15. Mai 2010

Marginalie: Schwarzer Peter, weit aus dem Ärmel lugend. Wie die FDP in NRW eine Chance vergab

Jörg-Uwe Hahn hatte es in Hessen vorgemacht, wie man mit Anstand und Standfestigkeit Menschen überzeugt und damit Wähler gewinnt.

In Hessen gab es bekanntlich nach den Landtagswahlen vom 27. Januar 2008 ein Ergebnis, das in den Proportionen fast aufs Haar dem jetzigen in NRW glich: CDU und SPD hatten je 42 Sitze, die CDU dabei aber etwas mehr Stimmen. Weder Schwarzgelb noch Rotgrün hatte eine Mehrheit, weil die Kommunisten in den Landtag gelangt waren.

Andrea Ypsilanti verhielt sich exakt wie jetzt Hannelore Kraft: Sie peilte ein Zusammengehen mit den Kommunisten an, wollte dazu aber ein Alibi in Gestalt einer Absage der FDP, in eine Ampel einzutreten. Man wollte sagen können: Die FDP verweigert sich der Zusammenarbeit, also müssen wir es notgedrungen mit "Die Linke" versuchen.

Wie jetzt in NRW war damals die Beschlußlage der FDP eindeutig: Man hatte vor der Wahl eine Ampel ausgeschlossen.



Soweit die Parallelen. Sie enden beim Verhalten der FDP nach der Wahl.

Jörg-Uwe Hahn hat in Hessen niemals den geringsten Zweifel daran gelassen, daß die Beschlüsse vor der Wahl ebenso nach der Wahl Geltung hatten, und daß eine Koalition mit Sozialdemokraten und Grünen für die FDP folglich nicht in Frage kommen würde.

Die Reaktion der Wähler war eindeutig: Bei den Wahlen am 27. Januar 2008 hatte die FDP 9,4 Prozent erhalten. Bei den Neuwahlen am 18. Januar 2009 erhielt sie 16,2 Prozent. Sie steigerte ihr Ergebnis binnen eines Jahres um mehr als zwei Drittel.

Und nun der Blick, der deprimierende Blick, auf NRW: In derselben Lage hätte auch dort die FDP sich dem Koalitionsgeschacher, in dem sie ohnehin nichts gewinnen konnte, entziehen können, indem sie nach dem Vorbild Jörg-Uwe Hahns schlicht und schnörkellos erklärt hätte: Wir haben am 2. Mai in Aachen beschlossen, nicht mit den Sozialdemokraten und den Grünen zu koalieren, weil beides Parteien sind, die Bündnisse mit rechtsextremen oder linksextremen Parteien nicht eindeutig ausschließen. Das gilt nach den Wahlen ebenso wie zuvor.

Ende der Durchsage. Bei allfälligen Neuwahlen, aber auch später, hätte eine solche Standfestigkeit den Wähler beeindruckt und der FDP genutzt.

Stattdessen versuchte Andreas Pinkwart ein taktisches Spielchen, das man nur als täppisch bezeichnen kann; ich habe es am vergangenen Mittwoch beschrieben ("Daher kommen für uns Koalitionen mit Grünen oder der SPD nicht in Frage" ; ZR vom 12. Mai 2010). Er signalisierte die Bereitschaft der FDP zu einer Ampel, verband das aber mit einer Bedingung, von der jeder Klippschüler wissen konnte, daß sie unerfüllbar war: Die SPD und die Grünen sollten zuvor förmlich - in den zuständigen Gremien! - beschließen, nicht mit der Partei die "Linke" zu koalieren.

Nähme man diese Forderung ernst, dann wäre sie eine unglaubliche Fehleinschätzung der politischen Realitäten. Aber vermutlich kannte ja auch der Professor Pinkwart die Reaktion der Roten und der Grünen; er wollte nur den Schwarzen Peter zurückspielen, den man der FDP zugedacht hatte.



Es ist so gekommen, wie es absehbar gewesen war. Jeder sah den Schwarzen Peter aus dem Pinkwart'schen Ärmel lugen. Die FDP wird so wenig in eine Ampel gehen wie in Hessen; nur steht sie jetzt nicht wie ein Rocher de Bronze da, sondern wie ein Wackelpudding.

Das Echo ist vernichtend. Pinkwart hat den linken Medien eine Steilvorlage geliefert. Was ihm selbst als ein taktisch raffiniertes Spiel erschienen sein mag, wird als ein hilfloses Herumschlittern dargestellt.

"Das Chaos um Westerwelle, Pinkwart und Co. wirft in Berlin Fragen auf: Was ist nur mit den Liberalen los?" schrieb Severin Weiland gestern genüßlich in "Spiegel-Online"; Überschrift: "Verwirrt, gestutzt, düpiert". Und in "Zeit-Online" lautete die Überschrift "Liberales Ampel-Gehampel". Text von Michael Schlieben:
Am Montagmorgen schloss Pinkwart eine Ampel definitiv aus. Er verwies auf einen Parteitagsbeschluss: Weil SPD und Grüne keine "klare Kante" im Wahlkampf gegen die Linkspartei gezeigt hätten, sei ein Gespräch undenkbar. Am Montagmittag hörte man von Westerwelle: Zur Not und NRW zuliebe könne man noch mal reden. Dienstagmorgen, Pinkwart lädt zur Pressekonferenz und nennt die Vor-Bedingung: SPD und Grüne müssten abschwören, künftig mit der Linken zu sprechen. Die weigern sich prompt. Am Dienstagabend lehnt Westerwelle im TV-Interview eine Ampel strikt ab. Man sei "doch nicht Steigbügelhalter für Sozialisten und Kommunisten".

Kurz: Das Verhalten der FDP war weder strategisch klug noch staatspolitisch reif. Weder emotional konsequent noch rational nachvollziehbar. Selten war es inhaltlich begründet. Obendrein hätte sie fast ein Wahlversprechen gebrochen.
Michael Schlieben ist gewiß kein Freund der FDP; und ich bin - schon deshalb - gewiß kein Freund von Michael Schlieben (siehe Die "einzigartig starken" 68er und die Leiharbeiter; ZR vom 8. 1. 2009, und In Jena ein Hauch von Obama; ZR vom 29. 8. 2009). Aber wer dem politischen Gegner derart die Bälle zuspielt, wie das die FDP in NRW seit den Wahlen getan hat, der darf sich nicht beklagen, daß diese Bälle aufgefangen werden.

Es ist nicht ausgeschlossen, wenngleich unwahrscheinlich, daß es auch in NRW wie damals in Hessen zu Neuwahlen kommen wird. In Hessen hat die FDP ihr Ergebnis dabei eindrucksoll gesteigert. In NRW dürfte sie, nach dem Schauspiel, das die Laienspielschar Pinkwart aufgeführt hat, froh sein, in einem solchen Fall über die Hürde der fünf Prozent hinüberzupurzeln.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.