4. Mai 2010

Marginalie: Die seltsamen Wahlen in NRW. "Vereint marschieren, getrennt schlagen". Sylvia Löhrmanns Frosch quietscht

So etwas hat es in der Bundesrepublik selten gegeben: Ein Lagerwahlkampf, so lagermäßig, wie es nur geht. Und zugleich eine Konstellation, bei der nach Lage der Dinge weder das eine noch das andere Lager gewinnen wird.

Ministerpräsident Rüttgers will weiter zusammen mit der FDP regieren. Deren Spitzenkandidat Pinkwart hat vorgestern die Wahl als eine Richtungswahl bezeichnet und hatte bereits zuvor erklärt, daß SPD und Grüne für die FDP als Koalitionspartner nicht in Frage kämen.

Noch enger ist der Schulterschluß auf der linken Seite. Rot und Grün beschworen unisono eine neue Regierung in NRW; nicht nur am 19. April im Saal der Bundespressekonferenz ("Das Ende des marktradikalen Spuks wird in NRW eingeläutet"), sondern beispielsweise auch letzte Woche bei einem gemeinsamen Auftritt im Ruhrgebiet.

Sie wollen also. Die einen wie die anderen wollen. Aber sie können sehr wahrscheinlich nicht. Die einen so wenig wie die anderen. Es sei denn, die Kommunisten kommen nicht in den Landtag.

Denn das ist die Situation in den Umfragen seit Monaten: Weder Schwarzgelb noch Rotgrün hat eine Mehrheit. Anfangs waren Union und FDP etwas mehr in der Nähe einer Regierungsmehrheit als die Rotgrünen. Inzwischen steht es fast patt. Die aktuellen Umfragedaten sehen so aus:
  • Forsa (28. April): Schwarzgelb 46 Prozent, Rotgrün 43 Prozent
  • Infratest dimap (29. April): beide 45 Prozent
  • Forschungsgruppe Wahlen (30. April): Rotgrün mit 44,5 Prozent knapp vor Schwarzgelb mit 43,5 Prozent
  • Emnid (2. Mai): Schwarzgelb 46 Prozent, Rotgrün 44 Prozent.
  • "Too close to call" nennt man so etwas bei amerikanischen Umfragen und Hochrechnungen: Zu nah beieinander, um einen Sieger ausrufen zu können.

    Nur wird es keinen Sieg des einen oder des anderen Lagers geben. Jedenfalls dann nicht, wenn die Kommunisten mehr als fünf Prozent erhalten; was ihnen seit Monaten die Umfragen einhellig vorhersagen.

    "Getrennt marschieren, vereint schlagen" wollte einst der Graf Moltke seine Truppen lassen. Rote und Grüne, auf der anderen Seite Schwarze und Gelbe, marschieren freilich nicht getrennt, sondern vereint durch den Wahlkampf. Wenn es ans Schlagen geht, wird man sie wohl eher getrennt erleben.



    So, wie die Daten seit Wochen aussehen, wird das, was ab dem 9. Mai um 18 Uhr passiert, wahrscheinlich so gut wie nicht vom Wahlergebnis abhängen.

    Denn eine Große Koalition würde selbstverständlich eine Mehrheit haben; die Frage wäre nur, mit wem als Regierungschef. Ebenso wird dann eine Volksfront aus SPD, Grünen und Kommunisten eine Mehrheit haben; diese wird vorhanden sein, sofern die Kommunisten überhaupt in den Landtag kommen.

    Auch eine Ampel aus SPD, Grünen und der FDP würde dann mit großer Wahrscheinlichkeit über eine Mehrheit verfügen; es sei denn, daß die Kommunisten sensationell gut abschneiden. Die Union und die Grünen liegen zusammen seit langem bei um die fünfzig Prozent; bei den Mandaten müßte das komfortabel für eine absolute Mehrheit reichen. Falls wider alle Wahrscheinlichkeit nicht, könnte Schwarzgrün zusammen mit der FDP regieren; eine wohl aber nur theoretische Möglichkeit.

    Im Grunde brauchen wir also auf das Wahlergebnis nicht besonders gespannt zu sein. Gespannt sein muß man aber auf das, was die Parteien aus ihm machen.

    Bei Rüttgers wie auch bei Kraft wird man ein überragendes Motiv unterstellen dürfen: Regierungschef zu bleiben bzw. zu werden. Eine Große Koalition ist deshalb unwahrscheinlich. Denn wenn die SPD die stärkste Partei werden sollte, dann wird Rüttgers lieber zusammen mit den Grünen die Nummer eins bleiben wollen, als unter Hannelore Kraft den Vize zu spielen. Bleibt die CDU vorn, dann wird Kraft alle anderen Möglichkeiten der Variante vorziehen, daß sie Vize und Ministerin in einem Kabinett Rüttgers wird.

