21. Mai 2010

Marginalie: "... und steigt, fast möcht man sagen, heiter und vollbefriedigt von der Leiter". Düsseldorfer Koalitions-Turnübungen

Das Gedicht "Das Sprungbrett" von Eugen Roth beginnt so:
Ein Mensch, den es nach Ruhm gelüstet,
Besteigt, mit großem Mut gerüstet,
Ein Sprungbrett - und man denkt, er liefe
Nun vor und spränge in die Tiefe,
Mit Doppelsalto und dergleichen
Der Menge Beifall zu erreichen.
Man kann sich denken, wie die Chose endet: Der Mann macht, vom Publikum bestaunt, allerlei körperliche Übungen, genießt den Beifall. Dann dreht er sich gelassen um, ...
... und steigt, fast möcht man sagen, heiter
Und vollbefriedigt von der Leiter.
Das, was sich in Düsseldorf seit den Wahlen am 9. Mai abspielt, gleicht solchen folgenlosen Turnübungen.

Erst stieg FDP-Pinkwart auf die Leiter, turnte und stieg wieder herab; siehe Wie die FDP in NRW eine Chance vergab; ZR vom 15. 5. 2010.

Daß es ihm Hannelore Kraft nachmachen würde, hatte ich nicht erwartet. Aber sie hat. Nur war das Gehabe, bevor sie wieder zur Leiter eilte, kürzer als bei Pinkwart.

Der hatte ungefähr zwei Tage gebraucht, bis das Schauturnen vorbei war. Hannelore Kraft schaffte es in viereinhalb Stunden. Man traf sich, zusammen mit einer Delegation der Grünen, mit einer nicht weniger als zwölf Mann starken Delegation der Partei "Die Linke". Und - surprise, surprise! - die Kommunisten entpuppten sich als Kommunisten. Die "Welt":
Dann, nach viereinhalb Stunden, traten Kraft und Löhrmann um 18.35 Uhr vor die Kameras. (...)

Es sei in der Diskussion um Demokratieverständnis sowie das Verhältnis zur DDR und um Verfassungsfestigkeit gegangen. Dort habe es "sehr viele" relativierende Äußerungen gegeben, "die uns zu der Einschätzung gelangen lassen, dass dies ein wesentlicher Punkt ist, der für eine Koalition ein großes Hindernis darstellen würde".
Ja, was hat Hannelore Kraft, was hat die SPD in NRW denn erwartet? Daß die Kommunisten in den Verhandlungen mitteilen würden, sie hätten es sich noch einmal überlegt, und nun seien sie keine Kommunisten mehr?

Gewiß, es hätte sein können, daß sie Kreide fressen. Kommunisten machen mancherlei, um ein Schrittlein in Richtung Macht zu tun. Aber was hätte das denn geändert? Hätte denn ein verbaler Kotau vor dem Grundgesetz die Kommunisten weniger kommunistisch gemacht? Leben wir denn in einer Zeit, wo man abschwören muß, wie einst der Galileo Galilei?

Oder wußte Hannelore Kraft nicht, mit wem sie es zu tun hatte? Wußte sie nicht das, was beispielsweise jeder Leser von ZR weiß? (Siehe Über die Mitglieder der Fraktion von "Die Linke"; ZR vom 13. 5. 2010).



Natürlich wußte Hannelore Kraft und wußte ihre Mitstreiterin Sylvia Löhrmann von den Grünen, mit wem sie es zu tun hatten. Das herauszufinden hätte nun wahrlich keiner "Sondierung" bedurft.

Was die elf kommunistischen Hanseln im Landtag von NRW von ihren Genossen anderswo unterscheiden mag, ist eine gewisse brutale Direktheit; man könnte auch sagen: Ehrlichkeit. Aber die Partei, der sie angehören, ist ja in ihrer Gesamtheit keinen Deut anders.

Gerade erst hat sie, diese Partei, Sahra Wagenknecht zu ihrer stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Sahra Wagenknecht, die Josef Wissarionowitsch Stalin und Walter Ulbricht pries und die der Meinung ist, daß die DDR "jedenfalls nicht weniger demokratisch" war als die Bundesrepublik; siehe Das Ergebnis der Vorstandswahlen bei der Partei "Die Linke"; ZR vom 17. 5. 2010.

Daß es sozusagen gute und schlechte Kommunisten gibt, "Chaoten" und "Reformer", ist ein Mythos. Gewiß gibt es bei den Kommunisten unterschiedliche Auffassungen über die beste Strategie. Die einen wollen den Sozialismus eher mit Hilfe der Straße erreichen, die anderen setzen auf die parlamentarische Strategie. Die einen sind also laut, die anderen leise. Den Sozialismus wollen sie beide.



Die SPD muß sich entscheiden, ob sie mit den Feinden unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung paktieren will oder nicht.

Bisher sprach alles dafür, daß die Entscheidung auf der Bundesebene längst zugunsten einer Zusammenarbeit gefallen ist. In "Spiegel-Online" hat Veit Medick beschrieben, daß man dabei zu verschiedenen taktischen Ergebnissen kommen kann; ich habe das in Zettels kleinem Zimmer ein wenig erläutert.

Auch jetzt liegt es nahe, die Entscheidung der SPD in NRW als taktisch bedingt zu interpretieren. Man wollte, so lautet diese Interpretation, nicht das Risiko einer Volksfront eingehen, die scheitert, und die damit die Chancen für eine Volksfront im Bund 2013 verschlechtern würde. Das ist die Gabriel-Linie.

Aber wie auch immer - ich gebe zu, daß ich mich geirrt habe. Ich habe mit einer Volksfront jetzt schon in Düsseldorf gerechnet; und zwar deshalb, weil die "Basis" sowohl der SPD als auch der Grünen das verlangt. Man wird sehen, wie sie reagiert.

Sollte sich hinter der jetzigen Entscheidung in NRW nicht nur ein taktischer Schachzug, sondern eine grundsätzliche Weichenstellung der SPD verbergen, nicht mit Feinden unserer Verfassung zu paktieren, dann hätte ich mich grundlegend geirrt und würde mich freuen. Ich glaube aber nicht, daß es zu dieser Freude kommen wird.



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