1. Oktober 2011

Marginalie: Noch einmal journalistische Wegelagerer. Die Dummdreistigkeit von TV-Journalisten. Beispiel "Panorama"

Vor eineinhalb Jahren konnten Sie in ZR eine Meckerecke über das Unwesen journalistischer Wegelagerei lesen: Zettels Meckerecke: Journalistische Wegelagerer. Zwei Minuten und achtundzwanzig Sekunden "Spiegel-Online"; ZR vom 20. 5. 2010. Ich habe dort beschrieben, mit welcher Unverfrorenheit TV-Journalisten - damals die von "Spiegel-TV" - Politiker unter Mißachtung der einfachsten Regeln der Höflichkeit anquatschen, sie mit inquisitorischen Fragen überfallen, neben ihnen herlaufen und nicht lockerlassen; ungefähr wie aggressive Bettler irgendwo in Asien oder Afrika.

Ich hätte nicht gedacht, daß die Dreistigkeit, die ich dort geschildert habe, noch zu überbieten ist. Aber es geht. Schauen Sie sich bitte einmal die ersten Minuten der aktuellen Sendung von "Panorama" an; ausgestrahlt am 29. September.

Das Opfer der Wegelagerer war diesmal Sylvana Koch-Mehrin. Man sieht sie am Beginn des Berichts in einer Halle; vermutlich des Europäischen Parlaments, offenbar auf dem Weg zu einem Termin. Der journalistische Schnösel überfällt sie, sagt nicht einmal "Guten Tag", sondern legt los, ihr das Mikrofon vor die Nase haltend: "Wir wollen mit Ihnen über Ihre Arbeitsmoral im Europäischen Parlament sprechen". Koch-Mehrin lächelt da noch, geht weiter ihres Wegs. Anders als der Schnösel ist sie höflich und sagt nur "Herzlichen Dank! Habe aber leider keine Zeit".

Ein halbwegs zivilisierter Mensch würde spätestens an dieser Stelle den Gesprächsversuch beenden. Ein aggressiver Bettler in der Dritten Welt vielleicht nicht. Und nicht der Schnösel von "Panorama". Er läuft weiter neben dem Opfer her und bedrängt es: "Wann waren Sie das letzte Mal im Petitionsausschuß?". Man sieht, wie Koch-Mehrin wortlos weitergeht.

Schnitt. Der Zuschauer weiß jetzt, daß Koch-Mehrin als Zielperson des Beitrags auserkoren ist. Ihr soll Faulheit vorgeworfen werden. Die Kronzeugin ist - wer wohl? Eine Abgeordnete der "Grünen". Die, anders als Koch-Mehrin, nicht überfallen, sondern auf zivilisierte Weise interviewt wurde. Sie sagt, wie wichtig der Petitionsausschuß sei. Der Zuschauer ist damit vorbereitet für den Fortgang der Inquisition.

Schnitt. Der Schnösel läuft immer noch neben seinem Opfer her. Koch-Mehrin sagt jetzt nichts mehr. Der Schnösel läßt nicht locker: "Glauben Sie nicht, der Bürger möchte eine Antwort haben?" Der Bürger! Es ist ja nun allerdings nicht "der Bürger", der sich als Wegelagerer aufführt, sondern der dreiste Schnösel. Das Opfer lächelt immer noch; jetzt allerdings gequält.

Schnitt. Es folgen Statements. Im Stil Karl-Eduard von Schnitzlers, des "Sudel-Ede" des Deutschen Fernsehfunks der DDR, wird Koch-Mehrin fertiggemacht. Mit Statements, die sie kritisieren; ausschließlich solchen. Kein einziger der Interviewten kommt aus Koch-Mehrins Partei, der FDP. Es ist die reine Inquisition; die Anklage ohne Verteidigung.

Schnitt. Der Schnösel läuft immer noch neben dem Opfer her: "Warum wollen Sie nicht mit uns reden?" fragt er jetzt. Koch-Mehrin geht schneller. Der Wegelagerer läßt nicht locker. Wie eine Klette hat er sich an das Opfer geheftet, läuft ihm hinterher. Das Opfer ist schneller, der Schnösel bleibt etwas zurück und streckt der Davoneilenden jetzt das Mikrofon mit ausgestrecktem Arm hinterher: "Bekommen wir noch eine Antwort von Ihnen, Frau Koch-Mehrin?" Man sieht, wie Koch-Mehrin enteilt und auf einer Treppe verschwindet.

Abspann. Als Autoren des Berichts werden Ben Bolz und Johannes Jolmes genannt. Bolz ist Redakteur bei "Panorama", Jolmes ist Freier Journalist und schreibt u.a. für "Zeit-Online". Ben Bolz ist mir schon einmal als Autor eines selbst für "Panorama" ungewöhnlich schmierigen Beitrags aufgefallen: "Die Aufgabe von Panorama ist es, alle Parteien kritisch zu begleiten". Agitprop gegen die FDP, Methode Karl-Eduard von Schnitzler; ZR vom 25. 2. 2010.



Genug der Wegelagerei? Nein. Jetzt geht es erst richtig los in der "Panorama"-Sendung vom 29. September. Im nächsten Bericht nämlich überfallen "Panorama"-Wegelagerer Abgeordnete des Bundestags und examinieren sie. Aber das brauche ich jetzt nicht zu beschreiben. Sie können es bei "Spiegel-Online" lesen.
Zettel



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