufgebrachten Schiffe fuhren, spricht von "inakzeptablen Handlungen". Ban Ki-Moon "verurteilt diese Gewalt". Mahmoud Abbas: ein "Massaker".

Und die deutsche Presse schließt sich diesem Tonfall an, so etwa Günther Nonnenmacher in der FAZ: "Die gegenwärtige israelische Regierung scheint bei der Durchsetzung ihrer Gaza-Blockade jegliches Maß verloren zu haben; dass sie die Meinung der Öffentlichkeit keinen Deut schert, hat sie schon vorher gezeigt." Nun ja, dass bislang noch gar nicht so viel bekannt ist über die Hintergründe, dass es bislang etwa nur israelische Darstellungen der Hintergründe gibt, das konnte Herr Nonnenmacher ja nicht wissen, das schrieb die FAZ schließlich erst einige Stunden nach seinem Kommentar.

Aber vielleicht schauen wir uns diese israelischen Darstellungen und den Kontext ja doch erst einmal an, bevor wir reflexhaft Israel verdammen?

Der Gazastreifen wird seit Jahren von der israelischen Marine blockiert. Fremde Schiffe dürfen nicht anlegen. Der Grund dafür - es ist mir unverständlich, dass man offensichtlich noch immer daran erinnern muss - ist im Gazastreifen zu finden. Die Bewohner Gazas haben die Hamas an die Regierung gewählt, die nach wie vor in ihrer Charta die Vernichtung Israels fordert. Erst letzten Freitag wurde wieder aus dem Gazastreifen heraus eine Rakete auf die israelische Kleinstadt Sderot abgefeuert, wurde ein Sprengstoffanschlag palästinensischer Terroristen vereitelt, die daraufhin Israel mit Mörsern beschossen. Ban Ki-Moons Verurteilung dieser Gewalt scheint mir entgangen zu sein. Und sagt Ihnen der Name Gilad Shalit etwas? Shalit, ein israelischer Soldat, wurde am 25.6.2006, also vor fast vier Jahren, von der Hamas entführt und wird seitdem im Gazastreifen festgehalten, ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne dass auch nur dem Roten Kreuz Zugang zu ihm gewährt wird.

Hört sich das nach einem Gemeinwesen an, zu dem man jedem Schiff Zugang gewähren sollte?

Nun kann man einwenden, dass Gaza "ein großes Gefängnis" sei (19500 Google-Treffer), in dem eine "humanitäre Krise" (18700 Google-Treffer) herrsche. Wenn die Israelis ("die Juden" sagt man heutzutage nicht mehr) keine Hilfsgüter hineinlassen, dann ist es schließlich ein Gebot der Menschlichkeit, diese "unmenschliche Blockade" (45200 Google-Treffer - aber immerhin ein paar ironische Verwendungen des Begriffs) zu brechen.

So weit, so gut. Diese Argumentation hat nur einen Haken: Israel lässt sehr wohl humanitäre Hilfe in den Gazastreifen. 2009 wurden 738.576 Tonnen Hilfsgüter von Israel in den Gazastreifen transportiert, eine Steigerung von 180 Prozent gegenüber 2008, dazu über 100 Mio. Liter Diesel für das Kraftwerk in Gaza. 10.544 Patienten aus dem Gazastreifen wurden in Israel medizinisch behandelt. Die von den Organisatoren angegebene Beladung des Konvois von etwa 15.000 Tonnen entspricht etwa den 14.069 Tonnen an Hilfsgütern, die in einer einzigen Woche Mitte Mai 2010 von Israel in den Gazastreifen gelangten.

So. Es gibt also sehr gute Gründe für die Blockade. Und es gibt keine humanitäre Katastrophe im Gazastreifen, die eine Durchbrechung dieser Blockade rechtfertigen würde.

Schauen wir uns an, was bislang über die Vorgänge heute bekannt ist.

Der Konvoi von ursprünglich neun, später acht und zuletzt sechs Schiffen brach unter großem Marketing von Cork, Istanbul und Kreta auf, mit der expliziten und wiederholt verkündeten Absicht, die Blockade zu durchbrechen. Israel warnte den Konvoi und seine Organisierer (einer davon, der türkischen Hilfsorganisation Insani Yardim Vakfi, wird vorgeworfen, terroristische Vereinigungen organisatorisch und finanziell zu unterstützen) wiederholt und wies darauf hin, dass die Schiffe notfalls mit Gewalt am Durchbrechen der Blockade gehindert werden würden. Statt dessen wurde der Konvoi aufgerufen, Kurs auf den israelischen Hafen Ashdod zu nehmen, wo die Ladung kontrolliert und dann auf dem Landweg nach Gaza transportiert würde. Der Konvoi hielt aber unbeirrt Kurs auf Gaza.

In der Nacht enterten dann israelische Soldaten die Schiffe. Nach Aussage eines Augenzeugen sollen sie dabei wahllos in die schlafende Menge gefeuert haben. Nach Aussage der israelischen Armee seien sie mit Brechstangen, Messern, Äxten und Molotovcocktails empfangen worden. Nun, in Anbetracht dessen, dass mehrere israelische Soldaten verletzt wurden, einige davon schwer, erscheint es mir unwahrscheinlich, dass an Bord nur friedliebende Blumenkinder waren, die nichtsahnend unter Deck "Kumbayah" sangen und gazanisches Kinderfernsehen ansahen. Übrigens werden derzeit alle Verletzten, Israelis und Blockadebrecher, in israelischen Krankenhäusern behandelt.

Zurück zur deutschen Medienlandschaft. Günther Nonnenmacher erklärt uns, man werde doch behaupten dürfen, "dass die israelische Kriegsmarine die Fähigkeiten und Mittel gehabt hätte, den Zugang zur Küste ohne Anwendung direkter Gewalt zu sperren oder die schlecht organisierte Gaza-Flotille einfach abzudrängen". Wie stellt sich das Herr Nonnenmacher vor? Soll die Zahal-Marine einen doppelten Stacheldrahtzaun vor die Küste Gazas durchs Meer legen? Sollen israelische Zerstörer die Schiffe des Konvois so lange sanft rammen, bis sie abdrehen? Und wie hätten Herr Nonnenmacher und seine Kollegen auf solch eine Vorgehensweise der Israelis reagiert? Hätten sie dann vielleicht darauf hingewiesen, warum die Blockade existiert, und Israel für besonnenes Vorgehen gelobt? Oder hätten die Schlagzeilen nicht vielmehr gelautet: "Israel versucht, Hilfskonvoi zu rammen"? "Neuer Stacheldraht um Gaza"?

Wie oben angedeutet - am unverständlichsten erscheint mir, dass man auf all diese sattsam bekannten Punkte noch eigens hinweisen muss.


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