    Eine Jamaika-Koalition ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil vermutlich bereits die CDU und die Grünen zusammen eine Mehrheit haben werden. Eine Ampel ist nicht nur wegen der zitierten Absage der FDP an dieses Modell unwahrscheinlich; noch eindeutiger haben sich die Grünen gegen eine Ampel festgelegt.

    Bleiben als die beiden realistischen Möglichkeiten eine schwarzgrüne Koalition und eine Volksfront aus SPD, Grünen und Kommunisten. Es wird sich also vermutlich eine ähnliche Situation ergeben wie in Saarbrücken nach den Wahlen vom 30. August 2009: Die Grünen sind das umworbene Weltkind in der Mitten. Sie entscheiden darüber, wie das Land regiert werden wird.

    In Saarbrücken war das lange offen. Am Ende entschied man sich für die Koalition mit Union und FDP. Dabei waren drei Faktoren von ausschlaggebender Bedeutung: Erstens die Person Oskar Lafontaine. Zweitens die Art, wie die Kommunisten im Wahlkampf mit den Grünen umgesprungen waren. Drittens der persönliche Einfluß des Spitzenkandidaten Hubert Ulrich, eines Raumfahrt- und Wirtschaftsingenieurs, der wohl im grünen Spektrum das ist, was der seinerzeitige Grüne Otto Schily einmal "realissimo" genannt hat.

    Drei lokale Faktoren also. Kein vergleichbarer Faktor ist in NRW zu erkennen. Die Kommunisten haben bereits zu verstehen gegeben, daß sie gern mitregieren würden. Hannelore Kraft hat ein Zusammengehen mit den Kommunisten ausdrücklich nicht ausgeschlossen; siehe Hannelore Krafts ... äh ... Ypsilantis Hintertürchen; ZR vom 20. 4. 2010.

    Und die Grünen? Jetzt kommt die Sache mit Sylvia Löhrmanns Frosch. In der Online-Ausgabe der Financial Times ist heute ein längerer Artikel über die Spitzenkandidatin der NRW-Grünen erschienen. Er beginnt so:
    Am Ende muss der Frosch herhalten. Die heimliche Mächtige sitzt auf dem Rücksitz in ihrem Opel-Kombi und redet. Über Gott und die Welt, über Rüttgers und die Linkspartei. Über das Zehn-Punkte-Programm der Linken, nach dem sie nun doch regieren wollen, über Ablenkungsmanöver und strategische Ansätze.

    Dann scheint alles klar: Die Grünen werden notfalls also lieber mit der CDU koalieren. Doch Sylvia Löhrmann lacht nur und drückt den Gummifrosch, der im Haltegriff über der Autotür klemmt. "Das ist eben die 1000-Dollar-Frage", sagt sie, und der Frosch quietscht.
    Zugegeben, die Grünen sind immer für eine Überraschung gut. Gewiß sind sie heute, die Klientel ist ja sozial aufgestiegen, nicht mehr die Partei, in der einmal Altkommunisten wie Rainer Trampert und Jürgen Trittin den Ton angaben. Aber der Glaube an das "rotgrüne Projekt" lebt in dieser Partei; man hat sich ja gerade im jetzigen Wahlkampf wieder um ihn versammelt.

    Wie wollten die Grünen ihren Mitgliedern, auch ihren Wählern, die diesen Wahkampf ja soeben erlebt haben, einen Schwenk zur Union plausibel machen?

    Die Kommunisten werden sich lammfromm geben; sie werden sich in Koalitionsverhandlungen als so pflegeleicht erweisen, wie sie es im Berliner Senat sind und wie sie es in einer Regierung Ypsilanti gern unter Beweis gestellt hätten; siehe Nicht verlesen; ZR vom 29. 7. 2008. Am Ende wird Frau Kraft erfreut mitteilen können, daß die Abgeordneten der Partei "Die Linke" sich nun doch, entgegen ihrer einstigen Befürchtungen, als vernünftige, regierungsfähige Leute erwiesen hätten.



    Ich rechne also damit, daß es in NRW nach den Wahlen am kommenden Sonntag eine Volksfront-Regierung geben wird. Ich rechne damit, aber ich hoffe natürlich, daß diese Prognose sich als falsch erweisen wird.

    Das Wahrscheinliche muß nicht eintreten. Umfragen können sich als irrig herausstellen; Politiker sich ganz anders verhalten, als man es erwartet. Niemand, der in NRW wahlberechtigt ist und der nicht will, daß dort demnächst Kommunisten als Minister amtieren, kann es aus meiner Sicht verantworten, am Sonntag nicht zur Wahl zu gehen und seine Stimme der FDP oder der CDU zu geben.



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